Das Dauergrinsen ging seinem Gesicht verloren. So erschöpft hatte man Silvio Berlusconi noch nie gesehen: Vor Anspannung keuchend, erschien er zur Pressekonferenz, nachdem ihn ein Mailänder Gericht im Mediaset-Prozess zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt hatte. Nur mit Mühe brachte er die üblichen Schmähungen heraus: Das Urteil sei das Werk „gewisser Richter“. Mit ihren Machenschaften würden sie Italien in ein „barbarisches, unbewohnbares Land“ verwandeln, in dem die Demokratie abgeschafft sei.
Dass er aus Angst vor dem Gefängnis dem physischen Zusammenbruch nahe schien, ist kaum anzunehmen. Denn bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung, falls sie überhaupt zustande kommt, dürften Jahre vergehen. Und schon aus Altersgründen müsste Berlusconi äußerstenfalls mit komfortablem Hausarrest rechnen. Gleichwohlist der erstinstanzliche Richterspruch ein schwerer Schlag für den einstmals starken Mann, der juristisch unantastbar schien. Zusätzlich zur Haftstrafe verbot ihm das Gericht für fünf Jahre jedes öffentliche Amt und bescheinigte ihm eine besondere Neigung zum Rechtsbruch, auch „kriminelle Energie“ genannt. Solcher Befund beschert normalerweise jedem anderen Politiker den unwiderruflichen Bankrott. Nicht so Berlusconi, der die Offensive sucht und die wahren Schuldige nennt: gegen ihn verschworene Richter, vor allem aber Merkel und Sarkozy, die seine Glaubwürdigkeit zerstört und ihn zum Abschuss freigegeben hätten, damit Nachfolger Monti inthronisiert werden konnte. Der gehorche „zu 100 Prozent“ Vorgaben aus Berlin und führe Italien in den Abgrund.
Vorbild Beppe Grillo
Der gezielter Hieb gegen die Regierung, die bisher von Berlusconis Partei PdL gestützt wird. Doch führt Montis Sparpolitik zu derartigen sozialen Verwerfungen, die sich auch die Mittelschichten bedroht fühlen. Davon profitiert neben der Lega Nord derzeit vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Dessen hemmungslos populistische Agitation will Berlusconi nun offenbar kopieren – mit Tiraden gegen Monti, den Euro, die EU. Zwar kann er bei der Wahl 2013 nicht als Spitzenkandidat antreten, aber als eine Art Coach den Niedergang seiner Partei in Grenzen halten und hinter den Kulissen oder gar mit einem Abgeordnetenmandat im Geschäft bleiben. Angesichts der langjährigen Praxis der Mitte-Links-Parteien, mit Berlusconi den „Ausgleich“ zu suchen, kann es sein, dass der auch diesmal vergleichsweise glimpflich davonkommt.
Jens Renner schrieb zuletzt für die Zeitgeschichte über Mussolini "Marsch auf Rom" vor 90 Jahren
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