Eine erfolgreiche Demonstration macht noch keinen italienischen Frühling. Die Veranstalter schienen dennoch zufrieden. Angeführt von der Metaller-Gewerkschaft FIOM protestierten am Wochenende in Rom Zehntausende gegen die Politik von Premier Matteo Renzi. Sie folgten der Devise „Unions!“, um auf die Ursprünge der Gewerkschaftsbewegung zu verweisen, die einst in England lagen und auf Einheit bedacht waren. So fand in Rom tatsächlich eine Coalizione Sociale zueinander, wie sie FIOM-Sekretär Maurizio Landini in den vergangenen Wochen immer wieder beschworen hatte: Arbeiter und Angestellte, Studenten, Erwerbslose, Rentner, prekär Beschäftigte und (Schein-)Selbstständige waren ebenso gekommen wie Vereinigungen gegen die Mafia, Libera genannt, oder Ärzte-Gruppen, die unentgeltlich Migranten behandeln (Emergency), dazu die Kulturvereinigung ARCI und Journalisten von Articolo 21, die für mehr Informationsfreiheit eintreten.
Waffenruhe für den Moment
Sie begehren auf gegen Renzis unternehmerfreundliche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die besonders junge Italiener verarmen lässt, denen die Massenarbeitslosigkeit jeden Ausweg in ein selbstbestimmtes Leben versperrt. Die jetzige Regierung sei schlimmer als die von Silvio Berlusconi, findet Maurizio Landini. Renzis Koalitionspartner seien Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank (EZB) und der italienische Unternehmerverband Confindustria. Dessen Präsident Giorgio Squinzi schoss umgehend zurück, die Gewerkschaften hätten Reformen jahrelang blockiert und trügen so die Verantwortung für das soziale Joch, das man nun zu tragen habe.
Eindrucksvolle Mobilisierungen wie an diesem 28. März haben Italiens Gewerkschaften und Linksparteien allerdings schon früher zustande gebracht. Zu selten wurden daraus dauerhafte Strukturen, die etwas auszurichten vermochten gegen die Zersplitterung der sozialen und politischen Akteure in den wenig spektakulären Alltagskämpfen. Als Vorbild gelten Podemosin Spanienund Syriza in Griechenland mit ihren Ankern in sozialen Milieus, die Solidarität von unten erst möglich machen. Freilich wollen die italienischen Aktivisten keine Partei gründen, zumindest vorerst nicht. Namentlich Landini legt Wert auf das Fazit: Gewerkschaften betrieben (auch) Politik, aber keine Parteipolitik.
Gleichwohl wird Landini von den Medien immer wieder in die Rolle eines „italienischen Tsipras“ gedrängt. Es gibt innerhalb der Gewerkschaften Vorbehalte gegen übermäßig politisierte Auftritte. Susanna Camusso, Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CGIL, zu dem auch die FIOM gehört, hat sich nur vorübergehend auf eine Waffenruhe mit Landini eingelassen. Sie will die Regierung nicht zu sehr brüskieren, auch wenn ihr Kritik an deren Arbeitsmarktpolitik angebracht erscheint. Beispiel: der „Jobs Act“, das von Renzi als Wundermittel gegen Stagnation und Erwerbslosigkeit verkaufte Gesetzespaket. Hier erhitzt besonders der stark eingeschränkte Kündigungsschutz die Gemüter.
Um die politische Linke ist es weiter schlecht bestellt. Die linksökologische Sinistra Ecologia Libertà (SEL) ist ihre einzige parlamentarische Filiale. Die Grünen, Rifondazione Comunista (RC) und der Partito Comunista Italiano (PCI) – sie alle haben Mitglieder verloren. Zuletzt war nur bei der Europawahl im Mai 2014 ein linkes Bündnis erfolgreich: Die Liste L’Altra Europa con Tsipras erreichte gut vier Prozent der Stimmen und hat nun drei Abgeordnete im Europäischen Parlament. Total handlungsunfähig ist hingegen der linke Flügel des Partito Democratico (PD). Er besteht aus diversen Strömungen, die sich nur zu einem Konsens in der Lage sehen: Sie wollen einen Bruch mit der Gesamtpartei unbedingt vermeiden. Also stimmen linke PD-Parlamentarier regelmäßig für Gesetze, die sie eigentlich ablehnen, aber trotzdem abnicken, weil Renzi derartige Voten mit der Vertrauensfrage zu verbinden pflegt. Die PD-Linke hat daher wenig zu bieten, wenn es um einen Politikwechsel geht. Anders das Reformprogramm der Coalizione Sociale: Es umfasst ein garantiertes Grundeinkommen, Schritte gegen die Jugendarbeitslosigkeit, landesweit einheitliche Tarifverträge, volles gewerkschaftliches Vertretungsrecht. In der Debatte sind Referenden gegen den „Jobs Act“ und zu einer Schuldenbremse in der Verfassung. Seit das alte „Arbeiterstatut“ (Statuto dei lavoratori) von 1970 aufgeweicht wurde, soll eine neue Magna Charta die Rechte der Arbeitenden garantieren. Dafür hat sich auch der Dachverband CGIL ausgesprochen, der aber zugleich eine Teilnahme an der „Sozialen Koalition“ablehnt.
So ist derzeit nicht absehbar, ob die Frühlingsoffensive der FIOM und ihrer Alliierten wirklich zu einer dauerhaften oppositionellen Sammlung führt. In einem viel diskutierten Artikel für die liberale Tageszeitung La Repubblica schrieb der Politologe Ilvo Diamanti von einer „neuen außerparlamentarischen Linken“, die sich herausbilde. Im Leitkommentar des moderat konservativen Corriere della Sera war einerseits von einer für Renzi „bequemen“ Opposition die Rede. Gleichzeitig wurde gewarnt, die Beschränkung auf außerparlamentarische Aktionen sei gefährlich – für den sozialen Frieden: Landini wolle Unzufriedenheit und Unruhe säen, um eine „Phase schärferer Konflikte“ zu eröffnen.
Bis zu zehn Prozent
Dabei ist über die Organisationsform der „Sozialen Koalition“das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch wenn Landini und die FIOM weder eine Partei noch eine Wahlliste anstreben, hat Politik auch eine Eigendynamik. Auf der Wahlebene wird sozialer Protest derzeit weitgehend von Beppe Grillos populistischer Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento Cinque Stelle/M5S) absorbiert – und, schlimmer noch, an die rassistische Lega Nord delegiert. Die ist wieder einmal dermaßen im Aufwind, dass sie im Bündnis mit Berlusconi und kleineren rechten Parteien mehrheitsfähig werden könnte. Bei aktuellen Umfragen beträgt der Abstand zwischen dem Rechtsblock und Mitte-Links (Partito Democratico plus Partner) nur noch drei Prozent. Eine linke Assoziation mit Landini könnte den Durchmarsch der Rechten verhindern helfen. Für sie werden Umfrageergebnisse von bis zu zehn Prozent ermittelt.
Einstweilen sind das bloße Gedankenspiele, denn vorerst braucht die „Soziale Koalition“ die viel beschworene, verlässliche Basis. Um die zu formen, sind weitere Massenaktionen vorgesehen. Am 25. April, dem 70. Jahrestag der Befreiung vom Mussolini-Faschismus, werden Linke und Gewerkschaften nicht nur der Vergangenheit gedenken, sondern deren Recht auf Einfluss in der Gegenwart reklamieren. Aus ihrer Sicht untergraben die von Renzi im Schulterschluss mit Berlusconi verfügten Änderungen der Verfassung von 1948 deren dezidiert antifaschistischen Charakter und begünstigen eine autoritäre Wende.
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