Berlusconi gibt alles

Italien Die Rechtsallianz beschwört für den 9. April wieder einmal eine "Schicksalswahl"

Die Umfrage-Ergebnisse sind niederschmetternd für die italienische Mitte-Rechts-Regierung, besonders für den Ministerpräsidenten selbst. Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen am 9. April erklären in den unvermeidlichen Umfragen nur 28 Prozent, sie seien mit der derzeitigen Politik zufrieden. Gerade einmal 23 Prozent vertreten die Ansicht, Berlusconi habe seine Wahlversprechen aus dem Jahr 2001 gehalten. Damals hatte er in einem viel belachten "Vertrag mit den Italienern" ein besseres Leben für alle in Aussicht gestellt: dazu sollten Steuern gesenkt und Mindestlöhne garantiert werden, anderthalb Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen, dazu sollte ein umfangreiches staatliches Investitionsprogramm die Konjunktur beleben.

Heiße Luft, wie inzwischen auch die allermeisten Anhänger der Rechten zugeben: Nur 13 Prozent der Befragten halten die Lebensbedingungen in Italien heute für besser als vor fünf Jahren. Auch bei der "Sonntagsfrage" liegt der Rechtsblock Casa delle libertà ("Haus der Freiheiten") mit 46 Prozent relativ deutlich hinter dem Mitte-Links-Bündnis Unione, das auf 52 Prozent käme. Doch ist die Wahl noch längst nicht entschieden. Darauf deuten nicht zuletzt die Antworten auf eine brisante Frage hin, die in Berlusconi-Land einfach gestellt werden muss - sie lautet: "Einige sagen, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi im letzten Moment etwas erfinden wird, das ihm von Neuem den Sieg bringt: Wie wahrscheinlich ist das?" - 57 Prozent halten es für "sehr" oder "ziemlich wahrscheinlich", dass dieser Fall eintritt! (Umfrage des Istituto Piepoli, resümiert vom Wochenblatt L´Espresso am 12. Januar)

Bislang allerdings ist von der alles entscheidenden Geheimwaffe noch nichts zu sehen. Berlusconis Wahlkampf wirkt vertraut, der Premier hat bei solchen Experten für politische Kommunikation wie Karl Rove, dem Wahlkampf-Manager von George Bush, Rat gesucht und zu hören bekommen, er solle das tun, was er am besten könne: den politischen Gegner dämonisieren und das auf einen etwaigen Sieg der Opposition folgende Jammertal in den schlimmsten Farben ausmalen. Schon auf seiner Pressekonferenz Ende 2005 setzte Berlusconi diesen Rat mit sichtlichem Vergnügen um, als er die Titelseite des einstigen KP-Zentralorgans L´Unità vom Tag nach Stalins Tod in die Kameras hielt. Stalin starb bekanntlich am 5. März 1953; 53 Jahre später, so will Berlusconi dem Wahlvolk weismachen, stehe in Italien nunmehr die Machtergreifung der Stalinisten bevor!

Um die noch Unentschlossenen von der moralischen Verkommenheit der Roten zu überzeugen, gelten auch kriminelle Machenschaften als durchaus salonfähig. Anfang Januar veröffentlichte die im Besitz der Familie Berlusconi befindliche Tageszeitung Il Giornale Protokolle einer Telefonüberwachung bei Piero Fassino, dem Sekretär der Linksdemokraten. Dessen Gespräch mit Giovanni Consorte, dem Geschäftsführer der Versicherungsgruppe Unipol, bewies allerdings nur, was längst bekannt war: Die Linksdemokraten unterstützen den Versuch von Unipol, die Banca Nazionale di Lavoro zu übernehmen - von Bestechung kann keine Rede sein. Was Berlusconi nicht daran hindert, sich öffentlich über die "unerträglichen Verstrickungen von Politik und Finanzwelt" zu entrüsten. Er tut dies, ohne rot zu werden, und wohl nicht ganz zu Unrecht davon überzeugt, vom Korruptionsvorwurf an die Adresse der Linksdemokraten werde schon etwas hängen bleiben.

Einen kreativen Umgang mit den Fakten gestattet man sich in Berlusconis Beraterstab auch, wenn es um die Stimmung im Lande geht. Die dort für Umfragen zuständige Meinungsforscherin Alessandra Ghisleri erfreute ihren Chef jüngst mit der Behauptung, Unione und Rechtsblock lägen mit jeweils 48 Prozent gleichauf. Ihr Vorgänger Luigi Crespi, der 2001 den "Vertrag mit den Italienern" ausgeheckt hatte, nannte dies schlicht "eine Lüge und reine Propaganda". Die im Übrigen will Berlusconi diesmal nicht nur über Plakatwerbung und die von ihm kontrollierten Medien unter die Leute bringen, sondern durch seine Auftritte in vielen Städten, um die Massen für die vermeintliche Schicksalswahl zu mobilisieren.

Seine wichtigsten Partner - Gianfranco Fini, Sekretär und Spitzenkandidat der neofaschistischen Alleanza Nationale (AN), und Pierferdinando Casini von der christdemokratischen UDC - sehen diese teils rabiate Angriffslust mit gemischten Gefühlen. Einerseits wollen sie gemeinsam mit ihm die Wahl gewinnen, andererseits sich selbst als Nachfolger im Amt des Regierungschefs in Stellung bringen. Schließlich hat Silvio Berlusconi für den Fall eines überzeugenden Sieges angekündigt, bei der ebenfalls noch 2006 fälligen Wahl des Staatspräsidenten zu kandidieren und sich auf den repräsentativen Posten des großen Mannes über den Parteien zurückzuziehen.

Nach Lage der Dinge würde dann vermutlich Gianfranco Fini noch in diesem Jahr Regierungschef - ein Triumph für den obersten Repräsentanten einer modernisierten Rechtspartei mit lebendigen faschistischen Traditionen, die jahrzehntelang als nicht regierungsfähig galt und erst 1994 durch Berlusconi von diesem Makel befreit wurde.

Beide Szenarien - fünf weitere Jahre Berlusconi oder ein Mandat für Fini - sind die schlagkräftigsten Argumente der Mitte-Links-Allianz. Deren 274 Seiten starkes Programm zielt nur in Teilen auf einen Bruch mit der Regierungspolitik der vergangenen Jahre. In der Arbeitsmarkt-, Steuer- wie Sozialpolitik soll es etwas weniger brutal zugehen und Italiens Militärengagement im Irak umgehend beendet werden (im Konsens mit den irakischen Behörden allerdings, wie es heißt, wenn nicht näher definierte "Sicherheitsbedingungen" garantiert sind. Nicht nur darüber gibt es innerhalb des heterogenen Bündnisses bereits jetzt Streit, der im Falle eines Wahlsieges nur vorübergehend verstummen dürfte.



Wahlen zum italienischen Abgeordnetenhaus 2001

Parteien / Koalitionen2001 (Stimmen in %)1996 (Stimmen in %)

Linksdemokraten16,621,1

Margherita (Volkspartei/ Liste Dini)14,511,1

Grüne/Sozialisten (Girasole)2,22,5

Italienische Kommunisten1,7-

Allianz "Ulivo" gesamt34,034,7

Forza Italia29,420,6

Alleanza Nationale12,015,7

Lega Nord3,910,1

CCD/CDU3,25,8

Allianz "Casa delle Libertà" gesamt39,542,1

Rifondazione Comunista5,08,6

Andere8,61,9


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