Berlusconi mit den eigenen Waffen schlagen

ITALIEN Francesco Rutelli soll Mitte-Links aus der Defensive reißen. Für den Erfolg bürgt der Amerikaner Stan Greenberg - der Wahlkampfmanager Al Gores

Offiziell soll der Kandidat erst am 21. Oktober bestimmt werden, aber entschieden ist die Sache schon seit Ende September: Nach dem Verzicht des amtierenden Premiers Giuliano Amato wird der römische Bürgermeister Francesco Rutelli den Mitte-Links-Block bei den Wahlen im Frühjahr 2001 anführen - als Kontrahent Silvio Berlusconis, dessen Rechtsbündnis Haus der Freiheiten (casa delle libertà) bislang wie der sichere Sieger aussieht. Durch die Nominierung Rutellis ist nun alles wieder offen. Wie es scheint, hat das italienische Regierungslager kurz vor Toresschluss den richtigen Mann für die Mission gefunden, dem Rechtsblock Paroli zu bieten. Rutelli gilt als übermäßig ehrgeiziger Politprofi, der weiß, ohne starkes Team wäre er zum Scheitern verurteilt.

Team-Manager ist der amerikanische Politikwissenschaftler Stanley (»Stan«) Greenberg, der sich als Berater von Clinton, Blair, Schröder und Barak einen gewissen Anteil an deren Wahlsiegen zuerkennen darf. Zur Zeit dient Greenberg auch dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore. Um dessen allzu kühle Blässe etwas aufzuhellen, hatte er sich zu dem Einfall durchgerungen, Al Gore auf dem Nominierungsparteitag im August - allerdings erst nach angeblich 40-minütiger Probe - »ganz spontan« und keineswegs flüchtig seine Frau küssen zu lassen - seither sind die Sympathiewerte des Demokraten deutlich gestiegen.

Auch in Rutellis Kampagne spielt die potenzielle First Lady, die Publizistin Barbara Palombelli, eine Hauptrolle. Mit seiner wahlstrategischen Orientierung dürfte Greenberg bei Rutelli daher offene Türen einrennen: Entscheidend seien die Stimmen der Neuen Mitte, der angeblichen »Leistungsträger«, die sich vom wohlfahrtsstaatlichen Denken der traditionellen Linksparteien abgestoßen fühlten. Greenberg prägte Ende der Achtziger den Slogan »the forgotten middle class«.

Zu den »Vergessenen« gehört Rutelli nun allerdings nicht - böse Zungen sticheln, er habe in seinem Leben noch nie wirklich gearbeitet. Geboren 1954, ist er seit 20 Jahren Berufspolitiker. Zunächst Generalsekretär für Marco Pannellas Partito Radicale, wechselte er später zu den Grünen und wurde Parlamentsabgeordneter; im vergangenen Jahr dann gehörte er zu den Mitbegründern der Democratici um Romano Prodi und Antonio Di Pietro (letzterer hat inzwischen schon wieder eine eigene Gruppierung gegründet).

International bekannt wurde Rutelli Ende 1993, als er in der Stichwahl um das Amt des Bürgermeisters von Rom den neofaschistischen Kandidaten Gianfranco Fini knapp hinter sich ließ. Damals hatte sich Silvio Berlusconi offen auf die Seite Finis gestellt und damit die bis dahin ausgegrenzten Neofaschisten auch auf nationaler Ebene koalitionsfähig gemacht, um wenige Monate später gemeinsam mit ihnen die Wahlen zu gewinnen. Erst im April 1996, unter Romano Prodi, konnte das Mitte-Links-Bündnis Ulivo den Spieß umdrehen.

In Italien verlief die darauf folgende Regierungsarbeit besonders glanzlos. Zwei Ministerpräsidenten, Romano Prodi und Massimo D'Alema, wurden verschlissen; der dritte, Giuliano Amato, ist zwar noch im Amt, wurde aber durch seinen erzwungenen Verzicht auf eine erneute Kandidatur ebenfalls demontiert. Seine Mitstreiter werfen ihm nicht etwa politische Fehler, sondern ausschließlich persönliche Defizite vor: Er sei zu klein, zu unansehnlich, seine Stimme zu schwach, sein Ton zu professoral.

Nun kommt also Rutelli, der gut aussehende Strahlemann. Im Grunde laufen Greenbergs Empfehlungen darauf hinaus, Berlusconi mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: Letzterer gilt als unübertroffener Animateur, der Menschen für eine diffuse, durch nichtssagende Formeln (»Wechsel«, »Hoffnung«, »Freiheit«) umschriebene Sache begeistern kann. Ganz ohne politische Botschaft wird Rutelli dabei nicht auskommen. Auch Stan Greenberg weiß: Vier bis fünf zündende Slogans sind schon nötig, um das Wahlvolk zu mobilisieren. Sonst könnte es passieren, dass die ohnehin enttäuschten Stammwähler der Linken gar nicht erst zur Wahl gehen. Vor allem soll Aufbruchstimmung verbreitet werden - es gelte, den »Geist des Ulivo« neu zu beleben. Rutelli, »der kleine Prodi« (Prodino), setzt auf Symbole und will mit demselben Bus auf Wahlkampf-Tour gehen, mit dem Prodi 1996 seinen persönlichen Giro d'Italia absolvierte. 80.000 Aktivisten zählten die Ulivo-Komitees damals. Ob sie erneut zu mobilisieren sind, hängt auch vom Geschick des neuen Kandidaten ab, der gerade vielen Linken als Opportunist gilt. Hatte er als Ziehsohn Pannellas den antiklerikalen Agitator gegeben, so ließ er sich vor fünf Jahren durch den Kardinal Silvestrini noch einmal kirchlich trauen. Das wurde allgemein als ostentative Abkehr eines Karrierepolitikers von seinen »Jugendsünden« verstanden.

Neben der mediengerechten Dauerpräsentation des Kandidaten darf natürlich die Architektur des Wahlbündnisses nicht vernachlässigt werden. Vor allem müssen Abspaltungen an seinen Rändern verhindert werden. Sorgen bereitet der unberechenbare ehemalige Staatsanwalt Di Pietro, der mit seinem Hang zum Populismus eher ein Mann der Rechten ist. Spaltungstendenzen gibt es auch bei der aus der Democrazia Cristiana (DC) hervorgegangenen Volkspartei (PPI). Auch die größte Gruppierung im Bündnis, die Partei der ex-kommunistischen Linksdemokraten (DS), ist weniger monolithisch als sie gern erscheinen würde. Aber auch hier gilt, dass die Siegeschance bis auf weiteres disziplinierend wirken dürfte.

Schließlich wird man sich mit Rifondazione Comunista (RC) zu arrangieren haben. Ein erstes Treffen zwischen Rutelli und RC-Sekretär Bertinotti hat bereits stattgefunden, noch bevor Amato seinen Verzicht erklärte. Bertinotti ist klug genug, auf Extratouren zu verzichten. Bei den Wahlen der Jahre 1999/2000 (Europa- wie Regionalwahlen) erreichte seine Partei weniger als fünf Prozent (1996 waren es immerhin noch 8,6).

Gegenüber den Regionalwahlen vom April muss das Mitte-Links-Bündnis nun innerhalb eines halben Jahres mehr als fünf Prozentpunkte Rückstand auf den Rechtsblock aufholen. Aus Sicht der europäischen Linken ist der Ausgang der Wahl von großer Bedeutung - denn ein Sieg der Rechten würde ähnlichen Projekten auch in anderen Ländern Auftrieb verleihen. Ein Sieg von Mitte-Links wäre allerdings nicht frei von eher unerfreulichen Nebenwirkungen. Nicht nur, dass die siegreiche Linke aller Voraussicht nach rechte Politik betreiben würde. Hinzu kommt, dass Rutellis Kampagne die politische Verblödung weiter voran treibt: noch mehr Personalisierung, noch mehr Show, noch weniger Inhalte, und diese reduziert auf platte Slogans.

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