Vorübergehend kam auch in Italien Neuwahlstimmung auf, zumindest bei den Oppositionsparteien. Seit Mai hatten sie Silvio Berlusconi mehrfach aufgefordert, dem Beispiel des deutschen Kanzlers zu folgen, inzwischen aber spricht vieles dafür, dass der Premier seine Amtszeit bis zum Ende auskosten will - gewählt würde dann spätestens im Mai 2006.
An der Nominierung des ehemaligen Christdemokraten Romano Prodi zum Herausforderer Berlusconis besteht kaum ein Zweifel. Endgültig bestätigt werden soll der Spitzenkandidat durch die vom Mitte-Links-Bündnis Unione veranstalteten Vorwahlen (primarie) am 15. und 16. Oktober. Daran teilnehmen darf, wer seinen Wählerausweis vorzeigt, mindestens einen Euro spendet und die Grundsatzerklärung von Unione - das "Projekt für Italien" - anerkennt. Jeder darf nur dort abstimmen, wo er oder sie gemeldet ist; die Wählerliste kann eingesehen werden. Eine Verfälschung des Ergebnisses durch rechte Unterwanderung ist damit zwar nicht ausgeschlossen, aber erschwert.
"Einige Hunderttausend" sollten sich an dem bislang in Italien unüblichen Urnengang nach US-Vorbild beteiligen, findet Romano Prodi. Sieger sei auch, wer nur eine Stimme mehr habe als sein Herausforderer; auch das denkbar knappste Ergebnis würde ihn legitimieren, seine "Prioritäten" in der Wahlallianz durchzusetzen. Im Übrigen sei er natürlich verpflichtet, "die Themen und Empfindlichkeiten der anderen Kandidaten in Rechnung zu stellen".
Das ist ziemlich vage und kann darauf hinaus laufen, dass die politisch heterogene Mitte-Links-Opposition zur Ein-Mann-Show wird. Wie sehr die Vorwahlen die in Wahlkämpfen ohnehin unvermeidliche Personalisierung noch steigern, brachte die Journalistin Rossana Rossanda in einem Kommentar der kommunistischen Zeitung Il Manifesto auf den Punkt: Prodis Ausspruch "Wer gewinnt, bestimmt das Programm", erinnere allzu sehr an Berlusconis: "Vertraut mir, dann sehen wir weiter!" Auch von Fausto Bertinotti (Rifondazione Comunista), Prodis wichtigstem Konkurrenten innerhalb der Unione, erwarte sie mehr als den Bezug auf die globalisierungskritische Bewegung von Seattle und Genua.
Bislang aber verzichtet Bertinotti ausdrücklich auf eine ausformulierte Alternative zu Prodi. Er begründet das damit, dass sonst die Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms nicht mehr möglich sei. Während Prodi im gelben Bus durch Italien tourt, reist Bertinotti mit Vorort- und Regionalzügen, um mit den Pendlern ins Gespräch zu kommen. Dass er in erster Linie zuhören und von "den einfachen Leuten" lernen will, mag ebenso sympathisch erscheinen wie sein betont uneitel angelegter Wahlspot: Darin kommen diverse Sympathisanten zu Wort - unter ihnen afrikanische Migranten - um den "multi-ethnischen" Charakter des Einwanderungslandes Italien zu betonen. Offenheit für eine andere Alltagskultur zeigt Bertinotti auch in der Frage der Homo-Ehe. Während Teile der Unione hier - auch aus Rücksicht auf die immer noch mächtige katholische Tradition - ängstlich agieren, hat Bertinotti sich die Forderungen der Schwulen- und Lesbenbewegung zu eigen gemacht.
Insgesamt dient sein Giro d´Italia wohl dem gleichen Zweck wie die weniger spektakulären Kampagnen der übrigen Kandidaten, unter ihnen der ehemalige Staatsanwalt Antonio Di Pietro, der Grüne Alfonso Pecoraro Scanio und der Christdemokrat Clemente Mastella: Alle wollen auf sich und ihre "Prioritäten" aufmerksam machen. Im Unterschied zu den Genannten kann Bertinotti immerhin glaubhaft machen, dass es ihm nicht um einen Posten in einer möglichen Mitte-Links-Regierung geht. Für ihn und seine Partei steht vor allem der Beschluss über ein Regierungsprogramm der Unione im Vordergrund, den es voraussichtlich im Dezember geben soll.
Für Konflikte sorgen die Fragen. Soll das 2003 vom Rechtsblock beschlossene Gesetz zu "Beschäftigung und Arbeitsmarkt" (Legge 30) ganz oder nur in seinen schlimmsten Teilen zurückgenommen werden? Was geschieht mit der unsozialen Bildungsreform der Ministerin Letizia Moratti - was mit den "Aufnahmezentren" für Immigranten, die Bertinotti schlicht "Lager" nennt? Sollen die italienischen Truppen sofort aus dem Irak abgezogen werden oder erst nach und nach, wie es gemäßigte Unionisten verlangen?
Die bisher geltende Grundsatzerklärung der Unione gibt auf diese Fragen keine Antworten, so dass vieles darauf hindeutet, dass sich Rifondazione Comunista - die Partei der "kommunistischen Neugründung" - auch nach einem möglichen Wahlsieg über Berlusconi weiter an der Quadratur des Kreises versuchen und gleichzeitig "Kampf- und Regierungspartei" sein wird. An diesen alten - und nie eingelösten - KP-Slogan aus den Zeiten des "Historischen Kompromisses" mit der Democrazia Cristiana (DC) erinnert das Mailänder Bürgerblatt Corriere della Sera, das zugleich Bertinotti mit den Worten zitiert: "Berlusconi zu verjagen ist notwendig, aber es reicht nicht - um Italien zu verändern, bedarf es eines Gesellschaftsentwurfs für die nächsten 20 Jahre."
In der Unione dürfte der kaum durchsetzbar sein, für den Sieg über Berlusconi könnte es freilich reichen: Umfragen sehen Mitte-Links mit 36 Prozent deutlich vor dem regierenden Rechtsblock, der nur auf 27 Prozent kommt. 37 Prozent der Befragten sind unentschlossen - Zweifel an der bisher diagnostizierenden "Wechselstimmung" scheinen angebracht.
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