Das Gespenst heißt Veltrusconi

Italiens Wahl Dem Land droht mittelfristig ein Zwei-Parteien-System ohne linke Opposition

Erst gegen Ende des Wahlkampfs fand Silvio Berlusconi zu gewohnter Form zurück. Hatte er bis dahin vergleichsweise zurückhaltend gewirkt, geiferte er nun gegen die verkappten Kommunisten von der Demokratischen Partei (PD) und ihr "stalinistisches" Projekt, mit Hilfe massenhafter Einwanderung aus Afrika und Asien die italienische Bourgeoisie zu stürzen. Auch persönliche Angriffe auf seinen Kontrahenten, den PD-Spitzenkandidaten Walter Veltroni, fehlten nicht: Der habe in seinem ganzen Leben noch nie gearbeitet, betrachte Polizisten als "Arbeiterverräter" und wolle die Bischöfe zum Schweigen bringen, um "Friedhofsruhe wie in der Sowjetunion" zu erzwingen.

Dem Vaterland droht also wieder einmal höchste Gefahr, doch "zum Glück gibt es Silvio" - so der Titel eines von Andrea Vantina komponierten Liedes, das zur Wahlkampf-Hymne von Forza Italia wurde. Man könnte in Berlusconis bizarrer Rhetorik ein Zeichen wachsender Nervosität sehen. Das mit der Lega Nord verbündete Volk der Freiheit ("Popolo della libertà" - PdL) liegt wohl in allen Umfragen noch vor der Demokratischen Partei, so dass der Rechtsblock in der Abgeordnetenkammer aller Voraussicht nach künftig über 340 Sitze verfügen dürfte, weil nach geltendem Wahlrecht der siegreichen Liste eine Mehrheitsprämie zugesprochen wird. Die restlichen 290 Mandate werden sich die Demokratische Partei und die Gruppierungen teilen müssen, denen es gelingt, über die Vier-Prozent-Hürde zu springen. Weniger eindeutig jedoch dürfte die Wahl zur zweiten Kammer, dem Senat, ausfallen. Hier gilt eine Sperrklausel von acht Prozent, bezogen auf die in ihrer Bevölkerungszahl sehr unterschiedlich großen 20 Regionen. Nach einer von der Zeitung Il Messaggero veröffentlichten Studie könnte La Sinistra l´Arcobaleno ("Die Linke des Regenbogens") zum Zünglein an der Waage werden und durchaus einen Sieg des Rechtsblocks verhindern.

Die Linke hat die Rechenmodelle der Wahlforscher dankbar aufgegriffen und die Argumentation mit der "nützlichen Stimme" gegen ihren Erfinder Veltroni gekehrt. Der hatte schon frühzeitig eine erneute Mitte-Links-Allianz ausgeschlossen und beharrlich die auch aus Deutschland bekannte These wiederholt, eine Stimme für die Linke sei de facto eine für die Rechte, also nicht "nützlich", sondern verschenkt. Staatspräsident Napolitano erinnerte daraufhin an die demokratische Selbstverständlichkeit, jede Stimme sei "nützlich", zumal in Zeiten wachsender Parteienverdrossenheit. Durchdringen konnte er mit dieser Intervention freilich nicht: Die Medien berichten fast ausschließlich über den Zweikampf der beiden großen Blöcke und ihrer Spitzenkandidaten. Berlusconis Sender gewähren dabei wie gewohnt ihrem Vorturner mit Abstand die meiste Sendezeit - von fairen Bedingungen kann auch bei dieser Wahl keine Rede sein.

Walter Veltroni setzt nach außen weiter auf Sieg. Er will an die Politik der Mitte-Links-Koalitionen seit 1996 anknüpfen, auch an die der gerade gescheiterten Regierung Prodi. Diese habe gute Arbeit geleistet, deutlichere Erfolge seien allein durch die radikale Linke verhindert worden, so die Sprachregelung. Jüngeren Wählern der Linken macht das Regierungsprogramm der PD denn auch einige Angebote, vorrangig in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Gefordert werden garantierte Mindestlöhne, weniger befristete Arbeitsverträge und günstige Kredite für Existenzgründer; auch für neue Kindergartenplätze und bezahlbare Mietwohnungen wollen die Demokraten sorgen. Finanziert werden soll das durch mehr Wirtschaftswachstum.

Unmissverständlich steuert die Demokratischen Partei Richtung "Mitte". Die dem Regierungsprogramm vorangestellte Präambel Italien in der sich ändernden Welt könnte - abgesehen von der Kritik am Irak-Krieg - auch Berlusconi unterschreiben. Sie enthält Bekenntnisse zum Einsatz der eigenen Streitkräfte in Afghanistan, zur NATO und zur Freundschaft mit den USA. Innere Sicherheit sei die erste von "zehn Säulen" künftiger Regierungspolitik, verankert durch "Härte" - nicht zuletzt gegen Kriminalität und illegale Einwanderung. Gut ausgebildete Migranten dürfen ins Land, bei unerwünschten wird nicht lange gefackelt. Die noch amtierende Regierung Prodi hat hier ein letztes Zeichen gesetzt und einen Erlass zur beschleunigten Abschiebung auch von straffälligen EU-Bürgern zum Gesetzesdekret erhoben. Dies und die Stimmungsmache gegen rumänische Roma wirken nicht sonderlich appetitlich und sind in etlichen EU-Ländern auf Kritik gestoßen.

Insgeheim dürfte sich Veltroni mit seiner Niederlage abgefunden haben. Programm und Wahlkampf der Demokraten sollen dem mutmaßlichen Sieger wohl auch die Bereitschaft zum Schulterschluss hier und da signalisieren. Silvio Berlusconi gibt sich bei derartigen Avancen - ungeachtet seiner Tiraden gegen die "Kommunisten" - betont aufgeschlossen. Er weiß sehr wohl, dass er seine Wahlplattform nicht zur Gänze umsetzen kann, ist sie doch weitgehend identisch mit den Wünschen des Unternehmerverbandes Confindustria. Dessen Präsident Luca Cordero di Montezemolo hatte die ihm von Veltroni angebotene Kandidatur ausgeschlagen und statt dessen den Rechten einen Zehn-Punkte-Katalog in den Schoß geworfen. Silvio Berlusconi hatte keine andere Wahl, als sofort den vollständigen Konsens mit Montezemolos "Zehn Geboten" (Il Manifesto) zu verkünden: Weniger Staat, aber mehr Macht für den Regierungschef; weitere Privatisierungen; Reduzierung von Abgaben und Unternehmenssteuern; öffentliche Investitionen in Großprojekte; fallende Energiepreise durch den Bau von Atommeilern - weitere Zumutungen dieser Güte.

Da der Demokratischen Partei selbstmörderische Absicht fremd sein dürften, lässt sich auf einem solchen Fundament keine große Koalition errichten. Wahrscheinlich bleibt hingegen eine "große Übereinkunft" beider Lager, um Verfassung und Wahlrecht zu reformieren. Auch Veltroni will die Exekutive stärken; das von ihm reklamierte Mehrheitswahlrecht nach französischem Muster würde die linke Opposition aus dem Parlament fegen. Heraus käme das, was der renommierte Politologe Giorgio Galli ein "verspätetes Zweiparteiensystem" nennt: Der von ihm selbst einst befürwortete Bipolarismus habe seinen Sinn verloren, weil sich die konkurrierenden Blöcke immer ähnlicher würden. (Il Manifesto vom 2. April 2008) Spötter haben der perfekten Galionsfigur eines solchen Systems schon einen Namen gegeben: Veltrusconi. Um so mehr wäre ein Achtungserfolg der Regenbogenlinken zu wünschen, um die drohende Verwüstung der Parteienlandschaft zu verhindern. Allein ein achtbares Ergebnis am 13. April könnte - so die Hoffnung - Veltroni bewegen, die linken Parteien von Rifondazione Comunista bis zu den Grünen - vor allem aber deren Anhang - nicht völlig aus den Augen zu verlieren.

Die "großen Alten" der italienischen Linken wie Alberto Asor Rosa (74), Rossana Rossanda (83) oder Pietro Ingrao (93) versuchen alles, um potenzielle Wähler zu motivieren. Kein leichtes Unterfangen, denn die enttäuschende Bilanz der Regierung Prodi belastet auch die jetzt fusionierten vier Linksparteien, die an dieser Regierung beteiligt waren. Was sie hoffen lässt, ist die Tatsache, dass sich knapp ein Drittel der Wähler bis in die letzte Woche vor dem Wahltag hinein noch nicht entschieden haben will.

Jens Renner ist seit Mitte der neunziger Jahre Italien-Kommentator und -korrespondent für den Freitag.

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