Das hohe Ross des selbstlosen Vollstreckers

Italien Mario Monti hat sich in seinen ersten 100 Tagen als Premierminister von der Person Silvio Berlusconi klar abgesetzt, nicht aber von dessen Politik

Für seinen Vorgänger gehörte das Selbstlob zum Alltag wie der Espresso. Aber auch Premier Mario Monti ist stolz auf das, was seine Regierung in nur drei Monaten geleistet hat. Im Unterschied zu Silvio Berlusconi findet der amtierende Ministerpräsident auch anerkennende Worte für andere: die EU-Partner, allen voran die deutsche Kanzlerin; die Parlamentsmehrheit, die ihn stützt; Unternehmer und Gewerkschaften; schließlich „die Bürger“, die seine schmerzhaften Reformen annehmen und damit „Reife“ beweisen würden. Einzig die Finanzmärkte, so Monti, müssten noch überzeugt werden, dass Italien für sie „ein sicherer Ort“ sei, in den es sich zu investieren lohne.

Als Wirtschaftsexperte ohne dauerhafte politische Ambitionen kann Monti den Part des selbstlosen Vollstreckers einer angeblich alternativlosen Politik für viele überzeugend verkörpern: Demonstrativ verzichtet er auf sein stattliches Gehalt als Regierungschef. Eine weitere Amtszeit nach dem Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2013 schließt er aus. Da er also keine Rücksicht auf die Wähler zu nehmen brauche, könne er das tun, was im Interesse des „Allgemeinwohls“ notwendig, wenn auch in Teilen unpopulär sei.

So weit die Legende. In Wahrheit ist die Politik der Regierung parteiloser „Techniker“ weder alternativlos noch sozial ausgewogen. Das Anfang Dezember dekretierte Sparprogramm in Höhe von 33 Milliarden Euro belastet Millionen von Pensionären, die künftig ohne Inflationsausgleich auskommen müssen. Und die Wiedereinführung der Immobiliensteuer trifft auch Geringverdiener, denn 80 Prozent der Italiener verfügen über eigenen Wohnraum. Hinzu kommt ein Plus bei der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte, bezahlt vorrangig von denen, deren schmales Einkommen gerade einmal für die Dinge des täglichen Bedarfs reicht. Die neu eingeführte Luxussteuer auf Yachten und teure Autos bringt dagegen wenig; sie soll offenbar demonstrieren, dass auch die Reichen zur Kasse gebeten werden.

Künftig will der Premier, der zugleich das Wirtschafts- und Finanzressort führt, weniger über neue Sparmaßnahmen als vielmehr über Mittel nachdenken, mit denen sich ein Wirtschaftsaufschwung fördern lässt. Nur so könne Italien den Weg aus der Schuldenkrise finden, sagt Monti.

Artikel 18 kassieren

Zweierlei schlägt er vor: öffentliche Dienstleistungen noch durchgreifender privatisieren, um Konkurrenz zu stimulieren, und den Arbeitsmarkt reformieren. Letzteres verkauft Monti als Allheilmittel, mit dem nicht nur Wachstum möglich, sondern auch soziale Gerechtigkeit durchgesetzt werde. Fallen soll der Artikel 18 des in den siebziger Jahren erkämpften „Arbeiterstatuts“: Danach genießen Festangestellte einen im internationalen Vergleich außergewöhnlichen Kündigungsschutz. Die Bannerträger des Neoliberalismus, zu denen auch Monti gehört, behaupten nun, dieser Artikel verhindere Neu-Einstellungen, weil die Unternehmen Arbeitsverträge kaum wieder kündigen könnten. Sei dieses Hindernis erst geschleift, entstünden massenhaft neue Arbeitsplätze. Alle würden profitieren: die Unternehmen ebenso wie jüngere Italiener, die derzeit das Gros der Erwerbslosen stellen, und nicht zuletzt der mit 1,9 Billionen Euro verschuldete Staat.

Mit diesem Ansinnen liegt Monti voll auf der Linie Berlusconis, dessen Parteigänger vom Volk der Freiheit (PdL) denn auch begeistert Beifall klatschen. Die Demokratische Partei (PD) hingegen findet es nicht nachvollziehbar, dass Kündigungsschutz Investitionen verhindern soll. Den heftigsten Widerstand leistet der linke Gewerkschaftsbund CGIL: Es sei Monti, der potenzielle Geldgeber abschrecke, wenn er ständig auf den Artikel 18 als Investitionshindernis verweise. Für 2012 rechnet die CGIL ohnehin mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenquote, die im Landesdurchschnitt bei acht Prozent, im Süden aber weit höher liegt.

Um den Kündigungsschutz zu verteidigen, wäre gemeinsames gewerkschaftliches Handeln – der CGIL und der weiter rechts angesiedelten Verbände CISL und UIL – geboten. Eine solche Einheitsfront gibt es freilich nur in Ansätzen: Der Generalstreik im Dezember, der sich gegen die Rentenreform richtete, war der erste seit vielen Jahren, zu dem alle drei konkurrierenden Gewerkschaftsbünde aufgerufen hatten. Er blieb weitgehend symbolisch. Selbst Monti wunderte sich, dass „nur für drei Stunden“ die Arbeit niedergelegt worden sei. Zwar streikten einige Syndikate auch den ganzen Tag, allen voran die kampfstarke Metaller-Gewerkschaft FIOM als Teil der CGIL. Sichtbare Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben hatten aber allein Straßenblockaden der Transportunternehmer und Taxifahrer, denen eherne Besitzstände aus den Händen zu gleiten drohen. Für ihre Lizenzen mussten sie in der Vergangenheit bis zu 200.000 Euro bezahlen, konnten sie aber – unter anderem zur Alterssicherung – ebenso teuer weiterverkaufen. Die von der neuen Regierung geplante kostenlose Vergabe von Taxi-Lizenzen würde dieses Geschäft zunichtemachen.

Ende März gedenkt Monti, seinen Angriff auf die Arbeitnehmerrechte abzuschließen – an seiner Seite den Industriellenverband Confindustria, der generell Flächentarife durch Haustarife ersetzen wird, während FIAT-Manager Sergio Marchionne die gewerkschaftliche Interessenvertretung beschneiden will. Namentlich Aktivisten der FIOM fühlen sich an die fünfziger Jahre erinnert, als Gewerkschafter fast in die Illegalität gedrängt wurden. Mit den harten Schnitten beim Kündigungsschutz betreibe Monti eine „konservativ-liberale, rechte Politik“, sagt Nichi Vendola von der linken Partei Sinistra, Ecologia, Libertà (SEL). Welches Etikett man ihm auch zugesteht – Mario Monti könnte mit der Arbeitsmarktreform gelingen, was Berlusconi jahrelang vergeblich versucht hat.

Jens Renner ist Italien-Autor des Freitag

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