Christdemokratisch sozialisiert: die italienische Staatsführung
Foto: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images
Es war ein Abgeordneter der rechten Lega Nord, der jüngst bei einer Parlamentssitzung eine alte Ausgabe der kommunistischen Tageszeitung il manifesto in die Kameras hielt: „Wir sterben nicht als Christdemokraten!“ – so lautete im Juni 1983 deren Schlagzeile. Bei den Wahlen damals war die Democrazia Cristiana (DC) eingebrochen; jetzt schien eine Allianz von Kommunisten (PCI) und Sozialisten (PSI) möglich. Es kam anders: Bis zu ihrem unrühmlichen Ende im Sog eines Korruptionsskandals Anfang der neunziger Jahre blieb die DC Maß aller Dinge. Nun mehren sich die Anzeichen, dass sie als Partito Democratico (PD) auferstehen könnte. Premier Matteo Renzi wurde – ebenso wie der neu gewählte Staatspräsident Sergio Mattarella – in der Ch
ent Sergio Mattarella – in der Christdemokratie sozialisiert, bevor er sich der PD-Gründung zuwandte.2007 als Zusammenschluss der postkommunistischen Linksdemokraten mit der katholischen Margherita entstanden, wird der PD außerhalb Italiens meist als sozialdemokratisch gedeutet. Renzi – Parteichef und Ministerpräsident in Personalunion – hat dem noch nie widersprochen. Nach seinem kaum erwarteten Erfolg bei der Europawahl im Mai 2014 (40,8 Prozent) lancierte er freilich einen neuen Slogan: die „Partei der Nation“, die auch Teile der Rechten einbinden soll. Und nicht nur das – nachdem Renzi im Vorjahr einige Abgeordnete der linksökologischen Partei SEL (Sinistra Ecologia Libertà) auf seine Seite ziehen konnte, schlossen sich unlängst fast alle Parlamentarier von Mario Montis neoliberaler Scelta Civica der PD-Fraktion an.Sieben LebenZweifellos ein Triumph für Renzi, dem derzeit viel gelingt, jedenfalls machtpolitisch. Sein Taktieren vor dem Votum über den Napolitano-Erben im Präsidentenamt wird zuweilen als meisterhaft gelobt. Anders als 2013 – als mehrere Bewerber durchfielen und Giorgio Napolitano zum Weitermachen genötigt war – hat Renzi seinen Kandidaten reibungslos durchgebracht. Im vierten Wahlgang hätte Sergio Mattarella fast eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Für ihn stimmten: nicht nur der gesamte PD, sondern auch die linksoppositionelle SEL, die rechte Mitte des mitregierenden Nuovo Centrodestra (NCD), dazu sogar Teile von Silvio Berlusconis Forza Italia. Der hatte Stimmenthaltung verordnet, sah sich aber mit massiven Eigenmächtigkeiten seiner Leute konfrontiert.Keine Frage, Cavaliere Berlusconi war der Verlierer des Machtspiels um die Wahl des Staatspräsidenten, schließlich ist der linke Christdemokrat Mattarella seit Jahrzehnten sein Intimfeind. 1990 trat er als Bildungsminister der Regierung Andreotti zurück, weil er das auf die Privatinteressen Berlusconis zugeschnittene Rundfunkgesetz nicht mittragen wollte; einige Jahre später widersetzte er sich der Aufnahme von Berlusconis Forza Italia in die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP).Fraglich ist nun, ob die strategische Allianz weiter Bestand hat, die Renzi im Januar 2014 – bevor er Regierungschef wurde – mit Berlusconi schloss. Gilt noch der „Patto del Nazareno“, so genannt nach dem Ort der Verhandlungen in der Via del Nazareno in Rom, wo der PD seine Parteizentrale hat? Dieser Pakt sei tot, befinden die einen; er habe sieben Leben, meinen die anderen. Argumente gibt es für beides. Renzi ist auf seinen rechten Partner kaum noch angewiesen, weil er auch ohne ihn auf parlamentarische Mehrheiten hoffen kann. Andererseits bleiben die Gemeinsamkeiten dieser sehr speziellen Großen Koalition erhalten. Demnächst soll die Wahlrechtsreform endgültig verabschiedet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf mit dem Namen „Italicum“ konserviert wichtige Bestimmungen des alten Wahlgesetzes („Porcellum“), das vom obersten Gericht in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde.Gewerkschaften scheren ausEs soll wie bisher einen Mandatsbonus für die siegreiche Liste geben, vorausgesetzt, sie erreicht 40 Prozent der abgegebenen Stimmen; bleibt sie darunter, folgt der zweite Wahlgang mit einem Stechen zwischen den beiden stärksten Listen. Wer gewinnt, kommt mit Hilfe des Bonus auf eine komfortable 55-Prozent-Mehrheit der Sitze. Begründet wird das seit jeher mit der Regierbarkeit des Landes, die klare parlamentarische Mehrheiten erfordere. Von links kritisiert wird die Festlegung auf „blockierte“ Spitzenkandidaten in den 100 Wahlkreisen. Das heißt, gewinnt eine Partei dort ein oder mehrere Mandate, zieht in jedem Fall der „Capolista“, der Listenführer, ins Parlament ein. Daran will Berlusconi nicht rütteln lassen, solange es dabei bleibt, dass er seine Kandidaten selbst nominiert. Einzige Konzession an kleinere Parteien: Die ursprünglich auf acht Prozent angehobene Sperrklausel soll nun bei drei liegen.Augenblicklich sendet Berlusconi fast täglich widersprüchliche Signale. Mal bekennt er sich zum Pakt mit Renzi, dann entdeckt er plötzlich, dass der junge Regierungschef rüde und autoritär mit ihm umspringe, und stellt die Allianz grundsätzlich in Frage. Vermutlich handelt es sich mehr um Botschaften an die eigene Basis. Die fühlt sich wegen ihrer Zuschauerrolle bei der Wahl Mattarellas alles andere als amüsiert. Am linken Rand des PD herrscht dagegen Ruhe. Hier wissen alle, dass sich die – rechnerische – Mitte-links-Mehrheit nicht in ein neues Mitte-links-Bündnis umsetzen lässt. SEL, die einzige linke parlamentarische Opposition, erklärte gleich nach Mattarellas Amtseinführung, nun werde sie wieder ausscheren und gegen Renzis Projekt einer (christdemokratischen) „Partei der Nation“ wie gegen die nächsten sozialen Zumutungen kämpfen.Umso mehr bleibt Renzi unbeirrt und insistiert, seine Politik trage Fürchte: Von November auf Dezember 2014 sei die Erwerbslosenquote um 0,4 Prozent auf 12,9 Prozent gesunken – ein Praxistest für den Jobs Act, der den Kündigungsschutz aushöhlt und noch mehr befristete Arbeitsverhältnisse möglich macht. Tatsächlich ist der Trend innerhalb eines Monats ohne Aussagewert – gegenüber dem Dezember 2013 nämlich ist die Arbeitslosenrate um 2,9 Prozent gestiegen. Sergio Cofferati, langjähriger Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes CGIL, ist jüngst aus Protest gegen Renzis Spar- und Arbeitsmarktpolitik aus dem PD ausgetreten. Und sein Kollege Maurizio Landini von der kampfstarken Metallergewerkschaft FIOM torpediert die Regierung mit drei Forderungen: Sie müsse eine echte Steuerreform beschließen, die Korruption bekämpfen und die Renten erhöhen. Alles andere sei eine Kampfansage.Nach der vielbeschworenen Einheit von politischer und gewerkschaftlicher Linker hört sich das kaum an. Es war daher wichtig, dass bei den jüngsten Meetings der Lista Tsipras in Bologna und der SEL in Mailand (Letztere unter dem Label Human Factor) alternative Ideen präsentiert wurden – nachzulesen etwa im Manifest Siamo a un bivio (Wir stehen am Scheideweg). Doch bis auf Weiteres entscheidet Renzi, wo es langgeht.
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