Der lachende Vierte

Italien Die Rechtskoalitionäre reiben sich gegenseitig auf. Ein großer Knall ist möglich
Ausgabe 31/2018
Silvio Berlusconi weiß selbst nicht so genau, ob ihm das dritte oder vierte Comeback winkt
Silvio Berlusconi weiß selbst nicht so genau, ob ihm das dritte oder vierte Comeback winkt

Foto: Alberto Pizzoli/AFP/Getty Images

Wer im Frühling fast drei Monate für die Regierungsbildung braucht, muss im Hochsommer die Ferien verschieben: Voraussichtlich kann das erste Prestigeprojekt der neuen italienischen Regierung, das „decreto dignità“ (Dekret Würde), nicht vor Anfang August in der Abgeordnetenkammer und danach im Senat beschlossen werden. Interner Streit und zahllose Änderungsanträge der Opposition ziehen die parlamentarischen Prozeduren in die Länge. Den selbst gesetzten Anspruch, Arbeitenden wie Unternehmern gleichermaßen neue „Würde“ zu verleihen und besonders den prekären Beschäftigungsverhältnissen ein Ende zu setzen, wird das Gesetz mit dem pompösen Namen verfehlen.

Die Gewerkschaften sehen in dem geplanten Gutscheinsystem für extrem kurzfristige Jobs in Landwirtschaft und Gastronomie moderne Tagelöhnerei. Unternehmenssprecher wiederum wollen am liebsten das Limit für befristete Arbeitsverträge und überhaupt jegliche Einmischung in den betrieblichen Alltag verhindern. Vorrangig die einflussreichen Firmen des Nordens erwarten von Lega-Chef Matteo Salvini, dass er ihre Geschäftsinteressen uneingeschränkt durchsetzt.

Kuscheln mit „den Märkten“

Was die Unternehmer betrieben, sei „Psychoterror“, klagte Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S), als Superminister für Arbeit, Soziales und Entwicklung federführend für das Dekret verantwortlich. Sein Parteifreund, Senator Daniel Pesco, sieht darüber hinaus geheime Mächte am Werk, die den Erfolg der selbst ernannten „Regierung des Wandels“ torpedieren wollten. Tatsächlich sind die zeitraubenden Blockaden hausgemacht. Denn de facto gehört zur regierenden Koalition aus M5S und Lega noch eine informelle dritte Kraft, die man vereinfachend die „Partei des Präsidenten“ nennen könnte. In der sammeln sich die parteilosen Minister, die im Sinne des christdemokratischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella wirken. Der prominenteste ist Wirtschaftsminister Giovanni Tria, der bei jeder Gelegenheit intoniert, für ihn stehe „Haushaltsdisziplin“ an erster Stelle. Auf dem G20-Gipfel der Finanzminister in Buenos Aires versicherte er noch einmal ausdrücklich, dass die neue Regierung alles unternehmen werde, „um das Vertrauen der Märkte zu erhalten und Instabilität zu vermeiden“. Was auch bedeutet: Neue Schulden für kurzfristig greifende Reformvorhaben sind mit ihm nicht zu machen.

Trias Botschaft richtete sich nicht nur an die Finanzmärkte und die EU – auch an die beiden Vizepremiers Di Maio und Salvini. Die wiederholen ungerührt, ihre im Wahlkampf verkündeten kostspieligen Projekte zügig anpacken zu wollen. Für Di Maio ist das vordringlichste ein befristetes Arbeitslosengeld mit dem irreführenden Namen „reddito di cittadinanza“ (Bürgereinkommen). Salvini dagegen will vor allem Steuersenkungen und angehobene Minirenten. Allerdings wird ohne neue Schulden nichts davon zu finanzieren sein. Di Maio wünscht sich denn auch ein „mutiges“ Haushaltsgesetz, während Salvini zugleich die von der EU verfügten Sparzwänge angreift. Ab September könnte es darum in der Regierung ein Hauen und Stechen geben – zwischen Tria auf der einen, Di Maio und Salvini auf der anderen Seite, aber auch zwischen Letzteren: Die Konkurrenz ihrer Parteien verlangt, dass beide gleichzeitig Erfolge vermelden können.

Das Umfragehoch der Lega beruht bisher vor allem auf Salvinis brutalem Kurs bei der Flüchtlingsabwehr. Für den Herbst hat er – im Rahmen eines „Sicherheitspakets“ – weitere Maßnahmen angekündigt. Dazu gehören neue Abschiebezentren und die Reduzierung der täglichen Unterbringungskosten für Asylsuchende von 35 auf 25 Euro. Das eingesparte Geld soll für Abschiebungen ausgegeben werden. Auf Kritik seitens der Fünf Sterne wartet man in dieser Frage vergebens. Auch der parteilose Premier Giuseppe Conte, formal immerhin mit der gleichen Richtlinienkompetenz ausgestattet wie die deutsche Kanzlerin, hält sich zurück. Donald Trump schätzt ihn, aber von seinen Vizepremiers wird er nicht ernst genommen: Zu einem von Conte angesetzten Vierergipfel erschien nur Tria. Di Maio und Salvini blieben fern: Sie hätten die Einladung „missverstanden“, hieß es zur Entschuldigung.

Vorfreude bei Berlusconi

Es wäre selbst für einen kompetenten Moderator nahezu unmöglich, die tiefen Differenzen zwischen ungleichen Partnern zu mindern und für beide Seiten akzeptable Kompromisse vorzuschlagen. Im Koalitionsvertrag stehen in solchen Fällen nur vage Formulierungen, etwa zur Frage der umstrittenen Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Turin und Lyon (TAV). Die Lega ist dafür, die Fünf Sterne sind dagegen – für ihre jahrelange Unterstützung der Protestbewegung erzielten die M5S in etlichen Gemeinden des betroffenen Susatals bei den Parlamentswahlen im März Ergebnisse zwischen 40 und 60 Prozent. Sollten sie nun aber beim TAV „umfallen“, würde sie das auch anderswo massiv Stimmen kosten. Ein ähnliches Problem haben die Fünf Sterne mit einem weiteren bisher von ihnen abgelehnten Großprojekt, der geplanten Gasleitung TAP quer durch die süditalienische Halbinsel Salento.

Wo drei sich streiten, könnte ein alter Bekannter der lachende Vierte sein: Ein unverfrorener Silvio Berlusconi erwartet den großen Knall schon im Herbst. Und er bereitet sich entsprechend vor – mit einem neuen „Generalstab“ für seine Forza Italia, die bei Neuwahlen unter verändertem Namen antreten könnte: L’altra Italia, das andere Italien. Wahrscheinlicher als ein Auseinanderbrechen der Koalition schon im Herbst ist jedoch, dass die Parlamentarier der Fünf Sterne – zum Wohle der Regierbarkeit und der eigenen Mandate – alles abnicken, was Salvini ihnen vorsetzt. Das große Kräftemessen wäre dann verschoben auf Ende Mai 2019, wenn die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen. Hier sind die Pläne Salvinis und Berlusconis nahezu deckungsgleich: Mit einem guten Ergebnis auf europäischer Ebene ließen sich auch in Rom die Mehrheitsverhältnisse zugunsten eines erneuerten Rechtsblocks verändern. Statt der Berlusconi verhassten „Dilettanten“ von den Cinque Stelle würden dann wieder echte Profis an die Schalthebel der Macht zurückkehren.

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