Ein blasses Rosa

Italien Die Sozialdemokraten deuten Korrekturen an, ein wirklicher Neustart ist aber nicht in Sicht
Ausgabe 15/2019
Der Vorsitzende der Demokratischen Partei in Italien, Nicola Zingaretti
Der Vorsitzende der Demokratischen Partei in Italien, Nicola Zingaretti

Foto: Imago/Italy Photo Press

Es ist sicher auch Zweckoptimismus im Spiel, wenn Italiens Innenminister Matteo Salvini bei jeder Gelegenheit betont: „Diese Regierung wird noch vier Jahre im Amt bleiben“ – also bis an das Ende der Legislaturperiode. Das ist durchaus möglich, auch wenn – kurz vor den Wahlen zum EU-Parlament – der Ton rauer wird in der regierenden Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S) und Lega. Als Luigi Di Maio (M5S) jüngst mit sorgenvoller Miene auf Salvinis rechtsradikale europäische Partner verwies, konterte der nicht minder rechte Lega-Chef: Di Maio solle weniger reden und mehr arbeiten. Der erwiderte, Salvini selber verbringe unzählige Stunden mit der Produktion von Selfies.

Mit solchen Sticheleien kann Salvini gut leben, zumindest solange er – obwohl nur Vizepremier wie sein Partner und Rivale Di Maio – als Italiens starker Mann im Wesentlichen die Richtlinien der Politik diktiert. Und solange seine Lega in Umfragen und bei Regionalwahlen – zuletzt in den Abruzzen, auf Sardinien und in der Basilicata – weiter zulasten der Fünf Sterne hinzugewinnt. Bei der Parlamentswahl vor einem Jahr holten die Sterne noch 32, die Lega 17 Prozent. Inzwischen ist Letztere mit gut 30 Prozent national die stärkste Kraft.

Wenn die Regierenden sich streiten, sollte davon die Opposition profitieren. Tatsächlich aber findet der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) nur mühsam einen Weg aus der Krise. Bei internen Vorwahlen (primarie) Anfang März wählten etwa zwei Drittel der mehr als 1,5 Millionen abstimmenden Mitglieder und Sympathisanten Nicola Zingaretti zum neuen PD-Sekretär. Zingaretti, geboren 1965 in Rom, politisierte sich in der Friedensbewegung und in antirassistischen Initiativen der 1980er Jahre. Im Jugendverband des Partito Comunista Italiano (PCI) machte er schnell Karriere. Nach der Umbenennung des PCI in Partito Democratico della Sinistra (PDS), dann Democratici di Sinistra (DS) blieb er Parteifunktionär, wurde 1995 Vizepräsident der Sozialistischen Internationale und 2004 Abgeordneter im EU-Parlament. Seit 2013 ist er Präsident der Region Latium. In der tausend Delegierte umfassenden Assemblea Nazionale, dem internen Parlament des PD, kann er auf etwa 650 Stimmen zählen.

Priorität Europa

Offen ist, ob die Wahl Zingarettis auch den von vielen erhofften Linksschwenk einleitet, denn die Signale, die der neue Mann aussendet, sind nicht eindeutig. So befürwortet er etwa den Weiterbau der umstrittenen, weil ökologisch bedenklichen Hochgeschwindigkeitstrasse TAV zwischen Turin und Lyon. Zeitgleich hat die Parteiführung versucht, mit einem offenen Brief an Greta Thunberg Anschluss an die auch in Italien vor allem von Jugendlichen getragene Klimabewegung zu bekommen – ein Widerspruch, der nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Partei und ihres neuen Sekretärs beiträgt. Auch von einer Rücknahme der unter Premier Matteo Renzi durchgesetzten neoliberalen Arbeitsmarktreformen will Zingaretti nichts wissen.

Was ihn von seinem Vorgänger unterscheidet, ist der Politikstil. Während Renzi potenzielle Bündnispartner oft arrogant vor den Kopf stieß, setzt Zingaretti auf Dialog, besonders mit den Gewerkschaften. Ein erstes Treffen mit den Vorsitzenden der drei großen Gewerkschaftsbünde blieb allerdings ohne greifbare Ergebnisse. Maurizio Landini, neuer Sekretär der größten und am weitesten links stehenden Gewerkschaft CGIL, äußerte Vorbehalte, da ein gesetzlicher Mindestlohn, eine der wesentlichen gewerkschaftlichen Forderungen, nicht zu den Prioritäten des PD und seines neuen Hoffnungsträgers gehört. Die vagen Slogans von sozialer Gerechtigkeit erinnern stark an die Kampagne des SPD-Genossen Martin Schulz. Wie die endete, ist bekannt.

Um dem Regierungslager Stimmen abzujagen, setzt der PD vor allem auf das Thema Europa: „Siamo Europei“ steht auf der Liste zur EP-Wahl – es gehe am 26. Mai um den Kampf zwischen „Europäern“ und „Souveränisten“. Dafür konnten auch einige Kandidaten gewonnen werden, die sich in den vergangenen Jahren vom PD abgewandt und Anfang 2017 die Gruppierung Articolo 1 – Movimento Democratico e Progressista gegründet hatten. Mehr als ein Signal an die linke Wählerschaft ist das freilich nicht. Für die dürfte die Bündnisliste La Sinistra (Die Linke) die deutlich glaubwürdigere Alternative darstellen.

Welchen Weg der Partito Democratico künftig einschlägt, wird wesentlich vom Ausgang der Europawahl abhängen. Vor fünf Jahren erreichte die Partei traumhafte 40,8 Prozent. Angetreten war sie seinerzeit mit Matteo Renzi, der sich in der Folge zum innerparteilichen Alleinherrscher aufschwang. Nach Lage der Dinge wäre es heute für den PD schon ein Erfolg, wenn er den zweiten Platz vor den Cinque Stelle belegen würde. Das immerhin scheint möglich – nicht wegen der Überzeugungskraft des sozialdemokratischen Programms und Personals, sondern weil viele linksgestimmte M5S-Wähler von der Bilanz ihrer Partei tief enttäuscht sind.

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