Die Überraschung war groß, die Erwartungen sind noch größer: Neue Generalsekretärin des Partito Democratico (PD) wird die 37-jährige Feministin Elly Schlein, die erste Frau in diesem Amt. Sie übernimmt es zu einem Zeitpunkt, da die 2007 gegründete Partei nach der Wahlniederlage vom 25. September 2022 vor sich hin dümpelt, was besonders daran liegt, dass sie als Opposition zu Giorgia Melonis Rechtsregierung bisher kaum Profil gewinnt. Unter diesen Umständen wurde die Stichwahl zwischen Schlein und ihrem Kontrahenten Stefano Bonaccini zur Richtungsentscheidung. Der 56-jährige Arbeitersohn und Ex-Kommunist Bonaccini, Präsident der mittelitalienischen Region Emilia-Romagna, warb mit der Kompetenz des erfahrenen Realpolitikers. Fü
52;r eine Linkswende allerdings stand er nicht.Von diesem Kontrahenten hat sich Schlein schon durch ihre untypische Biografie unterschieden. Die Eltern – ihre Mutter Italienerin, der Vater US-Amerikaner – arbeiteten als Universitätsprofessoren, und das teilweise in der Schweiz. Dort, nahe Lugano im Tessin, wuchs Elly auf, die eigentlich Elena Ethel heißt. Nach dem Abitur ging sie zum Studieren nach Bologna, 2008 dann in die Vereinigten Staaten, um als Freiwillige Barack Obamas Wahlkampf zu unterstützen. Zurück in Bologna beteiligte sie sich an der Gründung der Studentenorganisation „Progré“, die eine Zeitschrift zu den Themen Migration und Gefängnishaft herausgab. 2013 trat sie in den PD ein und war dort Mitinitiatorin der Kampagne #OccupyPD – ein Protest gegen die auf einen Kompromiss mit Silvio Berlusconi ausgerichtete Politik der Parteiführung. Ein Jahr später zog sie als Abgeordnete ins EU-Parlament ein und blieb dort bis 2019. Aus dem mittlerweile ganz auf Matteo Renzi ausgerichteten PD trat sie schon 2015 wieder aus und schloss sich der linken Kleinpartei Possibile an, der sie bis Sommer 2019 die Treue hielt.Internationale Bekanntheit erlangte Elly Schlein als Spitzenkandidatin der linken Bündnisliste Emilia-Romagna Coraggiosa Ecologista e Progressista, die im Januar 2020 bei der Regionalwahl in der Emilia-Romagna wesentlich dazu beitrug, den Sieg der Rechten in der traditionell „roten“ Region zu verhindern. Die Madrider Tageszeitung El Pais präsentierte Schlein daraufhin als „neuen Stern der italienischen Linken“, das römische Wochenmagazin L’Espresso widmete ihr im September 2020 sogar einen Titel, überschrieben „Der Mut, Nein zu sagen“. Ja gesagt hatte sie derweil zu Bonaccinis Angebot, Vizepräsidentin der Emilia-Romagna zu werden. Schließlich kandidierte sie bei der Parlamentswahl im September 2022 erfolgreich als Unabhängige auf der Liste Partito Democratico Italia Democratica e Progressista für die Abgeordnetenkammer in Rom. Im November verkündete sie, bei der Wahl einer neuen PD-Spitze kandidieren zu wollen, und trat einen Monat später wieder in die Partei ein.Während ihrer Kampagne bereiste sie ganz Italien. Unter dem Slogan „Parte da Noi!“ (Es geht von uns aus!) standen ihr Tausende vorwiegend junge Helfer zur Seite, aber auch altgediente Kader riefen zu ihrer Wahl auf. In ihrer ersten Rede nach dem Erfolg verkündete Schlein das Programm für „eine kleine große Revolution“, die in den Kampf gegen jede Art der Ungleichheit, für würdige Arbeit, soziale und Klimagerechtigkeit, für legale Fluchtwege über das Mittelmeer führen soll. „Für Giorgia Melonis Regierung werden wir ein schönes Problem sein“, versprach sie. Bald könne man auch wieder Wahlen gewinnen, zusammen mit den anderen Oppositionsparteien. Damit dürfte vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S) gemeint sein. Dass Schleins Vorgänger Enrico Letta ein Bündnis mit den Cinque Stelle verweigert hatte, erleichterte im September den Durchmarsch der Rechten. Die Abkehr von dieser verhängnisvollen Politik wäre eine wichtige Kurskorrektur.An Mut zum Wandel fehlt es Elly Schlein sicher nicht. Allerdings wird sie auch in den eigenen Reihen mit Widerständen rechnen müssen. Denn bei den internen Vorwahlen lag Bonaccini klar vor Schlein und den sonstigen Bewerbern. Bei diesem Votum waren nur PD-Mitglieder stimmberechtigt, von denen etwas mehr als 150.000 an die Wahlurnen kamen. Die Stichwahl am 26. Februar gewann Schlein nur deshalb, weil mehr als eine Million Sympathisierende abstimmen durften. Voraussetzung war die Zahlung von zwei Euro und eine unterschriebene Erklärung, PD zu wählen. Auch wenn Bonaccini der neuen Chefin volle Unterstützung versprach, sind Querschüsse aus den Reihen der Unterlegenen nicht auszuschließen.Heftiger Gegenwind kommt zudem von der rechten politischen Konkurrenz. Hassbotschaften im Netz stellen infrage, ob Schlein, die neben der italienischen auch die US- und die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzt, überhaupt eine „echte Italienerin“ sei – und eine „richtige Frau“: Schlein bezeichnet sich als bisexuell; derzeit lebe sie glücklich mit einer anderen Frau. Auch antisemitischen Attacken ist sie ausgesetzt, wobei die Hetzer gern ihre jüdischen Vorfahren ins Spiel bringen.Schleins Lieblingsfeindin Giorgia Meloni verband ihre Glückwünsche mit der Hoffnung, „ihr Sieg möge der Linken dabei helfen, nach vorn zu blicken und nicht zurück“. Ein vergifteter Ratschlag, denn ohne Aufarbeitung eigener Fehler wird es für den PD keinen Neuanfang geben. Damit anzufangen, ohne die Einheit der Partei aufs Spiel zu setzen, wird nicht leicht. Hoffnung macht, dass Elly Schlein neue, junge Kräfte für ihre Kampagne mobilisiert hat. Mit deren Hilfe kann die Partei zumindest ihre Oppositionsfähigkeit zurückgewinnen. Auch das wäre schon „eine kleine große Revolution“.