In wohl keinem anderen EU-Land werden die Wahlen zum Europäischen Parlament mit solcher Spannung erwartet wie in Italien. Nirgendwo sonst hat die Wahl so eindeutig den Charakter eines Probelaufs für den Kampf um die Macht. Die Mitte-Links-Opposition Ulivo präsentiert sich geschlossen wie selten. Dabei kommt der stärkste Druck zur Einigung nicht von den Parteien, sondern von einer "zivilgesellschaftlichen" Gruppierung, die ebenfalls eine römische Besonderheit darstellt: die Bewegung der girotondi (wörtlich "Ringelreihen"), die seit 2002 mit einer neuen Aktionsform ihren Protest gegen die Rechtsregierung artikuliert: Demonstranten umkreisen Orte des Machtmissbrauchs: Ministerien, Gerichte, den Senat, das Staatsfernsehen RAI.
Als ihr Sprecher gilt der Filmregisseur Nanni Moretti, der im Februar 2002 auf der Piazza Navona in Rom den versammelten Führern der Linksopposition - namentlich Francesco Rutelli (Margherita) und Piero Fassino (Linksdemokraten) - zurief: "Mit euch kann man nicht gewinnen!" Auch zwei Jahre später zeigte sich die Bewegung erstaunlich munter. Auf einer viel beachteten Versammlung Mitte Januar in Rom unter dem Motto "Tun wir uns was Gutes!" ging es darum, dem Rechtsblock die geballte Kraft aller Oppositionellen entgegen zu stellen: "Zivilgesellschaft, Parteien und Bewegungen - vereint, um zu siegen. Heute in Europa, morgen in Italien". Es ging um die Forderung, zu den Europawahlen am 13. Juni mit einer einheitlichen Liste anzutreten, die zuvor auch schon EU-Kommissionspräsident Romano Prodi erhoben hatte, der mutmaßliche Spitzenkandidat des Ulivo für die Revanche gegen Berlusconi. Bei den Europawahlen wird er voraussichtlich nicht kandidieren, Ulivo aber nach Kräften unterstützen.
Die Chancen für eine Einheitsliste sind nicht überwältigend, vielmehr werden neben einer Bündnisliste aus Margherita, Linksdemokraten, Sozialisten und Republikanern die Grünen, die Italienischen Kommunisten (PdCI) und die christdemokratische Alleanza Popolare auf eigene Rechnung kandidieren; alle wollen dabei allerdings das Logo des Ulivo und/oder den Zusatz "für Prodi" in den Listennamen aufnehmen. Als fünfte oppositionelle Formation könnte noch die Gruppierung des ehemaligen Staatsanwalts Antonio Di Pietro - "Das Italien der Werte" - antreten. Um Di Pietro gab es im Ulivo Streit; auf Kritik stieß sein Vorhaben, das Skandalgesetz Schifani (das den fünf höchsten Repräsentanten des Staates für die Dauer ihrer Amtszeit Immunität verleiht) per Referendum zu kippen. Nachdem das Verfassungsgericht das Gesetz inzwischen für verfassungswidrig erklärt hat, ist der Streit um eine Volksabstimmung zwar gegenstandslos, geblieben sind Vorbehalte gegen den zu Extravaganzen neigenden Populisten Di Pietro. Es sei genauso unangenehm, gegen ihn anzutreten wie mit ihm verbündet zu sein, heißt es. Neuerdings hat Di Pietro sich mit dem einstigen PCI-Sekretär Achille Occhetto zusammengetan, der 1991 den Wandel der kommunistischen in eine linksdemokratische Partei vollzog.
Neben persönlichen Animositäten gibt es im Mitte-Links-Lager gravierende politische Differenzen. Umstritten sind vier zentrale Positionen, die den Girotondisti in Rom als unverzichtbar gelten: Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak; Kampf gegen neue Armut und für soziale Gerechtigkeit; Einbürgerung von Immigranten; Aufhebung aller Gesetze, die Berlusconi zum eigenen Nutzen erließ. Auf Kritik stößt auch der von Rutelli lancierte "Rentenkompromiss", der die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre vorsieht, obwohl es im Herbst gegen die - allerdings viel schmerzhaftere - Rentenreform Berlusconis zu massiven Protesten gekommen war.
Noch größer sind die Differenzen zwischen Ulivo und Rifondazione Comunista. Zwar hatte die Partei einer gemeinsamen Liste a priori eine Absage erteilt, auf nationaler Ebene will und kann sie aber nicht abseits stehen, wenn es spätestens 2006 gilt, Berlusconis Abgang zu erzwingen. Die von RC-Sekretär Fausto Bertinotti reklamierte Minimalkonsens einer "programmatischen Übereinkunft" mit dem Ulivo sollte nicht zu ernst genommen werden. Sie soll eigenen Anhang beruhigen, der sich am "Opportunismus" der Parteiführung stört.
Verglichen mit der Konsenssuche des Mitte-Links-Lagers gibt der regierende Rechtsblock ein eher chaotisches Bild ab. Im Streit zwischen Alleanza Nazionale (AN) und Lega Nord um Föderalismus und Stärkung der Regionen hat Umberto Bossi (Lega) wieder einmal mit Koalitionsbruch gedroht. Gianfranco Fini (AN) besinnt sich nach seinem mit Demokratie-Bekenntnissen dekorierten Israel-Besuch (s. Freitag, 50/2003) wieder auf die neofaschistische Stammwählerschaft. Während der "Nationalen Versammlung" von Alleanza (eine Art "kleiner Parteitag") erinnerte er an die in den siebziger Jahren gestorbenen neofaschistischen "Märtyrer". Außerdem war er um Ovationen für den Hardliner Mirko Tremaglia, Berlusconis Minister für die Italiener im Ausland, nicht verlegen. Tremaglia hatte den "Kämpfern" der 1943 unter deutschem Kommando gegründeten "Sozialrepublik" den Kombattanten-Status verleihen und damit als "Patrioten" rehabilitieren wollen. Andere Regierungspolitiker haben derweil einmal mehr klar gemacht, was sie von Gewaltenteilung halten. Der Spruch des Verfassungsgericht gegen das Immunitätsgesetz sei das Werk von "Kommunisten", befand Carlo Taormina (Forza Italia), und ein Skandal. 15 ernannte Richter hätten sich über das Votum von 454 gewählten Parlamentariern hinweg gesetzt, so Roberto Calderoli, Fraktionsvorsitzender der Lega Nord.
Der Linken schärfen solche Tiraden das Feindbild: Berlusconi und seine Paladine müssen weg, je eher, desto besser. Auch die Taktik ist klar, im Prinzip zumindest: Getrennt marschieren, vereint schlagen.
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