Ultrarechte Giorgia Meloni will in Italien die Regierungsmacht übernehmen
Parlamentswahl 2023 Die ultrarechten „Fratelli d’Italia“ haben mit Giorgia Meloni eine aussichtsreiche Kandidatin für die Parlamentswahl 2023. Wer ist die Frau an der Spitze der „Brüder Italiens“? Ein Porträt
Georgia Meloni sieht Italiens Rechte in einer Art Endkampf gegen den Niedergang der Nation
Foto: Matteo Gribaudi/Getty Images
Die Ansage war deutlich: „Wir sind bereit zu regieren!“ Der Machtanspruch kommt von rechts außen, von der Partei der „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia/FdI), so genannt nach der ersten Zeile der italienischen Nationalhymne. Angeführt werden die „Brüder“ von einer Frau: Giorgia Meloni, Spitzname „Sorella Giorgia“ (Schwester Giorgia). Bisher war sie Juniorpartnerin von Matteo Salvini, dem starken Mann der Lega. Nach den Kommunalwahlen in einigen großen Städten – darunter Genua, Verona und Palermo – haben sich die Kräfteverhältnisse im Mitte-rechts-Block nun umgekehrt. Sollte das bei den 2023 anstehenden nationalen Parlamentswahlen so bleiben und Mitte-rechts die Mehrheit erreichen, dan
dann – so Meloni – sei sie an der Reihe: „Wer vorn liegt, führt die Regierung. Diese Regel gilt für alle“, auch für ihren Partner und Konkurrenten Salvini.Meloni Regierungschefin – das wäre ein neuer Tiefpunkt der italienischen Politik. Im vergangenen Jahr beglückte sie ihre wachsende Fangemeinde mit einem 300 Seiten starken Buch, das umgehend zum Bestseller wurde: Io sono Giorgia. Le mie radici, le mie idee (Ich bin Giorgia. Meine Wurzeln, meine Ideen), eine Mischung aus Autobiografie und politischem Manifest. Mit „Ich bin“ beginnen auch die sechs Kapitelüberschriften – die Autorin ist: Giorgia, Frau, Mutter, rechts, Christin, Italienerin. Geboren 1977 in Rom, trat sie mit 15 Jahren in die Jugendorganisation des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) ein; 2006 wurde sie Abgeordnete der aus dem MSI hervorgegangenen Alleanza Nazionale (AN) und nach den Neuwahlen 2008 mit nur 31 Jahren Jugendministerin in der Regierung von Silvio Berlusconi. Ende 2011 trat sie von diesem Amt zurück und verließ das aus Berlusconis Forza Italia und der AN gebildete Rechtsbündnis Popolo della Libertà (Volk der Freiheit). Ein Jahr später folgte der Schritt, von dem sie in ihrem Buch mit einigem Pathos erzählt: die Gründung der Fratelli d’Italia. Als Parteisoldatin gestartet, sei sie 2014 nicht aus persönlichem Ehrgeiz Parteivorsitzende geworden, sondern um die italienische Rechte – und vor allem das geliebte Vaterland – zu retten. Auf die Schilderung von Selbstzweifeln und Tränen nach Niederlagen folgen Lobeshymnen glühender Anhänger, die in ihr eine moderne Jeanne d’Arc sehen.Respekt für Antifaschisten äußert sie nur dann, wenn diese schon lange tot sind. So zitiert sie mal wohlwollend Antonio Gramsci, Pier Paolo Pasolini und Bertolt Brecht, geißelt unmittelbar darauf aber den linken „Absolutismus“ oder den „Fanatismus“ von Black Lives Matter. Die Führungskader des Partito Democratico (PD) sind für sie „Kollaborateure“, die im Auftrag ausländischer Mächte Italiens Souveränität und nationale Identität untergraben. Zu diesem Zweck würden sie massenhaft Fremde ins Land holen, Regenbogen-Diversität propagieren und so die natürliche Ordnung gefährden.Reaktionäre Bekenntnisse von Giorgia MeloniDem setzt Meloni die ultrareaktionäre Formel „Gott, Vaterland, Familie“ entgegen. Die italienische Rechte sieht sie in einer Art Endkampf gegen den spürbaren Niedergang der Nation, an dessen Ende die von den „Patrioten“ erstrittene nationale Wiedergeburt steht. Faschismustheoretiker sind sich einig, dass diese Erlösungsvision zum Kern faschistischer Weltanschauung gehört. Die ideologische Nähe ist kein Zufall. Auch alte Kämpfer von Mussolinis Sozialrepublik der Jahre 1943 bis 1945 gehören zu Melonis Idolen, allen voran Giorgio Almirante (1914 – 1988), 1944 Kabinettschef im Propagandaministerium, erklärter Rassist und Antisemit, 1946 Mitgründer des MSI und lebenslang Bewunderer von Militärdiktaturen. Mit ihrer demonstrativen Treue zu den faschistischen Helden wurde „Sorella Giorgia“ auch zur Hoffnungsträgerin noch weiter rechts stehender Kleinparteien.Besonders aggressiv kann Meloni bei öffentlichen Auftritten klingen. Jüngst reiste sie, nicht zum ersten Mal, zu ihren rechtsradikalen Freunden von Vox nach Spanien, wo sie sich – nach eigener Aussage – wie zu Hause fühlte. Am 12. Juni hielt sie im andalusischen Marbella eine Rede, die ihre Gastgeber schwer begeisterte. In demagogischen Gegenüberstellungen listete sie ihre reaktionären Bekenntnisse auf: „Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby, nein zur Gender-Ideologie. Ja zu sicheren Grenzen, nein zur massenhaften Einwanderung, nein zur islamistischen Gewalt. Ja zur Souveränität des Volkes, nein zu den Brüsseler Bürokraten. Ja zur Arbeit für unsere Staatsbürger, nein zur internationalen Hochfinanz. Ja zu unserer Zivilisation, nein zu denen, die sie zerstören wollen.“In Italien riefen ihre Tiraden eine Welle der Kritik hervor. Enrico Letta, Sekretär des PD, brachte es auf den Punkt: „Tonfall, Inhalte, Gegenüberstellungen: Schlimmer geht es nicht.“ Trotz der vielen Proteste gegen Melonis Ausfälle ist es durchaus vorstellbar, dass ihre Partei auch in der Mitte weitere Stimmen holt. Denn mit ihren Attacken gegen „illegale Einwanderung“, gegen „Political Correctness“ und „Cancel Culture“ ist sie nicht weit vom politischen und medialen Mainstream entfernt. Als selbstbewusste, relativ junge Frau scheint Meloni dafür prädestiniert, Wähler auch außerhalb des rechten Lagers anzusprechen.Am Ende ihres Buches listet sie die eigenen Vorzüge auf. Sie sei furchtlos, nicht erpressbar und nicht allein. Schließlich solle man „Viertens und letztens“ beachten, dass sie immer unterschätzt worden sei. Und das sei „letztlich ein großes Glück“. Auch Matteo Salvini hat seine Konkurrentin um die Führungsrolle im Rechtsblock lange nicht für voll genommen. Diesen Fehler sollten die Mitte-links-Parteien unbedingt vermeiden. Sonst könnte es spätestens bei den Wahlen im nächsten Jahr ein böses Erwachen geben.
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