Enrico Lettas Regierung ist vereidigt, aber neuer Lotse für den ins Schlingern geratenen Partito Democratico (PD) könnte ein anderer sein: Matteo Renzi, seit 2009 Bürgermeister von Florenz. Er will nicht nur seine Partei, sondern vor allem Italien endgültig im 21. Jahrhundert verankern. Sich selbst hat er dabei den maßgeblichen Part zugedacht. Einstweilen jedoch übt er sich in Solidarität gegenüber seinem Parteifreund Letta, auch wenn er selbst gern den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hätte. Da eine solche Offerte ausblieb, hält sich Renzi bereit für die möglicherweise noch in diesem Jahr fälligen Neuwahlen. Prophezeiungen über die Stabilität der jetzigen großen Koalition der Vernunft und Gegensätze
tze will niemand riskieren.Schon im Vorjahr war Renzi bei internen Vorwahlen der Mitte-Links-Allianz angetreten, um deren Spitzenkandidat zu werden, verlor aber im Stechen gegen Pier Luigi Bersani. Nachdem der nun zurückgetreten ist, muss der nächste PD-Kongress die Nachfolge regeln. Renzi ist bereit und mit den besten Chancen ausgestattet, Parteichef und Spitzenkandidat zu werden.Sehr beliebtGeboren wurde Matteo Renzi 1975 in Florenz, wo er auch sein Jurastudium mit Diplom abschloss. Seine politische Karriere begann er 1996 in den Komitees zur Unterstützung des Mitte-Links-Bewerbers Romano Prodi und trat in die Italienische Volkspartei (PPI) ein, die eine einst allmächtige Democrazia Cristiana beerbte und aus der nach der Fusion mit den Linksdemokraten 2007 die Demokratische Partei hervorging. Nach fünf Jahren als Präsident der Provinz Florenz wurde Renzi 2009 mit knapp 60 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister seiner Heimatstadt gewählt. Laut einer Umfrage der Zeitung Il Sole 24 Ore galt er 2011 als der beliebteste Bürgermeister Italiens. Der so Hofierte beschreibt sich selbst als pragmatischen und unideologischen Kommunalpolitiker. So stoppte er den Verkauf von städtischem Bauland in Florenz und erklärte den Domplatz zur Fußgängerzone. Zugleich wurde unter seiner Ägide der öffentliche Nahverkehr privatisiert und die Kommunalverwaltung reduziert.Ein in seiner Region vergleichsweise gut funktionierendes „System der Bürgermeister“ will Renzi auf ganz Italien übertragen. Das habe sich bewährt – beim Abschmelzen von Bürokratie und im Kampf gegen Korruption ganz besonders. Geradezu revolutionär wird Matteo Renzi, wenn er die staatliche Parteienfinanzierung ebenso wie die Provinzen abschaffen und den Senat in Rom durch eine Körperschaft der Regionen und Bürgermeister großer Städte ersetzen will. Den Staatspräsidenten – so Renzi – sollten die Italiener künftig direkt wählen. Und der Premierminister müsse wie ein „Bürgermeister Italiens“ bestimmt werden – in zwei Wahlgängen und notfalls per Stichwahl zwischen den beiden stärksten Aspiranten. Dann wisse man wenigstens, wer gewonnen habe, meinte Renzi soeben in einem längeren Interview mit der Zeitung La Repubblica.Einen derartigen „Semipresidenzialismo“, der die Exekutive zu Lasten des Parlaments stärkt, verlangt Silvio Berlusconi seit langem. Da eine Revision des Wahlrechts ganz oben auf der Prioritätenliste der neuen Regierung steht, ist Renzis Vorschlägen öffentliche Aufmerksamkeit sicher. Vermutlich ebenso seinem „Job Act“ genannten Programm zur Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung, das er demnächst vorstellen will. Es dürfte auf der Linie Mario Montis und der von Staatspräsident Giorgio Napolitano eingesetzten zehn „Weisen“ liegen, und Maßnahmen wie Steuererleichterungen für kleine und mittelgroße Betriebe enthalten sowie auf einen weiter deregulierten Arbeitsmarkt hinauslaufen.Arrogant und aggressivBevor Enrico Letta antrat, hatte sich Renzi für baldige Neuwahlen ausgesprochen. Nicht etwa, weil er – wie große Teile der PD-Basis – eine große Koalition mit Berlusconi verhindern wollte. Im Gegenteil: Renzi hält eine Kooperation mit dem Rechtsblock für unumgänglich. Schon Ende 2010 traf er sich mit Berlusconi zu einem Vier-Augen-Gespräch in dessen Villa in Arcore. Damals stieß das im eigenen Lager auf viel Argwohn, der sich bis heute nicht gelegt hat. Denn Berlusconi macht kein Hehl aus seiner Sympathie für Renzi. Dieser sei ein ähnlicher Politikertyp wie er, nur leider in der falschen Partei. Renzi wiederum wird nicht müde zu erklären, dass man den Ex-Premier, gegen den mehrere Prozesse laufen, „nicht ins Gefängnis, sondern in Rente“ schicken solle. Überhaupt sei der „Anti-Berlusconismus“ der Linken zu nichts gut.Das sehen viele PD-Mitglieder anders. Sie fühlen sich von Renzis mitunter arroganten und aggressiven Auftritten vor den Kopf gestoßen. Sein Aufruf, die alte Garde der Politiker – auch der eigenen Partei – zu „verschrotten“, brachte ihm einen Spitznamen ein, den er seitdem nicht wieder losgeworden ist: „Il rottamatore“ (der Verschrotter).Um im PD mehrheitsfähig zu werden, hat Renzi zuletzt den Ton etwas gedrosselt. Nur nach links, gegen Nichi Vendolas Linke Ökologie Freiheit wird weiter ausgeteilt. Schließlich legt diese Formation viel Wert auf Widerspruch gegen Lettas große Koalition. „Vendola ist raus“, frohlockt Renzi. Der PD hingegen sei die Partei von „Clinton, Hollande und Obama, die Wahlen gewinnt“. Zumindest soll sie das – unter seiner Führung. Auch der bescheidene Regierungschef Enrico Letta, der sich selbst offenbar nur als Übergangslösung begreift, traut Renzi das zu. Der sei eine wichtige „Ressource“ für die Gegenwart und Zukunft der Demokratischen Partei. Wann Letztere beginnt, bleibt einstweilen offen.