Für den Schriftsteller Antonio Tabucchi sind die Fronten klar: "Ein guter Teil der Italiener ist ehrlich demokratisch, ein anderer guter Teil zutiefst faschistoid." Mehr noch: die "faschistisch Fühlenden" seien in der Mehrheit, die Rechte sei keineswegs zufällig an die Macht gekommen. Niemand dürfe sich wundern, dass eine solche Regierung die faschistische Tradition fortsetze. Wenn etwa Vizepremier Gianfranco Fini, der Zögling von Mussolinis Staatssekretär Almirante, den "Krieg gegen den Pazifismus" ausruft, dann fühlt sich Tabucchi an einen Ausspruch Filippo Marinettis erinnert, des Futuristen und ideologischen Wegbereiters des Faschismus: "Krieg ist die einzige Welthygiene."
Tabucchis bittere Bilanz - niedergeschrieben in einem Kommentar für das einstige KP-Organ l´Unità - wird natürlich von keinem Führer der parlamentarischen Opposition geteilt, zumindest nicht explizit. Insgeheim aber scheinen auch die Strategen der Mitte-Links-Allianz Ulivo keine gute Meinung vom eigenen Wahlvolk zu haben. Namentlich Francesco Rutelli, der 2001 gescheiterte Spitzenkandidat, möchte potenzielle Wechselwähler einmal mehr mit Freundlichkeit gewinnen. Rutelli steht für einen Dialog mit der Regierung auch bei solchen Themen, die Kompromisse eigentlich verbieten wie Krieg und Frieden oder bei der Diskussion um Berlusconis autoritäre Verfassungsreform.
Darüber hinaus empfiehlt sich Rutelli als Sachwalter nationaler Interessen: Italiens Kritik am deutschen Verlangen nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat versieht er mit einem Bekenntnis zu den christdemokratischen Altvordern De Gasperi und Adenauer. Deren Vermächtnis wolle er verteidigen - gemeinsam mit Berlusconi. Womit er den Linken innerhalb des Ulivo mächtig vors Schienbein trat: Denn De Gasperi und Adenauer stehen für Kalten Krieg und Antikommunismus.
Weniger provokativ, aber nicht minder um Ausgleich mit der Regierung bemüht agieren andere Galionsfiguren des Ulivo wie Parteisekretär Piero Fassino von den Linksdemokraten (DS). Selbst vage Überlegungen des Außenministers zu einem schrittweisen Abzug der italienischen Soldaten aus dem Irak hält Fassino schon für diskutabel, während die Grünen und die Comunisti Italiani darin zu Recht ein Täuschungsmanöver sehen.
Höchst konstruktiv geben sich Teile des Ulivo auch bei Berlusconis Verfassungsreform, mit der dem Regierungschef beispielsweise das Recht zur Auflösung des Parlaments eingeräumt werden soll. Statt dem ein klares Veto entgegenzusetzen, enthielten sich die meisten Ulivo-Parlamentarier der Stimme - eine selbstmörderische Nachgiebigkeit.
Die Disharmonien der Opposition zeigen sich auch auf der Straße. Zuletzt am 30. Oktober bei der Friedensaktion in Rom - als 70.000 gegen den Irak-Krieg und Italiens Anteil daran protestierten, bestach die Ulivo-Führung durch Abwesenheit.
Dabei sind die regierenden Rechten stets bemüht, jede Fühlungnahme der Opposition zurückzuweisen, indem sie die kulturellen Gräben zwischen den politischen Lagern eher vertiefen, anstatt sie einzuebnen. Niemand hindert einen Erzreaktionär wie Rocco Buttiglione oder den Altfaschisten und Minister für Auslandsitaliener, Mirko Tremaglia, an ihren Tiraden gegen die angebliche Meinungsdiktatur der "Schwuchteln". Auch der neofaschistische Frontmann Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale) reist mitunter an die ideologische Front, vorausgesetzt, er wähnt sich im Konsens mit der schweigenden Mehrheit. Hatte er vor Jahren noch gefordert, homosexuelle Lehrer zu entlassen, überraschte er unlängst mit einer Neuinterpretation der Lehre des Franz von Assisi. Die Ikone des katholischen Pazifismus sei nicht generell gegen den Gebrauch von Waffen gewesen, ließ er wissen, sondern nur gegen "bewaffnete Aggression" - die Eroberung des Irak sei aus Sicht der römischen Regierung eine "Friedensmission", der auch Franz von Assisi seinen Segen nicht verweigert hätte! Der Ulivo wäre gut beraten, auf solche Provokationen mit einem klaren Nein zum italienischen Kriegsbeitrag zu reagieren - schon aus "realpolitischem" Eigennutz.
Allerdings scheint Romano Prodi, der mutmaßliche Spitzenkandidat des Ulivo für 2006 - im Unterschied zu Rutelli oder Fassino - entschlossen, auf Dialog-Offerten gegenüber der Regierung zu verzichten. Demonstrativ hat er dem Sekretär von Rifondazione Comunista (RC), Fausto Bertinotti, bereits ein Ministeramt angeboten. Der hat zwar aus gutem Grund keine derartigen Ambitionen. Dass seine Partei - anders als 2001- nur im Bündnis mit dem Ulivo bestehen kann, weiß er aber nur zu gut. Auch die sozialen Bewegungen, als deren Sprecher sich Rifondazione Comunista versteht, will Prodi für den Ulivo gewinnen. Wollte man ihm die Unterstützung verweigern, so Bertinotti, könnte das zur "Marginalisierung" führen. Diese Einsicht dürfte sich auch auf dem für März geplanten RC-Kongress durchsetzen. Die Probleme kämen nach einem möglichen Wahlsieg des Ulivo -sollteBertinotti an der Absicht festhalten, seine Partei in eine Mitte-Links-Koalition zu führen, ohne deren Eigenständigkeit aufzugeben, könnte eine Zerreißprobe heraufbeschworen werden. Noch ist das Zukunftsmusik, noch profitiert der Ulivo von der erstaunlichen Fähigkeit der Rechten zur Selbstdemontage. Eine erfolgreiche Revanche für 2001 ist deshalb längst nicht sicher, auch wenn die jüngsten Nachwahlen zur Abgeordnetenkammer in sieben Wahlkreisen - darunter den rechten Domänen Mailand 3, Genua-Nervi und Neapel-Ischia - mit einem Durchmarsch für Mitte-Links endeten.
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