Römischer Drahtseilakt

100 Tage Mitte-Links Sieben Mal unterwarf sich Romano Prodi einer Vertrauensabstimmung

Als "exzellent" bewertete Anthony Giddens den Start der neuen italienischen Regierung. Der Soziologe berät seit langem Tony Blair und gilt als ein Vordenker des "dritten Weges". Auf den ersten Blick scheint er richtig zu liegen: Das Mitte-Links-Bündnis Unione unter Romano Prodi konnte nach seinem hauchdünnen Wahlsieg auch die Kommunalwahlen in einigen bedeutenden Städten für sich entscheiden. Ein noch von Berlusconi initiiertes Verfassungsreferendum verlief ebenfalls nach Wünschen der Unione.

Ministerpräsident Prodi blickt mit besonderem Stolz auf den Decreto Bersani, benannt nach dem linksdemokratischen Minister für Wirtschaftsentwicklung. Dieses Gesetzespaket soll Wirtschaftsaufschwung und Beschäftigung fördern. Von "einer Revolution für Millionen Italiener", schwärmt der stets gut gelaunte Professor aus Bologna. Seine Regierung wolle den Markt umfassend liberalisieren, aber, betont Prodi, nicht aus ideologischen Gründen, sondern im Interesse der Verbraucher.

Allerdings präsentiert sich die angepriesene "Revolution" als ein Sammelsurium: So dürfen fortan nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Supermarkt verkauft werden, und Taxi-Lizenzen sollen einfacher zu erlangen sein. Wer einen Laden oder eine Bäckerei eröffnen will, wird auf weniger bürokratische Hemmnisse stoßen, und wer einen Gebrauchtwagen an- oder verkauft, muss künftig nicht erst den Notar bemühen und entlohnen. Dies mag im Einzelnen sinnvoll sein, doch neue Arbeitsplätze entstehen so wohl kaum. Taxifahrer und Apotheker quittierten das Bersano-Dekret mit Protesten, sie fürchten Einnahmeverluste durch neue Konkurrenten.

Größerer Erfolg war der Regierung im nachdrücklich geführten Kampf gegen Steuerhinterziehung beschieden, hier konnten beträchtliche Mehreinnahmen erzielt werden. Dennoch will Mitte-Links am seinem rigorosen Sparkurs festhalten. Wirtschaftsminister Padoa Schioppa hofft, möglichst schon im kommenden Jahr die Neuverschuldung unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts drücken zu können; derzeit liegt sie bei 4,6 Prozent. Entsprechend dürfte im September der neue Haushalt zu internen Kontroversen führen.

Es wären nicht die ersten. Schon siebenmal seit seiner Amtseinführung Mitte Mai verband Prodi eine Abstimmung mit der Vertrauensfrage. Für den größten Zündstoff im eigenen Lager sorgte dabei die Außenpolitik. Ende Juli verlängerte das Parlament nach zwei Monaten hitziger Debatte mit deutlicher Mehrheit die militärischen Auslandseinsätze, darunter auch den in Afghanistan. Nur vier Abgeordnete von Rifondazione Comunista (PRC) stimmten dagegen, einer legte danach sein Mandat nieder. Nur zähneknirschend, teils unter Tränen trugen die Mehrheit der PRC und die gesamten Fraktionen von Grünen und Comunisti Italiani die Verlängerung mit. Sie wollen sich nicht erneut durch die Vertrauensfrage zu einem Ja zwingen lassen.

Im Nachklang des Libanon-Krieges zeichnet sich nun die nächste außenpolitische Kontroverse ab. Zwar stellt in der Koalition niemand infrage, dass Italien die UN-Truppe befehligen und bis zu 3.000 Blauhelme entsenden wird. Doch fordern zahlreiche Linke, darunter auch Linksdemokraten, nun gelte es, die italienischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Damit vermeide man nicht bloß Kosten, sondern zeige eine außenpolitische "Diskontinuität" zur Berlusconi-Regierung. Eine Friedenstruppe für den Libanon sei "das Gegenteil dessen, was Bush und Berlusconi im Irak gemacht haben", erklärte der PRC-Abgeordnete Paolo Ferrero. Werde er mit einem Rückzug aus Afghanistan verbunden, könnte dieser Einsatz gar ein Signal an islamisch geprägte Länder sein, hofft der linksdemokratische Senator Cesare Salvi: Die Libanon-Mission würde dann nicht als eine neuerliche Intervention des Westens aufgefasst.

Die Nahost-Debatte schlägt koalitionsintern bislang keine hohen Wellen. Was passiert aber, wenn die nächste brisante Entscheidung ansteht? Es darf bezweifelt werden, dass die Linken innerhalb der Unione sich dauerhaft durch immer neue Vertrauensabstimmungen disziplinieren lassen. Und die Mehrheit von Mitte-Links in der zweiten Kammer, dem Senat, ist äußerst knapp. So wundert es nicht, dass Spekulationen blühen, Prodi werde seine Mehrheit nach rechts erweitern. Im Sommerloch präsentierte die Presse bereits dubiose Enthüllungen über angebliche geheime Kontakte zwischen Regierung und rechter Opposition. Der Premier will von all dem nichts wissen, er warnt stattdessen die Koalitionäre vor "60 Jahren in der Opposition", sollte seine Regierung stürzen. Die notwendige Mehrheit, kündigt Prodi an, werde man sich "im Land" holen, indem man "Unternehmersinn mit sozialer Gerechtigkeit" verknüpfe.

Fünf Jahre Berlusconi haben die sozialen Spaltungen im Land vertieft und vor allem im Süden zu massenhafter Armut geführt. Romano Prodi bezeichnet das als Skandal und meint das wohl auch so. Allein, seine bisherigen Sozialreformen überschreiten die symbolische Ebene kaum. So kommt es dem Premier gelegen, dass er in jüngster Zeit als entschlossener Friedensstifter, der die zögernden EU-Partner zur Tat treibt, internationales Ansehen gewinnen konnte. Die rechte Opposition befindet sich angesichts dessen in einem Dilemma: Sie neidet Prodi den Erfolg, will aber die Libanon-Mission nicht ablehnen und verweist nur vorsorglich auf deren unwägbare Risiken. Ein Scheitern der Mission würde den Rechten wieder Oberwasser verschaffen.


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