Scheinheiliger Vergleich mit Kefalonia

Italien Wie Geschichtsrevisionisten amerikanische Kriegsverbrechen instrumentalisieren

Das Ziel schien unverdächtig: Um "vergessene Massaker" des II. Weltkriegs in Erinnerung zu rufen, veröffentlichte der Mailänder Corriere della Sera Ende Juni zwei längere Artikel des Journalisten Gianluca Di Feo. Darin ging es um Kriegsverbrechen, die US-Truppen im Juli 1943 nach der Landung an der Südküste Siziliens begangen haben. Die späte Enthüllung veranlasste den stellvertretenden Militärstaatsanwalt von Padova, Sergio Dini, Ermittlungen gegen eventuell noch lebende Täter aufzunehmen. Sie setzte aber auch Kräfte in Bewegung, die wieder einmal die Geschichte der Befreiung vom italienischen Faschismus neu schreiben wollen - nicht nur, wie zu erwarten, auf der extremen Rechten.

Die historischen Fakten sind weitgehend unstrittig und - wie Di Feo selbst schreibt - in den USA und Kanada schon seit Jahren Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Debatten. Nach der Landung an der sizilianischen Südküste ermordeten US-Soldaten auf den Flughäfen von Biscari (heute Acate) und Comiso Dutzende italienische und deutsche Soldaten, die sich bereits ergeben hatten und entwaffnet worden waren. In Canicatti schossen sie in die Menge der örtlichen Bevölkerung, die eine Seifenfabrik plünderte; dabei starben mindestens sechs, wahrscheinlich erheblich mehr Zivilisten, darunter auch Kinder. Die Täter waren Angehörige der 45. Division, die sich selbst den Kriegsnamen Thunderbirds gegeben hatten. Sie standen unter dem Befehl des Generals George Patton, der 1944/45 die 3. Armee durch Frankreich führte und im Dezember 1945 in Mannheim bei einem Autounfall ums Leben kam. Patton soll vor der Landung befohlen haben, keine Gefangenen zu machen. "Ich will eine Division von Killern, denn Killer sind unsterblich!" soll er seinen Männern über Lautsprecher zugerufen haben.

Darauf beriefen sich später die wenigen Täter, die wegen der Ermordung Wehrloser vor ein Kriegsgericht gestellt wurden. Captain John C. Compton, mitverantwortlich für den Tod von mindestens 36 Gefangenen in Biscari, wurde freigesprochen, weil er sich an die von Patton vorgegebene Verteidigungslinie hielt: Die getöteten Italiener seien Heckenschützen gewesen und hätten bis zur letzten Patrone gekämpft. Sergent Horace T. West dagegen, der sich weniger schlau verteidigte, wurde zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt, im Februar 1944 aber begnadigt und an die Front geschickt. Die Begnadigung erfolgte auf Initiative des Kriegsministeriums, das in einem erst 2002 bekannt gewordenen Schreiben strikte Geheimhaltung befahl: "Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Geschichte veröffentlicht wird. Sie würde von den Bürgern, die weit weg von der Gewalt der Kämpfe sind, nicht verstanden werden." Dabei blieb es auch nach Kriegsende. Auch die christdemokratische italienische Regierung hütetet sich jahrzehntelang, das Thema anzusprechen - das hätte nicht nur den transatlantischen Alliierten verstimmt, sondern, so das zynische Kalkül im Kalten Krieg, "Wasser auf die Mühlen der Kommunisten" geleitet.

Alles in allem sind im Juli 1943 im südlichen Sizilien etwa 200 Menschen Opfer amerikanischer Kriegsverbrechen geworden, vor allem italienische und deutsche Soldaten, aber auch Zivilisten. Das ist schlimm genug, die von Di Feo gewählte Formulierung, es habe dort "ein kleines Kefalonia" stattgefunden, ist allerdings eine infame Verharmlosung deutscher Kriegsverbrechen. Denn die Mordtaten auf der griechischen Insel Kefalonia unterscheiden sich nicht nur quantitativ von den Vorgängen auf Sizilien. 4.000 italienische Kriegsgefangene wurden dort im September 1943 von der deutschen Wehrmacht abgeschlachtet - auf Befehl Hitlers und des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). Im Kriegstagebuch des OKW vom 18. September 1943 wurde der Oberbefehlshaber Südost angewiesen, "wegen des gemeinen und verräterischen Verhaltens auf Kefalonia keine italienischen Gefangenen machen zu lassen". Nach dem Ende der "Säuberung" beglückwünschte der kommandierende General Hubert Lanz die Massenmörder: "Meine vollste Anerkennung und meinen herzlichsten Dank".

1948 wurde Lanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt, aber schon nach gut zwei Jahren entlassen; später machte er erneut Karriere als Vorsitzender des Wehrpolitischen Ausschusses der FDP.

Während das systematische Wüten der deutschen Wehrmacht gegen die italienischen "Verräter" von höchster Stelle angeordnet war, scheinen die Handlungen der US-Armee auf Sizilien auch mit der Persönlichkeitsstruktur General Pattons erklärbar. Das behauptet jedenfalls sein Biograph Stanley Hirshson, der Patton einen tiefen Hass gegen Italiener, Juden und Kommunisten attestiert - seit 1912 die Textilfabrik seiner Mutter durch einen Streik ruiniert wurde: Die Streikenden waren jüdische Sozialisten und Einwanderer aus Süditalien.

Auch dieser Befund, den Di Feo selbst zitiert, widerspricht der These vom "kleinen Kefalonia". Den Enthüllungsjournalisten und mehr noch seine politischen Trittbrettfahrer ficht das nicht an: Die vermeintlichen Befreier sind als Mörder enttarnt, Faschisten sind Opfer und Antifaschisten Täter. Am lautesten jubeln die Post-Faschisten: "Werden jetzt endlich auch die Sieger verurteilt?" fragt die rechtsextreme Forza Nuova und bereitet schon die nächste Anklage vor: "Und wann wird der Resistenza der Prozess gemacht?" Auch daran wird innerhalb der Militärjustiz schon gearbeitet.


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