Selbstmord aus Angst vor dem Tod

Italien Silvio Berlusconi bricht mit Partner Gianfranco Fini. Ein riskantes Manöver, nicht nur für den Regierungschef

Es trifft ihn nicht nur ein Bannstrahl der Verachtung, sondern auch der Rauswurf – Gianfranco Fini muss die erst im Vorjahr mit Berlusconi gemeinsam gegründete rechte Einheitspartei Popolo della Libertà (Volk der Freiheit/PdL) verlassen. Nach monatelangen Querelen zwischen den beiden starken Figuren des herrschenden Rechtsblocks fragt man sich, ob der Premier damit ein Befreiungsschlag landet oder ob es sich eher – aus Angst vor dem Tod – um politischen Selbstmord handelt.

Fini, langjähriger Sekretär der 1995 in Alleanza Nazionale (AN) umbenannten neofaschistischen Partei (MSI), galt einmal als Kronprinz des Cavaliere. Doch seit er der Abgeordnetenkammer als Präsident vorsteht, erlebt ihn Berlusconi als latentes Ärgernis. Während der Regierungschef ein lockeres bis feindseliges Verhältnis zu Legalität, Parlamentsregeln und Verfassungsgarantien pflegt, agiert Fini staatsmännisch, riskiert Widerworte und geht in Sachfragen auf Distanz. Er will Migranten nicht erst nach zehn, sondern schon nach fünf Jahren eine Einbürgerung ermöglichen. Für die regionalrassistische Lega Nord ein Ausbund an Verrat. Auch Finis Einwände gegen eine Ausweitung des Föderalismus, etwa durch eine größere Teilhabe der Regionen an den Steuereinnahmen, sind für die Lega eine Provokation.

Derzeit wird darüber spekuliert, ob Lega-Anführer Umberto Bossi treibende Kraft beim Bruch mit Fini war, dessen Konsequenzen Berlusconi erhebliche Risiken aufbürden. Zunächst einmal könnte er seine Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments verlieren: 33 Abgeordnete und zehn Senatoren wollen die PdL-Fraktion verlassen und mit Fini eine eigene Gruppe bilden. Dass sich Berlusconi durch Geld und Versprechen kurzfristig Ersatz aus den Reihen der Opposition besorgt, scheint kaum denkbar. Zu groß ist die allgemeine Erregung über die Überheblichkeit des Premiers, der nur zu oft demokratisches Brauchtum verhöhnt.

Verdrehung der Tatsachen

Bestens in Erinnerung sind nächtliche Sitzungen in Berlusconis römischer Privatwohnung, dem Palazzo Grazioli, der vor genau einem Jahr als Ort rauschender Partys weltbekannt wurde, auf denen junge Frauen für Geld und Posten dem Hausherrn und ausgewählten Gästen zu Willen waren. In dreister Verdrehung der Tatsachen hatte Berlusconi bei der PdL-Gründung getönt, die neue Partei werde mit ihrem einzigartig demokratischen Organisationsmodell eine „epochale Wende, ja fast eine Revolution“ bringen; nicht die Führung würde über Programm und Personen entscheiden, sondern „die Bürger, die Menschen“ (s. Freitag 14/09).

Wie damit gelogen wurde, dämmert inzwischen auch denen, die bisher Berlusco­nis Werbebotschaften vertraut haben. Selbst sein langjähriger Berater Giuliano Ferrara übt Kritik: „Berlusconi wird einen hohen Preis zahlen, denn es ist ein hässliches Bild, wenn ein politischer Leader jemanden verjagt, der eine andere Meinung hat und in derselben Partei weiter arbeiten will.“ Valentino Parlato, der diese offenen Worte im Editorial der kommunistischen Tageszeitung Il Manifesto zitiert, fährt fort: „Wenn in einer politischen Formation zur härtesten Strafe, dem Ausschluss, gegriffen wird – und das nur wegen Meinungsdifferenzen, die auch noch von Treueerklärungen zur Partei begleitet werden – landen wir bei der Zerstörung von Demokratie und Politik. Dann gibt es keine Parteien mehr, sondern Banden und Cliquen mit einem Anführer.“

Deformation der Demokratie

Auch Eugenio Scalfari, einst Direktor von La Repubblica und einer der angesehensten Journalisten Italiens, geht mit Berlusconis autoritärem Gebaren hart ins Gericht. Offenbar betrachte der Premier den gewählten Parlamentspräsidenten als von ihm abhängigen Funktionär, den er nach Belieben austauschen könne. Scalfari sieht darin eine „schwerwiegende Deformation unserer Demokratie“ und einen Angriff auf die Verfassung. Angesichts der Gefahr eines „autoritären Regimes“ würden sich all diejenigen zu „Komplizen“ machen, die jetzt nicht einschreiten.

Da liegt das Problem. Zwar hagelt es Verurteilungen, gehandelt wird aber nur im Rahmen des Üblichen. Fini und seine Getreuen wollen sich zwar unabhängig machen, aber weiter die parlamentarische Mehrheit stützen – vorausgesetzt, man habe über Gesetze zu votieren, die dem Regierungsprogramm entsprechen und dem „Allgemeinwohl“ dienen. Das wäre eine Art Tolerierung, mit der Fini Zeit für den Aufbau einer eigenen Partei gewinnen kann. Die Vorspiele laufen schon seit Monaten. Geld aus dem Vermögen der aufgelösten Alleanza Nazionale gibt es auch. Nach ersten Umfragen könnte die neue Formation – sie könnte Futuro e Libertà (Zukunft und Freiheit) heißen – nur mit einem Stimmenanteil von sechs Prozent rechnen.

Linke Hoffnungen

Auch die größte Oppositionspartei, der Partito Democratico (PD), hat es nicht eilig. PD-Sekretär Pierluigi Bersani verlangt seit längerem eine große Koalition mit einem „Techniker“ an der Spitze, um das Land durch die Schuldenkrise zu steuern. Mittelfristig könnte auch beim PD eine Spaltung anstehen. Aus Christdemokraten wie Postkommunisten rekrutiert und als Gegengewicht zur rechten Einheitspartei gedacht, verlöre der PD bei deren Zerfall seine wichtigste Geschäftsgrundlage.

Bleibt die mit der Wahl von 2008 aus dem Parlament verbannte Linke. Seit der Abstimmung über die Regionalparlamente im März konzentrieren sich viele Hoffnungen auf Nichi Vendola, den wiedergewählten Präsidenten der süditalienischen Region Apulien. Sollten Neuwahlen unvermeidlich sein, könnte er zum Herausforderer Berlusconis werden. Ob aber der Überdruss am Bestehenden groß genug ist, damit die Italiener einem offen schwulen Kommunisten zur Mehrheit verhelfen, muss bezweifelt werden. Noch hat Berlusconi Trümpfe in der Hand, besonders die Verfügungsgewalt über das Fernsehen. Einen erneuten Wahlsieg wäre für ihn mit Sicherheit ein Freibrief für den Ausbau seines autoritären Regimes.

Jens Renner ist seit 1994 Italien-Korrespondent des Freitag

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