Spezialist für Weitwürfe

Italien Premierminister Matteo Renzi feiert sich und seine Reformprojekte. Proteste prallen bisher an ihm ab
Ausgabe 43/2015
Proteste in Rom gegen die Renzis Politik
Proteste in Rom gegen die Renzis Politik

Foto: Alberto Pizzoli/AFP/Getty Images

Gut drei Jahrzehnte lang haben sich politische Schwergewichte in Italien am ganz großen Wurf versucht. Was der Sozialist Bettino Craxi und der Rechtspopulist Silvio Berlusconi nicht schafften, scheint nun Matteo Renzi (Partito Democratico/PD) zu gelingen: der autoritäre Umbau staatlicher Institutionen. Die vom derzeitigen Premier so genannte „Mutter aller Reformen“ macht dem alten parlamentarischen Zweikammersystem ein Ende. Der Senat wird von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen und in seinen Kompetenzen beschnitten werden. Künftig wird diese Kammer nicht mehr an Vertrauensvoten über den Regierungschef beteiligt sein.

Außer der Kastration des Senats hat die Wahlrechtsreform „Italicum“ noch mehr zu bieten. Bei Wahlen zum Abgeordnetenhaus erhält fortan die siegreiche Liste einen Bonus, der ihr die absolute Mehrheit der Mandate sichert. Dazu muss sie 40 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichen. Gelingt das nicht, wird eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Gruppierungen nötig. Damit kann eine einzige Partei das Land dominieren – auch wenn sie im ersten Wahlgang nur auf ein Drittel der Stimmen kommt.

Was bei Verfassungsrechtlern schwere Bedenken auslöst, stößt bei Rating-Agenturen auf Wohlwollen. So lobt Moody’s die Wahlrechts- als „zentrale Reform“, die Italien „politische Stabilität“ geben werde. Folgen müssten gesenkte Unternehmenssteuern, mit denen sich Produktivität fördern und der ersehnte Aufschwung auslösen lasse. Dabei haben die Unternehmen dank Renzis Arbeitsmarktreform „Jobs Act“ schon Steuergeschenke erhalten. Nur hat ein aufgeweichter Kündigungsschutz – jahrelang als Antrieb für Neueinstellungen gepriesen – wenig bewirkt. Tatsächlich geht ein moderates Wachstum von bis zu 0,9 Prozent in diesem Jahr fast ausschließlich auf äußere Faktoren zurück, den niedrigen Ölpreis und den schwachen Euro, der Exporte begünstigt.

Renzi ficht das nicht an. Allein die Masse an Gesetzesänderungen preist er als Beleg für eine leistungsfähige Regierung. Ein Beispiel für den Charakter seiner Politik ist die Schulreform mit dem schönen Namen Buona Scuola (gute Schule). Dargestellt wird sie als großer Wurf: 150.000 bisher prekär beschäftigte Lehrer würden fest angestellt, heißt es, so werde bald kein Unterricht mehr ausfallen. Allerdings sollen die Betroffenen mit Hilfe eines Computerprogramms über das ganze Land verteilt werden, so dass Gewerkschaften von „russischem Roulette“ sprechen. Da viele Pädagogen die angebotene Stelle gar nicht antreten können, dürfte es Unterrichtsausfall auch fortan geben. Hinzu kommen Bestimmungen, die das Bildungswesen dramatisch verändern. Schulleiter mutieren zu Managern, deren hauptsächliche Aufgabe es sein wird, private Gelder zu akquirieren – von Eltern, Mäzenen, Sponsoren aus der Wirtschaft. Die schon vorhandenen Unterschiede bei der Ausstattung von Schulen dürften wachsen.

Entsprechend laut sind die Proteste der Betroffenen. Am 17. Oktober, dem Internationalen Tag für Beseitigung der Armut, ging auch die von Maurizio Landini, dem Sekretär der Metallgewerkschaft FIOM, angeführte Coalizione Sociale in Rom auf die Straße. So wird – wie fast immer um diese Jahreszeit – über einen „heißen Herbst“ der sozialen Konflikte spekuliert.

Kaum linke Gegenwehr

Derweil dauert die Krise der politischen Linken an. Trotz fortgesetzter Demütigungen durch Renzi will es der linke PD-Flügel nicht auf einen Bruch ankommen lassen. Ausgetreten sind nur wenige, darunter der Abgeordnete Pippo Civati. Mit seinem neuen Block Possibile (möglich) wollte er acht Referenden auf den Weg bringen, u. a. gegen die Arbeitsmarktreform, das Wahlgesetz und die Schulreform. Das ist gescheitert, da die dafür notwendige Zahl von Unterschriften nicht erreicht wurde. Auch die Debatte über einen Ausweg aus der Krise, wie sie etwa in der linken Zeitung il manifesto geführt wird, kommt nicht recht voran. Viele Diskutanten setzen auf Anstöße von außen. Ihr Hoffnungsträger bleibt Alexis Tsipras, hinzugekommen ist Jeremy Corbyn, der neue Labour-Chef.

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