Sterne des Südens

Italien Besonders die Menschen im Süden des Landes haben EU-skeptisch gewählt. Für die EU-Reformer ist die drohende politische „Instabilität“ der größte anzunehmende Unfall
Ausgabe 10/2018
Mit 32,7 Prozent ist die Parteil Movimento Cinque Stelle unangefochtener Wahlsieger
Mit 32,7 Prozent ist die Parteil Movimento Cinque Stelle unangefochtener Wahlsieger

Foto: Alberto Pizzoli/AFP/Getty Images

Die Sorgen in Brüssel, Berlin und Paris sind echt. Nach Polen und Ungarn könnte sich nun ein weiteres Land den Vorgaben der EU-Strategen widersetzen: ausgerechnet Italien, die drittgrößte Wirtschaftsmacht des Kontinents. Was die Sache aus der Sicht von Juncker, Merkel und Macron besonders schlimm macht: Die italienische Parlamentswahl am 4. März hat zwar Sieger und Verlierer, aber keine regierungsfähige Mehrheit hervorgebracht. Damit droht politische „Instabilität“, für das europäische Führungstrio der größte anzunehmende Unfall.

Den Rechtsschwenk des Wahlvolks mit 17,4 Prozent für die offen rassistische Lega sieht man in den europäischen Hauptstädten dagegen gelassener. Er war voraussehbar, und nicht zuletzt die amtierende sozialdemokratische Regierung hat daran ihren Anteil. So verwiesen Premier Paolo Gentiloni und sein Innenminister Marco Minniti im Wahlkampf stolz auf ihre „Leistungen“ bei der Abwehr von Migranten, die jetzt Italien nicht mehr erreichen können, weil sie in libyschen Lagern und Gefängnissen sitzen. Das Geschrei rassistischer Hardliner ließ sich damit nicht übertönen, vielmehr wurde so, gewollt oder ungewollt, Einwanderung zum Hauptproblem der italienischen Mehrheitsgesellschaft aufgeblasen und in den Talkshows entsprechend breitgetreten.

Auch die Debatten über das zweite große Wahlkampfthema – die Wirtschaft und soziale Lage – waren nicht dazu angetan, die Rechte in die Schranken zu weisen. Matteo Renzi gefiel sich als Chef des Partito Democratico (PD) einmal mehr darin, die Erfolge der eigenen Politik zu preisen. Nur was nützt der Verweis auf Wachstumsraten all denen, die nach wie vor in Armut leben und sich von einem prekären Job zum nächsten hangeln? Das zu thematisieren, war Anliegen der beiden linken Wahlalternativen: der Liberi e Uguali (Die Freien und Gleichen/LeU) und Potere al Popolo (Die Macht dem Volk/PaP). Durchdringen konnten sie damit nicht. Den linkssozialdemokratischen Freien und Gleichen gelang es mit 3,4 Prozent nur knapp, die Drei-Prozent-Hürde zu überspringen. Dass Potere al Popolo es schwer haben würde, ins Parlament zu kommen, war von vornherein klar. Die erreichten 1,1 Prozent sind dennoch mehr als enttäuschend.

Hoffnungen auf eine politische Erneuerung des Partito Democratico, der nur auf 18,7 Prozent kam, sind nicht sehr verbreitet. Das politische Interesse richtet sich derzeit vor allem auf die vielen neuen Mandatsträger des Movimento Cinque Stelle (M5S), mit 32,7 Prozent unangefochtener Wahlsieger.

In einigen Hochburgen im Süden des Landes erreichte M5S gar Ergebnisse um die 60 Prozent. Erste Analysen liefern hierfür plausible Erklärungen. Im Süden, wo der alte Klientelismus – Jobs und sonstige Zuwendungen gegen Wählerstimmen – nicht mehr funktioniere, gebe es nicht nur eine Art „Rache an den Wahlurnen“, sondern auch das Phänomen einer „umgedrehten Personalisierung“, so der Soziologe und Parteienforscher Piero Fantozzi. „Renzi dachte, das Mehrheitswahlrecht würde den weniger bekannten M5S-Kandidaten schaden. Aber die Personalisierung funktionierte genau andersherum. Die Wähler stimmten für unbekannte Bewerber, weil sie die altbekannten abstrafen wollten.“

Dass Lega und M5S eine gemeinsame „Regierung der Populisten“ bilden, wie in einigen EU-Hauptstädten befürchtet, ist zwar nicht völlig auszuschließen, aber derzeit wohl sehr unwahrscheinlich. Noch ist Italien nicht verloren.

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