Überraschungscoup mit HIV-verseuchtem Blut

Hinter Festungsmauern Vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Genua sind Polizei und Globalisierungsgegner zum erneuten Schlagabtausch angetreten

Über die andauernde Konjunkturflaute soll ab 20. Juli beim Weltwirtschafts-Gipfel in Genua geredet werden. Auch die Reform internationaler Finanzinstitute oder eine bessere Krisenprävention stehen auf der Tagesordnung. Aber nicht nur acht Staatschefs samt Anhang wollen dazu ihr Votum abgeben. Gleiches dürften auch die erwarteten 150.000 Demonstranten für sich in Anspruch nehmen, die als "Gegen-Gipfel" aufmarschieren. Das Konferenzzentrum in der verwinkelten Altstadt von Genua könnte zur belagerten Festung werden. Bereitet sich ein Szenario vor, gegen das die Straßenkämpfe jüngst in Göteborg nur ein harmloses Vorspiel waren?

Für die Planer des Gipfels gibt es nur zwei Alternativen: Das Zentrum von Genua wird an einem heißen Wochenende im Juli entweder zur "militarisierten Einöde" oder zum "Schlachtfeld". Schon lange vor den Straßenkämpfen beim EU-Gipfel in Göteborg beschäftigte sich Italiens innenpolitische Debatte mit dem Treffen der Staatsmänner und damit verbundenen Sicherheitsrisiken. Der Blick auf den Stadtplan von Genua verdeutlicht das Dilemma: Der Palazzo Ducale - Schauplatz des Treffens - liegt mitten im historischen Stadtkern. Unweit des Hafens behindert ein Gewirr von Gassen die Mobilität der Polizei, während es den Gipfel-Gegnern Rückzugsmöglichkeiten bietet - vorausgesetzt, sie schaffen es, bis in diesen kritischen Sektor vorzudringen.

Wasserwerfer für die Armee

Das "Sicherheitskonzept" sieht eine hermetisch abgeriegelte "rote Zone" vor: Ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern, in das auch die dort wohnenden 28.000 Italiener nur eingelassen werden, wenn sie einen Sonderausweis vorlegen. Informell hat die Polizei an die Einwohner der Stadt appelliert, zwischen dem 19. und dem 23. Juli möglichst Urlaub zu nehmen. Überlegungen, den Gipfel anderswo, vielleicht auf einem Schiff, zu veranstalten, wurden verworfen. Das hätte einen Sieg jener "kleinen, radikalen Minderheit" bedeutet, die man offenbar in die Schranken weisen und nachhaltig demoralisieren will.

Das Sicherheitskonzept für Genua - entworfen noch von der abgewählten Mitte-Links-Regierung - besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen: dem weitgehenden Verbot von Gegendemonstrationen und Meetings - und der Mobilisierung eines gigantischen Bürgerkriegsheeres aus mindestens 18.000 Polizisten. Um einen eventuellen Einsatz der Streitkräfte gibt es seit längerem verwirrende Statements und Dementis, die keine sind. So wollte Sergio Mattarella, der alte Verteidigungsminister, während des Gipfels Soldaten "gegen Terrorismus und Sabotage" einsetzen - Ende Juni jedoch erklärte der neue Innenminister, Claudio Scajola, Militär werde in Genua nicht gebraucht. Das ist aber - wenn nicht eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit - doch offensichtlich noch nicht das letzte Wort: Nach Recherchen des linken Il Manifesto liefert die Firma Iveco in Brescia gerade 14 gepanzerte Wasserwerfer an die Armee - eine für die Landesverteidigung eher unübliche Waffe.

Die Rechtsregierung unter Berlusconi hofiert das Sicherheitskonzept ihrer Vorgängerin, bemüht sich aber gleichzeitig um moderate Töne. Außenminister Renato Ruggiero meinte gar, die Forderungen der Globalisierungsgegner - des in Italien so genannten popolo di Seattle - seien überwiegend "sehr berechtigt". Auch Berlusconi ließ etwas von "Demonstrationsfreiheit" verlauten, um im gleichen Atemzug anzukündigen, der "extremistische Flügel" werde "unschädlich" gemacht.

Nach Göteborg hatte der Premier sofort eine kompromisslose Gangart favorisiert und das Demo-Verbot auf eine "gelbe Zone" ausgeweitet. Da dies jedoch eher Eskalation versprach, folgte am 30. Juni bei einem Treffen mit Delegierten des Genoa Social Forum ein Rückzieher: Die "gelbe Zone" wurde aufgehoben - für den Gegengipfel und seine auswärtigen Teilnehmer stehen nun sogar Schulen und andere Gebäude zur Verfügung.

Bin Ladin erwartet George Bush

Auch wenn das Vorgehen der Militanten in Göteborg von den Aktivisten unterschiedlich bewertet wird, ist man sich doch einig, dass die Lehre nicht in der Selbstunterwerfung der Bewegung bestehen kann. Wer keine Gewalt wolle, müsse abrüsten - also solle zuallererst die Polizei auf das Mitführen von Schusswaffen verzichten. Wenn die Gegenseite argumentiere, der Schutz des Gipfels erfordere bewaffnete Polizei, Panzerwagen, Wasserwerfer und eine Art Belagerungszustand, dann müsse der Gipfel als offensichtlich "illegitim" abgesagt werden. Die Regierung in Rom hat aus Göteborg genau entgegengesetzte Schlussfolgerungen gezogen. Repressive Maßnahmen wie Vorbeugehaft gegen potenzielle "Demonstrationsstraftäter" oder die Sperrung der Grenzen für ausländische Teilnehmer könnten militanteGegenaktionen ebenso provozieren wie mehr oder weniger gezielt gestreute Gerüchte. Einmal ist es der Terrorist und derzeitige Welt-Oberschurke Bin Ladin, der den US-Präsidenten ausgerechnet in Genua niederstrecken will, dann wieder behauptet die Abteilung für psychologische Kriegführung, einen besonders bösartigen Massenmordplan aufgedeckt zu haben: einen Überraschungsangriff mit HIV-verseuchten Blutbeuteln, der die globale Elite dahin raffen soll.

Ob die Meldung von den angeblich bereit gehaltenen 200 Leichensäcken auf Tatsachen beruht oder erfunden ist, die Botschaft bleibt die Gleiche: In Genua droht eine Schlacht - und wenn der worst case dann doch nicht eintritt und die Polizei nur ganz konventionell die Demonstrierenden einsperrt und misshandelt, braucht man sich nicht weiter aufzuregen. Dabei erfreut sich die Protestbewegung in Italien derzeit breiter Sympathien. Die bei den Wahlen unterlegene Linke erhofft sich wohl im Stillen eine Situation, die Berlusconis Image als starker Mann beschädigen könnte - wenn auch die Rhetorik führender Linksdemokraten den Regierungsstatements zum Verwechseln ähnlich klingt: "Protest ist legitim, solange er sich an vorgegebene Regeln hält." - Doch das wird die Community der Widerständigen kaum tun. Sie hält weiter an ihrem Ziel fest, in die "rote Zone" vorzudringen, um den Gipfel zu verhindern. Dabei ist diese Bewegung sehr heterogen: zu ihr gehören neben den "üblichen" NGO die alternativen centri sociali (Sozialzentren), Immigranten, betriebliche Basiskomitees (Cobas), die Metallergewerkschaft FIOM, Freunde der Zapatisten, die Linkspartei Rifondazione Comunista, Anarchisten oder sozial engagierte Katholiken, die vor den Polizeiketten für eine bessere Welt beten wollen. Insgesamt werden mindestens 150.000 Demonstranten erwartet. Den Auftakt bildet am 19. Juli eine Demonstration für die Rechte der Migranten, die im gesperrten Altstadtviertel, wo auch viele "Illegale" wohnen, stattfindet. Am 20. Juli soll dann versucht werden, den Gipfel so weit wie möglich zu stören oder zu blockieren; Angriffspunkte dürften neben 13 Polizeisperren etwa 200 durch Container, Gitter und Verschläge verbarrikadierte Übergänge in die "rote Zone" sein, bevor der "Gegengipfel" mit einer gemeinsamen Großdemonstration aller G 8-Gegner am 21. Juli seinen Höhepunkt erreicht.

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