Auf in die Autokratie

Colombo Eine Verfassungsänderung in Sri Lanka gibt dem Präsidenten Gotabaya Rajapaksa und seiner Familie wieder weitgehend die Kontrolle

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Eine Frau vor einem Plakat, welches den aktuellen Premierminister Mahinda Rajapaksa zeigt
Eine Frau vor einem Plakat, welches den aktuellen Premierminister Mahinda Rajapaksa zeigt

Foto: Paula Bronstein/Getty Images

Sri Lankas Parlament hat am Donnerstag den 22. Oktober eine Verfassungsänderung mit eindeutiger Zweidrittelmehrheit von 156 zu 65 Stimmen verabschiedet. Zentrales Anliegen ist die Konzentration von Macht beim Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. Unabhängige Kontrollen wird es zukünftig nicht mehr geben. Auch die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Rajapaksa Familie während des Bürgerkrieges (1983 – 2009) dürfte zu einem entfernten Traum werden. Wie konnte es dazu kommen und was genau ist der Inhalt der 20. Verfassungsänderung Sri Lankas?

Vorgeschichte

In Sri Lanka herrscht nicht erst seit der Corona-Krise eine Stimmung politischer Unsicherheit und Instabilität. Das Ende des Bürgerkrieges ist erst 11 Jahre her. 2018 durchlebte das Land eine Verfassungskrise, die die politische Landschaft erschütterte und 2019 verübte der Islamische Staat am Ostersonntag eine Serie von Anschlägen, bei denen 267 Menschen starben. Hinzu kommt dass das Land schon vor der Pandemie in einer Wirtschaftskrise steckte. Das allgemeine Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit war groß, als im November 2019 die Präsidentschaftswahlen anstanden. Die Enttäuschung über die Versäumnisse der demokratischen Regierung von 2015-2019 ebenfalls. Ein starker Führer sollte her, einer der die Dinge mal so richtig anpackt. Der ehemalige Verteidigungsminister Gotabaya Rajapaksa, der für den militärischen Sieg im Bürgerkrieg über die Tamil Tigers verantwortlich war, konnte darauf gezielt aufbauen. Er konzentrierte sich in seinem Wahlkampf auf wirtschaftliche Entwicklung, starke Führung und nationale Sicherheit, mit besonderem Schwerpunkt auf Sicherheit vor der gefühlten Bedrohung durch den Islam. Er gewann die Wahl mit 52,25% der Stimmen, ernannte ein Interimskabinett und seinen Bruder Mahinda Rajapaksa, der von 2005 – 2015 das Präsidentenamt inne hatte, zum Premierminister.

Anschließend sollte im April das Parlament gewählt werden. Dazwischen kam die Corona-Krise. Die Parlamentswahl musste verschoben werden. Nach zwei Monaten Ausgangssperre und einem vom Militär koordinierten Kampf gegen Corona galt das Virus als eingedämmt. Als die Wahl am 05. August nachgeholt wurde, waren weniger als 3000 Menschen infiziert worden und nur 11 sind gestorben. Für das schnelle Durchgreifen wurde Sri Lanka auch international gelobt und die Sri Lanker waren zufrieden mit ihrem Präsidenten. Gleichzeitig hatte die Opposition Schwierigkeiten durch interne Konflikte und war tief zerstritten. Im Ergebnis holte die, von Rajapaksa 2018 gegründete, nationalistische Partei SLPP (übersetzt: Sri Lanka Volksfront) knappt 60% der Stimmen. Trotz der Pandemie lag die Wahlbeteiligung bei immerhin 71%. Zusammen mit ihren Verbündeten hatte die SLPP sogar einen Sitzplatz mehr im Parlament erreicht, als die erhoffte Zweidrittelmehrheit: 151 von 225 Sitzen. Ein klares Mandat für die Rajapaksas und ihr Programm.

Im Kabinet von Gotabaya Rajapaksa, sitzen neben ihm und seinem Bruder Mahinda Rajapaksa noch ihr Bruder Chamal Rajapaksa sowie Mahindas ältester Sohn Namal Rajapaksa. Hinzu kommen Familienmitglieder im Parlament und weiteren zentralen Staatsorganen. Den Rajapaksas werden eine Reihe von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen während der Endphase des Bürgerkrieges vorgeworfen. Zum Beispiel die Freigabe von Schießbefehlen auf sich ergebende Rebellen oder das Verschwinden von Journalisten. Aufklärung und juristische Klärung dieser Vorkommnisse wurde später immer wieder behindert. Mehreren Familienmitgliedern werden außerdem Korruptionsvorwürfe und die Veruntreuung von Regierungsgeldern zur Last gelegt. Gotabaya Rajapaksa hat zum Beispiel in seiner Funktion als Verteidigungsminister Militärflugzeuge über eine nicht existente Drittfirma im Wert von 10 Millionen Dollar gekauft. Der Journalist Lasantha Wickrematunge, der darüber berichtete, ist später auf offener Straße erschossen worden.

Sri Lanka‘s Verfassung

Sri Lankas aktuelle Verfassung ist seit 1978 in Kraft. Sie löste die sozialistische Verfassung von 1972 ab und versprach eine rasche wirtschaftliche Entwicklung unter der Führung eines starken Präsidenten. Seither war der Wunsch unter politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren groß, Macht zu dezentralisieren und unabhängige Kontrollen zu stärken. 2015 kam eine Koalition mehrerer Parteien, die sich der Redemokratisierung des Landes verschrieben hatten, unter Präsident Sirisena an die Macht. Da die Koalition in der Parlamentswahl jedoch nur 45% der Stimmen erhielt, musste sie eine Minderheitenregierung bilden. Nach einem ganzen Jahrzehnt des zunehmenden Rajapaksa Autoritarismus sollten nun Gewaltenteilung und Rechtsstaat wieder gestärkt werden.

Die 19. Verfassungsänderung hatte genau das zum Ziel. Sie sah vor, die Rolle von Premierminister und Parlament, sowie unabhängigen Gremien, zu stärken, um so die Macht der Exekutive aufzuteilen und interne Kontrollen zu ermöglichen. Als die Verfassungsänderung am 28. April 2015 zur Abstimmung ins Parlament kam, haben bis auf eine einzige Gegenstimme alle Parlamentarier*innen dafür gestimmt. Die 19. Verfassungsänderung entsprach einem breitem politischen Konsens und das obwohl die demokratische Koalition selbst nur ein relativ schwaches Mandat erhalten hatte.

20. Verfassungsänderung

Dass eine Verfassungsänderung kommt, war lange klar. Gotabaya Rajapaksa hat seit seiner Wahl zum Präsidenten vergangenen November immer wieder betont, dass er sich durch die aktuelle Verfassung behinderthle. Die Fehler und Versäumnisse der Vorjahre konnten hervorragend auf die 19. Verfassungsänderung geschoben werden, die angeblich zwei inkompatible Machtzentren geschaffen hatte. Veröffentlicht wurde die 20. Verfassungsänderung am 02. September. Deutlich war sofort, dass das Ziel eine Art autokratischer Alleinherrscher war, der alle Posten und Funktionen im Staat kontrolliert, selbst keinen unabhängigen Kontrollen unterliegt und dabei rechtlich vollkommen immun ist.

Die Kontrollwirkung des Premierministers auf den Präsidenten ist durch die 20. Verfassungsänderung praktisch wieder zurückgenommen worden und seine Entscheidungsgewalt entscheidend beschränkt worden. Zunächst einmal dadurch, dass der Präsident den Premier fortan jeder Zeit einfach entlassen kann. Bisher wäre das nur durch ein Misstrauensvotum durch das Parlament möglich gewesen. Hinzu kommt, dass der Premier bisher ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Ministerialposten hatte. Nun kann der Präsident die Minister*innen ohne Einfluss des Premiers ernennen und auch wieder entlassen. Das Ergebnis dürfte ein Kabinett sein, deren Mitglieder den Weisungen des Präsidenten ohne Widerspruch folgen.

Nach der 19. Verfassungsänderung hatte der sogenannte Verfassungsrat eine zentrale Rolle bei der Besetzung von wichtigen Ämtern im Staat. Der Verfassungsrat bestand aus Mitgliedern möglichst vieler Parteien, sowie auch Mitgliedern die explizit nicht in einer Partei engagiert sind, aber öffentliches Ansehen genießen. In die Ernennung der Mitglieder des Verfassungsrates waren Präsident, Premier, Oppositionsführer und das Parlament mit einbezogen. Durch die breite Repräsentation sollten die Entscheidungen des Verfassungsrates entpolitisiert werden und Ernennungen von wichtigen Ämtern im Staat von den tatsächlichen Fähigkeiten der ernannten Personen abhängen.

Das galt zum Beispiel für die Richter*innen des Obersten Gerichtshofes. Der Präsident machte hier Vorschläge und brauchte dann die Zustimmung des Verfassungsrates. Die Mitglieder wichtiger Gremien wie der Menschenrechtskomission, der Wahlkomission oder der Kommission zur Untersuchung von Korruption und Bestechungsvorfällen schlug der Verfassungsrat sogar selbst vor. Dabei war der Rat dazu angehalten, bei seinen Vorschlägen eine gerechte Repräsentation von verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten.

Mit der jetzt in Kraft getretenen Verfassungsänderung kann der Präsident alle wichtigen Ämter und Positionen nach Gutdünken selbst festlegen. Der Rat existiert in abgewandelter Form (weniger divers) weiter, hat aber praktisch keinen Einfluss mehr auf die Ämtervergabe. Damit ist die Unabhängigkeit der Judikative sowie die Unabhängigkeit von Gremien gefährdet, die für die Demokratie zentrale Aufgaben wie die Übersicht über Wahlen oder den Kampf gegen Korruption übernehmen.

Zusätzlich wurden die Aufgabenbereiche und Rechte dieser Gremien eingeschränkt. So darf die Wahlkommission sich ab sofort ausschließlich mit der Ausführung von Wahlen beschäftigen, nicht aber z.B. mit Risiken moderner Wahlbeeinflussung durch digitale Technologien und erforderlichen Gesetzen, um dem begegnen zu können. Einige Beobachtende fürchten nun sogar das Ende von freien und fairen Wahlen insgesamt.

Der Einfluss auf Ämtervergabe und eingeschränkte Kommissionen haben weitreichende Folgen. Gegenseitige Kontrolle verschiedener Institutionen, die Checks and Balances, sind unerlässlich für die Demokratie. Das macht es möglich Amtsträger*innen für ihre Entscheidungen in die Verantwortung zu ziehen. Dass das explizit nicht mehr gewünscht ist, zeigt der Bereich der Finanzkontrolle, also die Kontrolle darüber, wie der Staat mit öffentlichen Geldern umgeht.

Da gibt es zunächst die oberste Wirtschaftsprüfung. Eine Institution mit der Aufgabe, unabhängige Prüfungen der Regierungsausgaben durchzuführen und so zum Beispiel festzustellen, wenn Gelder verschwunden sind. Allerdings wird, wie alle anderen wichtigen Positionen auch, die/der Wirtschaftsprüfer/in nun ebenfalls alleinig vom Präsidenten ernannt. Dadurch ist die Unabhängigkeit der Prüfung nicht mehr gewährleistet.

Die 19. Verfassungsänderung hat zusätzlich zur Wirtschaftsprüfung noch eine Kommission zur Überwachung der Öffentlichen Beschaffung etabliert. Diese hatte die Aufgabe, die Einkäufe der Regierung zu überwachen, also etwa beim Kauf von Militärflugzeugen oder der Auftragsvergabe für Infrastrukturprojekte noch einmal genauer hinzusehen. Die 20. Verfassungsänderung sieht nun vor, diese Kommission wieder aufzulösen. Es bleibt also keine unabhängige Kontrolle der Regierungsausgaben, was regelrecht einlädt zu Korruption und dem Missbrauch von öffentlichen Geldern.

Ein weiterer wichtiger Punkt, ist die Macht, die der Präsident über das Parlament hat. Das Parlament wird in Sri Lanka alle fünf Jahre gewählt. Die Verfassungsänderung sah nun vor, dass der Präsident das Parlament schon nach einem Jahr wieder auflösen könnte, was ihm die Möglichkeit gibt, Druck auf das Parlament auszuüben, sollte sich dieses seinem Willen widersetzen.

Bei all dem sah der Entwurf vor, dass der Präsident wieder vollkommene rechtliche Immunität bekäme. Er würde dann de facto über dem Gesetz stehen.

Ein kurzes Ringen

Nach der Veröffentlichung am 02. September kam viel Kritik auf von Seiten der Opposition, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Jurist*innen sowie der Wissenschaft. Dr. Asanga Welikada, sri-lankischer Verfassungsrechtler, der in Schottland lehrt, schrieb in einem Beitrag:

„Dadurch dass selbst die fundamentalsten Formen der Rechenschaftspflicht entfernt werden und gleichzeitig Straflosigkeit gefördert wird, entsteht ein Regierungssystem das Autoritarismus erzeugen wird, Korruption, Exklusion, Rechtslosigkeit und einen gewalttätig repressiven Staat. Wenn diese Konsequenzen in der Gesamtgesellschaft spürbar werden, ist das ganze institutionelle Gerüst der konstitutionellen Demokratie bereits entkräftet.“


Sogar religiöse Gruppen sind in die Kritik eingestiegen. So warnten führende buddhistische Mönche vor „dem direkten Weg in die Diktatur“ und auch die katholische Bischofskonferenz und der Nationale Christliche Rat kritisierten in jeweiligen Stellungnahmen das intransparente, überstürzte Vorgehen und die rückschrittlichen Vorschläge.

Am 22. September kam die Verfassungsänderung in die erste Lesung im Parlament. Danach hatten die Sri Lanker sieben Tage Zeit, gegen die Verfassungsänderung Petitionen beim Obersten Gerichtshof einzureichen. Insgesamt 39 solcher Petitionen gingen ein. Große Hoffnung wurde darauf gesetzt, dass die vorgeschlagene Verfassungsänderung ein Referendum notwendig machen würde, weil sie die Souveränität der Bevölkerung untergräbt.

In der Woche vom 19.-25. Oktober ging dann alles ganz schnell. Am Montag den 19. Oktober verkündete Bildungsminister Prof. G.L. Peiris nach einer Kabinettssitzung, dass der Präsident wegen der Kritik nun einverstanden sei, einige Änderungen vorzunehmen. Dazu gehörte unter anderem, dass es möglich bleiben sollte, Grundrechtsklagen gegen ihn anzufechten, somit stünde der Präsident nicht über dem Gesetz, und dass er das Parlament statt nach einem Jahr erst nach zweieinhalb Jahren auflösen könne.

Am Dienstag wurde das Urteil des Obersten Gerichtshofes vor dem Parlament verlesen. Genannt wurden einige Punkte der Verfassungsänderung, die ein Referendum erfordern würden. Praktischerweise wurden genau diese Punkte am Vortag bereits vom Präsidenten aufgegeben oder geändert. Damit war ein Referendum nicht notwendig, eine Abstimmung im Parlament mit Zweidrittelmehrheit würde ausreichen, um die Verfassungsänderung zu verabschieden. Am Mittwoch debattierte das Parlament die Verfassungsänderung in der zweiten Lesung. Die Opposition versuchte im Voraus noch vergebens darauf hinzuweisen, dass eine so kurze Zeit für die Debatte, direkt nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, nicht ausreiche, um eine für das Land so wichtige Frage zu klären. Aber die Regierung ließ sich auf ihrem Kurs nicht beirren. Am Donnerstag kam die Verfassungsänderung in die Dritte Lesung und wurde mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet.

Ausblick

Die 20. Verfassungsänderung hat den Präsidenten gestärkt, Premier und Parlament geschwächt. Sie untergräbt die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und Kommissionen und eliminiert wichtige Kontrollen für staatliches Handeln.

Erklärtes Ziel der Rajapaksas ist darüber hinaus die Verfassung von 1978 durch eine vollkommen neue Verfassung zu ersetzen. Das Justizministerium hat die Öffentlichkeit bereits eingeladen, Vorschläge für die neue Verfassung einzureichen. Die Vorschläge werden dann ab Ende November von einem Expertenkomitee zu einem Entwurf verarbeitet. Das Expertenkomitee wurde vom Kabinett ernannt, das wiederum vom Präsidenten kontrolliert wird. Was für eine Art Verfassung dieses Expertenkomitee vorschlägt, dürfte also wenig Überraschung bieten.

Bhavani Fonseka, Senior Researcher beim Center for Policy Alternatives in Colombo und Mitverfasserin einer der 39 Petitionen kommentierte gegenüber Bloomberg:

„Wenn das nur der Vorläufer ist, dann machen wir uns ernstlich Sorgen darüber, was in einer neuen Verfassung auf uns zukommt“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jeremy Oestreich

Masterstudent Politikwissenschaften. Schreibe hier über Themen, die mich aktuell bewegen.

Jeremy Oestreich

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