Auf nach Mahagonny!

El Dorado in Venezuela Goldgräber suchen ihr Glück, holzen den Imataca-Urwald ab, fällen den Lebensbaum der indianischen Völker

Eine dünne Schicht orange-roter Staub bedeckt Holzhütten, verrostete Autos und anderen Schrott entlang der Dschungelpiste nordwestlich von Las Claritas, einer Goldgräbersiedlung im Süden Venezuelas. Die Gegend sieht so aus, wie man sich ein Camp der Glückssucher und Sonnenanbeter vorstellt: staubig, heiß, dreckig, verwahrlost. "Pass auf dich auf, besonders nachts. Es gibt hier viele Betrunkene, die zu allem imstande sind", warnen Manuel und José, die mich in einem 26 Jahre alten Jeep, wie sie beteuern, zu den Minen chauffieren. Ich habe die beiden vor ein paar Minuten auf der Straße in Las Claritas angesprochen. Ursprünglich wollte ich fragen: "Könnt ihr mich mitnehmen? Ich möchte über eure Minen eine Geschichte schreiben." Doch ich verzichte besser auf nähere Auskünfte zu meinen Absichten. Bekannte in Caracas haben mich mit dem Satz verabschiedet: "In dieser Gegend gibt es kein Gesetz, sondern nur das Recht des Stärksten! Des Stärksten, verstehst du!" Daher sage ich einfach: "Ich möchte gern die Minen sehen, kann ich mitfahren?" José und Manuel nicken.

Zuerst erreichen wir Ciudad Dorada, die "Goldstadt", ein erbärmliches Nest, in dem manche Mineros jahrelang campieren. Hinter dem Ortsausgang, unterwegs auf einer holprigen Sandpiste, die sich durch den Urwald gräbt, passieren wir ein riesiges Schild, auf dem die Regierung Unterstützung für die Minenkooperativen verspricht. Dann sind wir am Ziel - vor uns liegt eine riesige Fläche, vielleicht ein Quadratkilometer gerodeter Urwald. Auf der Sohle eines Minenlochs, in etwa zwölf Meter Tiefe, graben Maschinen mutmaßlich goldhaltige Erde ab, die mit Wasser vermischt durch Schläuche nach oben auf ein Förderband gepumpt wird, um dort solange geschüttelt zu werden, bis das Gold als schwerstes Material heraus gefiltert ist.

"Wir sind Teil einer Kooperative, der die Regierung finanziell unter die Arme greift", erzählt José. "Wir bekommen bis zu 140 Millionen Bolivares (50.000 Euro, J. K.) Subventionen, damit wir beispielsweise Maschinen kaufen können." José kam vor 19 Jahren nach Las Claritas, um nach seinem Glück in den Minen zu suchen, Manuel erst vor drei Wochen, die Wut über Caricuao, das Armenviertel am westlichen Stadtrand von Caracas, im Nacken, das ihm die "Luft zum Atmen nahm", wie er glaubt.

"Was die Regierung tut, hilft uns schon", meint José, "nur sind hier leider zu viele illegale Mineros unterwegs - Leute aus Kolumbien, Brasilien, Guyana, der Dominikanischen Republik, sogar aus Portugal. Nur wer einen venezolanischen Pass vorweisen kann, darf Mitglied einer Kooperative werden. Die anderen bleiben trotzdem."

Die Regierung versucht, mit ihrem Programm für die Kooperativen illegale Schürfer zu legalisieren, die Goldsucher aus dem eigenen Land, von denen die meisten oft nicht mehr als eine Schüssel besitzen, um Erde oder Schlamm zu sieben.

Findet einer Klumpen des begehrten Metalls, geht er zum Zwischenhändler in Las Claritas, um seine Ware zu verkaufen. In den kleinen, unscheinbaren Läden dort wird viel Geld verdient. Nicht von den Mineros, die den ganzen Tag in der Hitze stehen, sondern von den Besitzern der Geschäfte. "Die Preise von Las Claritas sind die niedrigsten in ganz Venezuela", klagt Manuel. "Hier bringt ein Gramm Gold 30.000 Bolivares (100 Euro, J.K.). In Caracas kannst du es garantiert für 70.000 verkaufen." Wer dennoch etwas verdient, vertrinkt den größten Teil davon oder lässt sein Geld in den Börsen der überall mit den Flügeln schlagenden Huren verschwinden. Zwei, drei Tage Trost, dann geht es mit unschuldsvollen Augen zurück in die Schlammlöcher der Wildnis.

Goldhungrige Drohnen

Außer den Einzelgängern und Kooperativen gibt es in Las Claritas noch eine dritte Gruppe von Goldgräbern - multinationale Bergbaufirmen aus Kanada und den USA. Eine dieser goldhungrigen Drohnen in Las Claritas ist Crystallex mit Hauptsitz in Ottawa. Es wird nicht schwierig, dessen Domäne zu finden, hohe Zäune umringen das Gelände. Am Haupteingang halten Wachleute mit Helm und Schlagstock unerwünschte Besucher auf Abstand. "Keine Bilder! Fotografieren verboten!" Der Ruf kommt vom Aussichtsturm des Sicherheitspersonals und klingt wie ein Befehl, den zu missachten nicht empfehlenswert scheint. Vielleicht sollen die windschiefen Verschläge der Mineros nicht abgelichtet werden, die sich fast bis zum Gitterportal von Crystallex ziehen und für einen aussagekräftigen Kontrast sorgen. Aber die Desperados aus Ciudad Dorada campieren auf öffentlichem Grund - der Konzern muss es hinnehmen.

Die Präsenz von Crystallex oder des US-Unternehmens Hecla, das Konzessionen zur Goldsuche für El Callao und andere Gebiete besitzt, ist nicht nur venezolanischen Umweltschützern ein Dorn im Auge. Besonders die Verbände der Indigenas begehren dagegen auf, denn Las Claritas ist Teil des Imataca-Waldreservats. Ein riesiges Schutzgebiet entlang der Grenze mit Guyana, das von seiner Fläche her die Größe des Territoriums der Niederlande knapp übertrifft. Im Imataca-Wald und den angrenzenden Regionen leben mit 19 indigenen Völkern die Ureinwohner Venezuelas in einer Gegend, von der man weiß, dass nicht nur Gold zu ihren Reichtümern zählt, sondern auch Diamanten, Kupfer, Bauxit und Mangan. Wahrscheinlich beherbergt der Imataca-Wald die größten Goldvorräte Lateinamerikas.

Als diese Vorkommen in den neunziger Jahren mehr und mehr erkundet waren, erließ der damalige Präsident Rafael Caldera 1997 das "Dekret 1850", mit dem regierungsoffiziell die Erlaubnis erteilt wurde, einzelne Zonen des Imataca-Waldes abzuholzen. "Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los", erinnert sich Maria Eugenia Bustamante vom Umweltschutzbund Amigransa. "Wir verlangten eine Annullierung des Dekretes, bis sich aus Expertisen ersehen ließ, welche Folgen die Abholzung und der Bergbau haben würden. Und wir hatten Erfolg - der Oberste Gerichtshof in Caracas verfügte ein Moratorium, das zunächst sämtliche Rodungen stoppte."

Jahre später, im September 2004, erlässt Präsident Chávez das "Dekret 3110", ein "neuer Managementplan", wie es heißt, aus dem hervorgeht: Bergbaukonzessionen, die bereits vergeben wurden, behalten ihre Gültigkeit. Das "Dekret 3110" bestätigt de facto, was mit dem "Dekret 1850" einst beabsichtigt war - die Abholzung von Teilen des Imataca-Waldes zugunsten des Bergbaus.

Nicht nur deswegen sind die Umweltverbände enttäuscht. Sie fühlen sich durch Hugo Chávez verraten. Der soll 1997, als er noch zur Opposition gehörte, gesagt haben: "Die Ausbeutung von Ressourcen unseres Landes darf sich nicht gegen künftiges Leben richten. Sollte ich vor der Entscheidung stehen, den Wald abholzen zu müssen, um an das Gold zu gelangen - ich würde mich für den Wald entscheiden."

Trotzdem werden derzeit neue Konzessionen verkauft, und das Holz- und Minengeschäft boomt wie nie zuvor. Etwa 60 Prozent des Waldes sind prinzipiell für die Abholzung freigegeben. Es geht um fast drei Millionen Hektar, die bedroht sind. "Die Holz- und Bergbaufirmen werden uns nichts Wertvolles hinterlassen", meint Professor Cesar Centeno von der Andenuniversität in Merida. "Im Gegenteil, sie gebrauchen hochgiftiges Zyanid und Quecksilber, so dass vergiftete Wälder und Flüsse, Erosion und Armut die Folge sind. Man zahlt in Venezuela bei Rodungen weltweit die niedrigsten Steuern, und das mit dem Plazet des Umweltministers."

Im Dickicht der Mensch

In einem amerikanischen Schlitten der fünf Passagiere befördert, rase ich in Richtung Norden, nach Ciudad Bolívar. Entlang der Piste brennt hier und da der Wald. Bereits gerodete Flächen sind in der Landschaft dank der schwarz- oder graubraunen Flecken überall gut zu erkennen. Während meine Mitfahrer in der Mittagshitze eindösen, überprüfe ich meine mitteleuropäische und klar zivilisatorische Position: Minenbau und Abholzung sind schlecht für die Umwelt, also bitteschön, aufhören damit! Ist das zu leichtfertig geurteilt? Was aber, wenn einer aus den Barrios der Armen kommt, ohne Arbeit, ohne Perspektive und das große Los in einer Goldmine ziehen kann? "Natürlich ist es schlecht für die Umwelt", höre ich Manuel noch einmal sagen, "aber erstens will die Regierung den Wald wieder aufforsten, und zweitens bauen wir nur dort ab, wo es schon Minen gibt."

Nicht nur die Umwelt leidet unter den großen und kleinen Mineros, besonders trifft es wie gesagt die indigenen Völker. "Ein höchst delikates Thema", seufzt Italo Pizarro, Direktor der Föderation der Indigenas (FIB) im Bundesstaat Bolívar. Der kleine Mann aus dem Pemon-Volk (etwa 12.000 Menschen) kommt aus der Nähe von Las Claritas, ist aber inzwischen Tag für Tag im Büro der FIB in Ciudad Bolívar anzutreffen. Es scheint fast so, als schäme sich die Föderation ihrer Arbeit: ein Schild außerhalb des Büros, an dem sich Passanten orientieren könnten, ist nirgendwo zu finden. "Der Bergbau führt zum Streit zwischen uns und den Mineros", sagt Italo Pizarro, "weil sie unser Wasser verseuchen, das wir zum Waschen, zum Kochen, zum Trinken - zum Leben brauchen."

Obwohl die Bewohner der Region zum neuen Managementplan für den Imataca-Wald angehört worden seien, wie es das Gesetz vorschreibe und von Präsident Chávez gewollt werde, brächten diese Konsultationen wenig, meint Pizarro. "Es war eher eine Informationsveranstaltung, und zwar in einer Richtung. Uns wurde erzählt, was die Regierung zu tun beabsichtigt." Pizarro weiß, dass viel Gold unter dem Imataca-Wald liegt, und ist davon nicht sonderlich beeindruckt. "Was haben wir davon? Unser Lebensraum wird zerstört, unsere Fisch- und Jagdgründe gehen verloren. Und wohin geht der Gewinn? Einige Abholzungsfirmen sagten, sie würden zehn Prozent davon in Bildung und Gesundheitsvorsorge investieren. Davon habe ich hier noch nichts gesehen."


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