Dubai in der Nordsee

Land gewinnen Ein Hamburger Unternehmer geht mit verwegenen Plänen für Helgoland hausieren

Der 71-jährige Benno Krebs erinnert sich noch ganz deutlich, wie die Royal Air Force am 18. April 1945 einen Angriff nach dem anderen auf sein geliebtes Helgoland flog. "Wir waren gewarnt, die meisten von uns saßen in den Bunkern, die es überall gab. Aber nicht jeder hörte die Sirene, ein Lehrer schaffte es mit seiner Klasse nicht mehr, Schutz zu finden. Alle 40 Kinder starben, nur der Lehrer überlebte." Das Bombardement der Briten dauerte über 100 Minuten. "In der folgenden Nacht wurden wir evakuiert", erzählt Krebs, "es war dunkel, aber die Insel wurde von den Häusern erleuchtet, die überall lichterloh brannten. Wir mussten weg, ohne auch nur irgendetwas mitnehmen zu können."

Der alte Insulaner, der zwei Bücher über Helgoland geschrieben hat, schaut aus dem Fenster seines Cafés, in dem Touristen Eiergrog trinken und Schollenfilet essen. Krebs trägt Kochmütze, Halstuch und Schürze; gleich muss er wieder in die Küche. "Natürlich arbeite ich noch, ich muss schließlich Geld verdienen."

Webers Landbrücke

Geld verdienen muss jeder Helgoländer, und das kommt üblicherweise von den Touristen. Nur zieht es die seit Jahren immer weniger zu den bizarren Felsenriffs 60 Kilometer vor Cuxhaven. Deshalb geht der Hamburger Unternehmer Arne Weber mit einem abenteuerlichen Vorhaben hausieren: Er will die Insel verdoppeln, von der Fläche her. Benno Krebs ist wie die meisten Alteingesessenen misstrauisch und besorgt. "Was haben wir davon? Große Hotelketten bauen dann ihre Luxuspaläste auf das neue Land und verdienen schön. Sie werden die Touristen abfangen, die dann nicht mehr bei uns auf dem Oberland sein werden."

Gemeint ist die von Felsen getragene Erhebung in etwa 50 Meter Höhe. Zum Oberland steigt man über eine 181 Stufen zählende Treppe hinauf. Entfernungen müssen auf Helgoland ausschließlich zu Fuß überwunden werden, auch Fahrräder sind nicht erlaubt. Die nötigen Verkehrsschilder würden die Insel verschandeln.

Auf dem Oberland weht wie immer ein stürmischer Wind. Wer von hier in die Tiefe blickt, der kann Düne gut sehen, jenen Teil der Insel, der 1720 bei einer schweren Sturmflut abgetrennt wurde. Auf Düne gibt es einen Airstrip für Kleinflugzeuge mit maximal neun Passagieren, ansonsten Bungalowpark und Zeltplatz, dazu 300 Seehunde am Nordstrand. Helgoland - fast 1.400 Einwohner - und Düne - keine Einwohner - trennt eine 800 Meter breite Fahrrinne, in der Passagiersschiffe vor Anker liegen, die für den Transfer zum Festland zuständig sind.

Ginge es nach Arne Weber, wäre dieser Wassergraben bald schon Geschichte, er will dem Eiland mit einer Landbrücke von etwa 1.000 Metern Länge die Wiedervereinigung bescheren. "Wir rammen eine Spundwand in den Felsboden, die etwa vier Meter über Wasserniveau rausragt, denn das Meer zwischen den Inselteilen ist gerade einmal sechs Meter tief. Danach spülen wir zehn Millionen Kubikmeter Sand auf - zirka ein Quadratkilometer Land wäre gewonnen." Das könnte in einem Jahr schon alles passiert sein, glaubt Weber. "Aus technischer Sicht ist das nicht weiter schwierig und wird alles in allem 80 Millionen Euro kosten. Schon jetzt machen sich Hoteliers und Investoren bemerkbar, aber eventuell würden wir die ganze Summe auch selber aufbringen." - Weber ist euphorisch, dank seines Wagemuts könnte Helgoland sogar die erste Kohlendioxid neutrale Insel weltweit werden. "Mit einem Tidenkraftwerk könnte man auf dem gewonnenen Landstreifen Strom erzeugen." Bisher hat sich Schleswig-Holsteins Umweltminister alle Bedenken zu diesen Plänen verkniffen.

Durch mehr Land wieder mehr Touristen auf die Insel holen, das klingt zunächst einmal logisch. Kamen Ende der neunziger Jahre noch 800.000 Gäste pro Jahr, waren es 2007 nur mehr 334.000. Wegen einer stürmischen See und mancher Orkanwarnung müssen im Herbst und Winter Flüge und Schiffspassagen über Wochen gestrichen werden. Viele Einheimische empfinden das katastrophale Wetter als Vorboten des Klimawandels und übersehen, dass ihre Insel mit einem eher altbackenen Renommee zu kämpfen hat. Touristen überhören heutzutage immer häufiger den Lockruf zur Kaffeefahrt ins zollfreie Refugium und Seevögel-Paradies in der Nordsee. Unternehmer Weber sieht noch andere Gründe für schwindsüchtige Besucherzahlen. "Die Passagierschiffe sind buchstäblich nicht mehr von dieser Welt. Die stammen noch aus den Siebzigern und dürften allein schon wegen der EU-Sicherheitsstandards bald ausgemustert werden." Weber hat mit der Vorstellung vom komfortablen Kreuzfahrtschiff logischerweise eine Kategorie von Touristen im Blick, die neben dem Fünf-Sterne-Hotel einen Golfplatz nicht verachten.

Hitlers Hummerschere

Über die Jahrhunderte hinweg war die Insel Spielball verschiedener Eigentümer wie Dänemark, Großbritannien und Deutschland. Erst 1890 wurde Helgoland definitiv dem deutschen Kaiserreich zugeschlagen. Nach 1933 wollte Hitler dieses Terrain zu einem riesigen Militärstützpunkt ausbauen und hier die komplette Seeflotte stationieren. Dafür sollte sich die Fläche des Eilands vervierfachen. Das megalomane Projekt trug den Namen Hummerschere, was sich einerseits auf die Hummer bezog, die rings um Helgoland gefangen wurden, andererseits auf die Form anspielte, die der gedachte Marinehafen haben sollte.

Einige aus dem Meer ragende Molen und der seinerzeit aufgeschüttete Nordosten der Insel erinnern bis heute an die Zeit des Wehrwalls Helgoland. Die Nazis bauten ein weitläufiges Tunnel- und Bunkernetz, inklusive eines unterirdischen Hafens für U-Boote, der 152 Meter lang war und sich von einer drei Meter dicken Stahlbetondecke beschirmt fand. Am Ende war die ganze Festung den Briten Anlass genug, die Insel im April 1945 komplett zu zerstören.

Der letzte Schlag der Besatzungsmacht galt im Frühjahr 1947 den Resten von Bunkern und Marinehafen. Am 18. April 1947 kam es zum Big Bang mit 6.700 Tonnen Explosionsstoff. Nach den Detonationen stieg eine gewaltige Rauchsäule in den Himmel und hinterließ eine Insel, von der nicht mehr als eine riesige Kraterlandschaft blieb und die nun als Versuchsgelände für Bomenabwürfe Verwendung fand.

Am 1. März 1952 jedoch zogen sich die Briten endgültig aus diesem unwirtlichen Gefilden zurück, und fast alle Evakuierten durften auf Heimkehr hoffen. Benno Krebs erinnert sich. "Das ging aber nicht einfach so. Zuerst mussten Bombenreste und Blindgänger geräumt werden. Daher wohnten anfangs nur Männer auf der Insel, die nachts in Zelten schliefen. Ab 1955 wurden die ersten Häuser gebaut. Das ging dann so weiter bis 1965."

Diesem Wiederaufbau-Idyll verdankt Helgoland bis heute ein typisches Fünfziger-Jahre-Kolorit. "Unsere Architektur ist einzigartig und deswegen geschützt. Man darf hier nicht einfach irgendetwas Neues bauen", sagt Bürgermeister Frank Botter im Gemeindehaus. Botter kennt natürlich die Pläne von Weber, doch dazu äußern möchte er sich nicht. "Ende Mai hatten wir Kommunalwahlen. Ab September dürfte sich die neue Gemeindevertretung damit beschäftigen, was Herrn Weber vorschwebt. Er gedenkt aus Helgoland eine CO2-neutrale Insel zu machen. Ich frage mich, wie das gehen soll, wenn er zugleich die Flugzeugpiste von 480 auf 1.200 Meter verlängern will, damit hier größere Flugzeuge landen können."

Aber Botter weiß auch, die Zahl der Schiffe, die Helgoland regelmäßig anlaufen, ist von sechs auf vier geschrumpft. "Trotz dieses Schwunds bei den Besuchern ist auf der Insel noch längst nicht alles so schlimm, wie es manchmal aussieht", meint Botter. "Solange manche Bewohner es sich noch leisten können, jedes Jahr ein paar Monate in Florida zu überwintern, so lange kann auf Helgoland noch gutes Geld verdient werden."

Arne Weber arbeitet derzeit weiter an seinen Plänen zur Landgewinnung. Die Skepsis der Helgoländer überrascht ihn kaum. "Als ich vor Jahren wegen einer schnelleren Verbindung zwischen Festland und Insel mit einem Katamaran anfing, haben alle gesagt: Das wird nichts. Mittlerweile fahren mehrere Katamarane nach Helgoland. Irgendetwas wird auf der Insel passieren müssen. Natürlich entscheiden am Ende die Einwohner. Wenn alle dagegen sind, soll die Insel doch ein Reservat werden. Die Leute arbeiten dann im Museum oder werden vom Staat durchgefüttert."

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