Harte Hand und großes Herz

Kolumbien Die linke Guerilla der FARC hat einen Strategie­wandel eingeleitet. Sie hofft durch Entgegenkommen auf die Wideraufnahme von Friedensgesprächen mit der Regierung

Es war nicht allein die Freilassung ihrer mutmaßlich letzten zehn Geiseln, mit der die Führung der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) in den vergangenen Wochen Aufsehen erregte. Noch spektakulärer wirkte ihr Kommuniqué mit der Botschaft, künftig niemanden mehr kidnappen zu wollen. Weshalb diese Umkehr?

Offenkundig steckt sowohl politisches als auch ganz profanes wirtschaftliches Kalkül hinter der Entscheidung. Während etwa 1990 noch mehrere tausend Menschen pro Jahr gefangen genommen wurden, waren es zuletzt nur noch ein paar hundert. Damit ließen sich bestenfalls ein paar Millionen Dollar verdienen, vermutlich deutlich weniger. Angesichts des massiven Imageschadens und des Aufwandes, die Gefangenen zu verstecken, konnten sich Geiselnahmen nicht mehr auszahlen. Mit Drogenhandel, Warenschmuggel und der Teilhabe an Goldminen ist längst mehr Geld zu verdienen. Augenscheinlich wollen die inzwischen merklich geschwächten FARC auch ein Zeichen des guten Willens setzen, um Verhandlungen mit der Regierung näher zu kommen.

Die „Guerilla in Gummistiefeln“, die seit 1964 und damit fast ein halbes Jahrhundert lang für ein revolutionäres und sozialistisches Kolumbien kämpft, hat viel Kapital verspielt. Das fing vor fast genau zehn Jahren an, als Versöhnungsgespräche mit der Regierung scheiterten, woraufhin der damalige Präsident Andrés Pastrana eine entmilitarisierte Zone im Süden des Landes wieder aufhob.

Urabenos und Rastrojos

Seitdem haben die FARC an Schlagkraft eingebüßt, die Truppenstärke sank auf etwa 8.000 Mann und hat sich damit halbiert. In Panama gingen geheime Ausbildungscamps und Waffendepots verloren. Kolumbiens Armee tötete bei Bombenangriffen immer wieder FARC-Kommandanten. So starben in den zurückliegenden drei Jahren fünf der sieben Führer aus der Secretaría, dem höchsten Gremium der FARC.

Dies führte dazu, dass Ende März Kommandant Ivan Márquez in einer Videobotschaft mitteilte, man sei zwar geschwächt, gedenke aber, den „legitimen Kampf gegen den Neoliberalismus“ fortzuführen. Dies geschehe im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es sei ein propagandistisches Manöver der Oligarchie, die FARC als „terroristische Organisation“ zu denunzieren.

Da die Guerilla durch eine bessere Aufklärung der kolumbianischen Armee, die sich auf logistischen Beistand der USA stützen kann, Terrain einbüßte, hat sie ihre Strategie auch in militärischer Hinsicht angepasst. Statt mit großen Formationen wird in kleineren, schwerer angreifbaren Gruppen operiert. Es ist die Rückkehr zur klassischen Guerilla-Taktik. Der Gegner reagiert seinerseits – statt weiter auf das gezielte Töten von Kommandanten zu setzen, greift die Nationalarmee nun verstärkt Lager der FARC an. Offenbar soll das Rückgrat der Guerilla getroffen, zugleich aber dafür gesorgt werden, dass für den Fall erneuter Gespräche Verhandlungspartner der anderen Seite übrig bleiben. Die FARC haben es bei ihrem Strategiewandel mit einem geänderten Umfeld zu tun. Nachdem seit 2005 mehr als 20.000 rechte Paramilitärs demobilisiert wurden, sind vorzugsweise im Norden Gangs entstanden, die den Drogenhandel kontrollieren und die lokale Bevölkerung in Schach halten. Deren Syndikate nennen sich Urabenos und Rastrojos. Welche Macht sie haben, zeigten sie Anfang des Jahres im Nordwesten. Nachdem die Polizei am Neujahrstag einen ihrer Führer erschossen hatte, befahlen die Urabenos allen Geschäftsinhabern und Busunternehmern der Region, für 48 Stunden zu streiken, um ein „Zeichen der Trauer“ zu setzen. Derartiges hatten bis dahin nur die FARC in „ihren“ Distrikten vermocht.

Augenblicklich mehren sich die Anzeichen dafür, dass die FARC im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela mit den Urabenos und Rastrojos paktiert, um am Benzinschmuggel aus dem Nachbarland zu verdienen. Das Departement Norte de Santander gilt mit der Stadt Cucutá ohnehin als traditionelle Basis des neuen FARC-Führers Timochenko. Mittlerweile laufen auch viele Routen für den Drogentransfer über Nordkolumbien und Venezuela in Richtung Mexiko und USA.

Präsident Juan Manuel Santos gibt gelegentlich zu verstehen, er sei bereit, persönlich mit den FARC zu verhandeln, sobald die Guerilla ein „Zeichen des ernsthaften Willens zum Frieden“ aussende. Man müsse mit harter Hand und großem Herzen vorgehen, könne aber erst dann verhandeln, wenn auch letzte Zweifel beseitigt seien, ob die Organisation wirklich keine Geiseln mehr habe. Es meldeten sich mittlerweile einige Generäle der Streitkräfte zu Wort und erklärten, die FARC hielten noch mehrere Soldaten gefangen.

Nichtsdestotrotz sieht es danach aus, dass schon nächstes Jahr die Diplomatie zu ihrem Recht kommen könnte. Eine Verständigung mit den FARC ab Mitte 2013 würde dem Präsidenten durchaus passen. Im Jahr darauf will er wiedergewählt werden. Andererseits spricht auch einiges dafür, dass Verhandlungen erst danach stattfinden. Während einer zweiten und damit letzten Amtszeit hätte Santos weniger zu verlieren und könnte sich Zeit nehmen, einen in Kolumbien seit fast fünf Jahrzehnten schwelenden Bürgerkrieg zu beenden. Er müsste weniger an seine Karriere denken und wäre von niemandem erpressbar.

Jeroen Kuiper hat zuletzt für den Freitag aus Transsilvanien berichtet

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