Kommissar Cioloş will den großen Schnitt

Europäische Union Wenn es nach den Vorstellungen des EU-Agrarkommissars geht, soll die Landwirtschaftspolitik ab 2014 ­grüner werden und Bauern in Osteuropa begünstigen

Weniger Masse, mehr Nachhaltigkeit will der rumänische EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş mit seiner Agrarreform ab 2014 erreichen. An beifälligen Reaktionen fehlt es nicht. So meint etwa der niederländische Landwirtschaftsminister Hans Bleker, es sei zu begrüßen, sollten bald mehr EU-Agrarsubventionen an polnische Bauern fließen. Nur „ausgewogen“ müsse dieser Transfer West Richtung Ost natürlich sein.

Mit einem jährlichen Budget von fast 60 Milliarden Euro vereinnahmt die europäische Agrarpolitik etwa 42 Prozent des Gesamthaushalts der EU. Bisher kam dieses Geldes größtenteils industrialisierten ­Agrarbetrieben in West- und Südeuropa ­zugute. Konsequenz: Einbußen bei der Artenvielfalt, ausgelaugte Böden, dazu ein Verlust von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft. Natur, Umweltschutz und Verbraucher-Interessen blieben auf der Strecke. Wird die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU nicht revolutioniert, drohen die zumeist deutlich kleineren Betriebe in Osteuropa auf einen gleichen Weg getrieben zu werden.

Agrarkommissar Cioloş holt deshalb zum umfassenden Reformschnitt aus, der unter dem Begriff Greening firmiert. Ab 2014 sollen Direktzahlungen an Agrarbetriebe größtenteils nach Umweltkriterien vergeben werden. Dies käme einem Systemwechsel gleich. An bestimmten Leistungen gebundene Zahlungen gab es bisher aus einem anderen Topf – der so genannten zweiten Säule der EU-Agrarpolitik. Nun aber will Cioloş Direktzahlungen an Bauern, die ihren Hof in Natura-2000-Schutzgebieten haben. Die wiederum liegen vorzugsweise in den 2004 von der EU aufgenommenen östlichen Beitrittsländern. Das bedeutet, durch derartige Subventionen würden Landwirte für eine durch sie garantierte biologische Vielfalt honoriert. Zahlungen sollen künftig von einer bestimmten Fruchtfolge wie dem Erhalt von Grünland abhängig sein.

Aigner strikt dagegen

Bislang konnten Landwirte in westeuropäischen EU-Staaten – verglichen mit ihren osteuropäischen Kollegen – auf dreimal so viele Direktzahlungen pro Hektar rechnen. Wenn sich das ändert, werden auch deutsche Bauern demnächst weniger Geld aus Brüssel erhalten. Was die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer sei langem fordern – mehr Anteil am großen Kuchen –, wird ihnen nun versprochen.

Dies soll nach den Vorstellungen von Kommissar Cioloş erreicht werden, indem man die Bezüge großer Agrarfabriken kappt, die kaum Arbeitskräfte beschäftigen. Es wäre einer Praxis Einhalt geboten, die manche Betriebe in den neuen Bundesländern umgerechnet 120.000 Euro pro Arbeitskraft kassieren lässt. Die EU-Kommission unternimmt damit in zehn Jahren einen dritten Anlauf, um Direktzahlungen an Großbetriebe zu kürzen. Gedacht ist an eine Obergrenze von 300.000 Euro pro Jahr. Wenig überraschend ist die deutsche Agrarministerin Aigner strikt dagegen.

Im Chor der Kritiker singt ihr polnischer Kollege Marek Sawicki kräftig mit. Seiner Meinung nach sollte „Ökologisierung nicht als Zwang daher kommen“. Dabei hätte gerade Polen mit dem Greening viel zu gewinnen. Dort haben sich Flächen für einen ökologischen Anbau seit 2004 vervierfacht, außerdem arbeiten noch immer etwa 16 Prozent der erwerbsfähigen polnischen Bevölkerung in der Landwirtschaft.

In Rumänien gibt es ein ähnliches Bild, immerhin wird hier der Markt für Bio-Produkte 2011 um 20 Prozent wachsen, und das bei einer durchschnittlichen Anbaufläche einzelbäuerlicher Höfe von zwei Hektar. Landwirte in Rumänien haben oft kein Geld für Kunstdünger und produzieren faktisch schon jetzt ökologisch. Es fehlt freilich oft das Fachwissen, um wirklich nachhaltig zu arbeiten. Kaum verbreitet sind zum Beispiel Fruchtfolgen, wie sie im ökologischen Landbau üblich sind, oder der Anbau von Pflanzen zur Gründüngung. Dennoch bemerken immer mehr rumänische Kleinbauern, die sich der Öko-Landwirtschaft zuwenden, dass ihre Kühe viel Milch geben und biologischer Landbau Qualität und Menge eigener Ernten erhöht. So könnten mit einer „grüneren“ EU-Agrarpolitik die in Ansätzen schon jetzt nachhaltig produzierenden Bauern in Osteuropa dauerhaft unterstützt werden. Ihnen bliebe der Umstieg auf eine umweltfeindliche, kapitalintensivere Produktion erspart.

Jeroen Kuiper hat im Freitag u.a. über Land-Grabbing in Äthiopien geschrieben

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