Vinay Shekar hat ein Problem. Der 28-jährige Inder müsste eigentlich die 11.800 Hektar Land bestellen, die seine Firma Karuturi PLC von der Regierung in Addis Abeba gepachtet hat. Aber es läuft nicht so wie geplant. Seine beiden gigantischen Steiger-450-Traktoren, die normalerweise die Savanne aufreißen, sind ausgefallen. Der US-Hersteller hat schon zweimal Ersatzteile geschickt, allerdings zweimal die falschen. Deswegen sitzt Shekar im Schatten seiner Bretterbude sinnlos herum. Das Provisorium steht in Bako, einem Kaff sechs holprige Autostunden westlich der Hauptstadt.
Eigentlich hätten seine äthiopischen Tagelöhner jetzt den Reis pflanzen müssen, aber momentan verbietet sich das. Da kann auch das Bild der Hindu-Göttin an der Bürowand nichts helfen. Shekar hat nicht nur Sorgen mit seiner Technik. Um einiges schlimmer sind die lokalen Viehtreiber, die zu einer Revolte gegen Karuturi PLC ansetzen. „Sie wollen unser Land nicht verlassen“, meint Shekar.
Der Begriff „unser Land“ ist so eine Sache. Bis vor kurzem haben die äthiopischen Kleinbauern stets das endlose Grün in der Nähe ihrer Rundhütten für grasendes Vieh genutzt. Jetzt aber hat die Regierung das Land den Indern zugewiesen. „Wir haben es für die nächsten 49 Jahre gepachtet“, stellt Shekar in seinem Holzfällerhemd mit Sonnenbrille in der Hemdtasche kategorisch fest. „Es gab schon mehrere Eskalationen mit den Bauern. Die Regierung muss sich jetzt äußern. Schließlich hat sie uns das Land zur Verfügung gestellt.“
Juristisch gesehen hat Shekar wahrscheinlich recht. Ob aber die Bauern der Gegend für den Verlust ihres Landes irgendwie entschädigt werden – und sei es durch andere Flächen – bleibt unklar. Zur Sicherheit lässt Vinay Shekar das Eingangstor des Geländes von schwer bewaffneten Wachmännern abriegeln. So sind immerhin einige Äthiopier beschäftigt.
Fruchtbares Land, fast umsonst
Shekar schlägt in seiner heißen Bretterbude nach einer Fliege. Warum sollte Karuturi PLC aufgeben? Der Pacht-Deal mit der äthiopischen Regierung ist zu gut, um wahr zu sein. Die etwa sieben mal sieben Kilometer fruchtbares Land, die Shekars Firma befristet erwerben konnte, bekommt sie fast umsonst.
Dabei hat man es bei der Farm in Bako nur mit Peanuts zu tun, verglichen mit den 300.000 Hektar, die Karuturi PLC weiter westlich, an der Grenze zu Sudan, für 99 Jahre gemietet hat. Reis, Getreide und Mais sollen dort angebaut werden. „Teilweise verkaufen wir unsere Ernte in Äthiopien“, meint Shekar. Der Großteil aber sei für den Export bestimmt. Der Grund, weshalb Karuturi derart riesige Flächen im Ausland erwirbt, ist einfach. „In Indien sind sie nicht zu finden.“
Wie Gerüchte besagen, zahlt Karuturi die lächerliche Summe von einem Dollar pro Hektar und Jahr. Zum Vergleich: In Argentinien kostet ein Hektar Agrarland im Schnitt 4.000 Euro – in Deutschland 17.000. Die Löhne in Äthiopien liegen bei weniger als einem Dollar pro Tag ebenfalls extrem niedrig. Darüber hinaus bietet die äthiopische Regierung ausländischen Investoren fünf Jahre Steuer-Verzicht! Notwendige Produktionsmittel können zollfrei eingeführt, Wasser darf umsonst genutzt werden. Kein Zufall, dass Äthiopien unter ausländischen Kapitalgebern momentan eine heiße Nummer ist.
Karuturi PLC, die Firma aus dem südindischen Bangalore, gehört dem Milliardär Ram Karuturi. An einem Interview ist er auf Nachfrage „nicht interessiert“. Sein börsennotiertes Unternehmen gilt als Großinvestor in der globalen Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts – es soll überdies der größte Rosenproduzent weltweit sein, mit Plantagen nicht nur in Äthiopien, sondern ebenso in Kenia.
Zweifelhafter Vorreiter
Das Prinzip des günstigen Pachtens riesiger Agrarflächen in Afrika ist zuletzt unter dem Begriff Land Grabbing bekannt geworden. Diese Landnahme erfasst inzwischen mehr als 20 Länder des Kontinents. Äthiopien genießt das zweifelhafte Privileg, eine Art Vorreiter zu sein, weil das autokratische Regime des ehemaligen Widerstandskämpfers Meles Zenawi wild entschlossen scheint, das Land spektakulär voranzubringen. Chinesen und Südkoreaner bauen das Straßennetz aus, Niederländer züchten Rosen und Gemüse, Inder und Saudis investieren Milliarden in Soja, Getreide, Reis, Palmöl, in Zuckerrohr- und Mais-Latifundien. Die Regierung verpachtet oder verkauft – ohne durch lästige Oppositionsparteien, eine kritische Presse, NGOs oder Gewerkschaften gestört zu werden – Millionen Hektar fruchtbares Land in den Uferzonen am Nil. Staatschef Zenawi hofft auf mehr Devisen-Einnahmen, auf den Import von Know-How und einen spürbaren Entwicklungsschub für periphere Regionen.
Laut einer Studie des amerikanischen Oakland Instituts will Addis Abeba in den nächsten Jahren weitere Millionen Hektar auch an Interessenten aus Israel, der Türkei und Ägypten zur Pacht abgeben. Die Regiering sieht darin keinen Verstoß gegen nationale Interessen. Denn von den 1,1 Millionen Quadratkilometern Gesamtfläche des Landes könnten etwa 60 Millionen Hektar für die Landwirtschaft erschlossen werden – tatsächlich geschehen ist das bisher aber nur für einen Bruchteil der Fläche. Wer Boden verpachtet oder verkauft, der mache sich um die Erschließung von Agrarressourcen verdient, heißt es.
Allerdings deutet das Oakland Institut Land Grabbing keinesfalls als Entwicklungshilfe. Schließlich würden nicht nur einheimische Landwirte vertrieben – es gehe auch Biodiversität durch neue Monokulturen verloren. Manchmal würden Naturschutzreservate durch Firmen gepachtet oder gemietet und das auf Jahrzehnte. Außerdem sollte man nicht vergessen: Das Gros der Ernten und Gewinne entschwindet ins Ausland.
Explosives Potenzial
Welches explosive Potenzial Pacht-Geschäfte haben, zeigte sich 2009, als die Bevölkerung der Insel Madagaskar gegen einen gigantischen Deal der Regierung mit dem südkoreanischen Autokonzern Daewoo Sturm lief. Der wollte für 99 Jahre 1,3 Millionen Hektar Land pachten, etwa die Hälfte des für Madagaskar verfügbaren Agrarlandes, um dort Mais, Getreide und Palmöl für den südkoreanischen Markt zu produzieren. Laut Planung sollte Daewoo aber keine Pacht zahlen, sondern 1,5 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren und 45.000 neue Jobs schaffen. Die Bevölkerung wehrte sich gegen ein Vorhaben, das auf Ausverkauf hinauslief, und setzte die Regierung solange unter Druck, bis fast alle Boden-Deals storniert waren.
In Äthiopien ist kein kritisches Wort über Land Grabbing zu hören, unter anderem weil Kritiker einfach von der Bildfläche verschwinden. Der niederländische Rosenzüchter Frank Ammerlaan, der 2006 eine Rosenfarm in Ziway eröffnete, drei Autostunden südlich von Addis Abeba, sieht das gelassen. „Äthiopien will vorankommen. Nimm zum Beispiel unseren Ort. Die Regierung baut gerade eine Autobahn, damit sich die Reisezeit um eine Stunde verkürzt. Sie weiß, was sie tut. Das Land ist noch nicht reif für eine Demokratie.“ Ein chinesischer Weg für Äthiopien?
Obwohl er diesen Begriff nicht in den Mund nimmt, kann Tsegaye Abebe, der Vorsitzende der Ethiopian Horticulture Association (EHPEA), der Vorstellung, China nachzueifern, etwas abgewinnen. „In den nächsten fünf Jahre wollen wir das Areal für Rosen verdoppeln. Und das wird gelingen, wenn ein Hektar für den Pächter nur sechs Euro pro Jahr kostet. Unser Premierminister studiert jeden Monat die Exportzahlen aller Blumen-Züchter und fragt sich natürlich, warum wir nicht bei Gemüse zulegen. Diese Frage wird Konsequenzen haben. Demnächst wollen wir auf 15.000 Hektar Gemüse ernten.“
Dafür braucht Äthiopien Strom, der oft nicht vorhanden ist. Deswegen wurde mit dem Bau mehrerer Staudämmen begonnen. Der Grundstein für das jüngste Megaprojekt wurde Mitte April im Westen des Landes gelegt. „Dort entsteht der Grand Renaissance Staudamm“, schwärmt Tsegaye Abebe begeistert. „Ich war schon zweimal dort!“ Der voraussichtlich vier Milliarden Euro teure Wall soll komplett ohne ausländische Finanzierung entstehen. Wie kann das möglich sein in einem der ärmsten Länder weltweit? Tsegaye Abebe: „Alle Äthiopier werden aufgefordert, ein Monatsgehalt zu spenden. Sie bekommen dafür später 5,5 Prozent Zinsen! So ist es versprochen.“
Gleich um der Ecke
Die Frage, was dem passiert, der nicht auf diese Weise investieren möchte, stelle sich nicht, meint Abebe. „Jeder Äthiopier will den Damm!“ Dass Ägypten heftig gegen den Stausee protestiert, weil Nilwasser für den Unterlauf des Stroms verloren gehen könnte, und dass ein ägyptischer Minister sogar mit einem Wasserkrieg droht, beeindruckt Abebe nicht. „Nach der ägyptischen Revolution hatten wir hier bereits eine große Delegation. Die Ägypter werden irgendwann einsehen, unsere künftige Stromproduktion dient auch ihren Interessen.“
Vorwärts also, das ist auch die Devise von Jan Prins. Der Niederländer kam 2006 als Berater für den Tomatenanbau nach Äthiopien, blieb und gründete seine eigene Firma, die zum größten Gemüseexporteur Ostafrikas avancierte. Prins hat Hochebenen 2.000 Meter über dem Meeresspiegel kultiviert, denen es nicht an ergiebigem Regen fehlt. „Wir können uns aussuchen, welche Gemüsesorte wir auf welcher Höhe anbauen“, erzählt Prins in seinem Büro in Addis Abeba. „Alles ist hier möglich. Ich züchte über hundert unterschiedliche Gemüsearten, denn die attraktivsten Märkte der Welt liegen gleich um der Ecke. Dubai ist noch immer unser größter und finanzkräftigster Abnehmer, gefolgt von Saudi-Arabien, Kuwait und Oman. Alles Ziele, die nur ein paar Flugstunden entfernt liegen. Aber wir schicken unsere Produkte auch nach Nigeria und Angola. Nicht zuletzt beliefern wir alle Hotels in Addis Abeba.“ Erkennbar stolz ist Prins auf seinen neuesten Kunden: „Wir werden Fleischtomaten an die US-Armee in Afghanistan liefern”, teilt er mit – obwohl er das eigentlich gar nicht mitteilen dürfte, wie Prins versichert.
Einer seiner saudischen Gesellschafter ist der Milliardär al-Amoudi, ein in Äthiopien geborener Scheich, der bereits Milliarden Dollar für sudanesische und ägyptische Agrarbetriebe investiert hat. In Äthiopien hat er vor kurzem 200.000 Hektar gepachtet. Dass seit Jahren hauptsächlich asiatische und arabische Länder in großem Stil Flächen in Afrika erwerben, ist kein Zufall. Der Bevölkerungszuwachs im Nahen Osten bleibt extrem hoch. Saudi-Arabien hat kürzlich beschlossen, wegen seiner Wasserknappheit selbst weniger Milch zu produzieren und sich stattdessen auf die Nahrungsmittelproduktion im Ausland zu konzentrieren. Da erscheint Land Grabbing äußerst vorteilhaft, um sich für die nächsten Dekaden mit strategischen Wasser- und Landvorräten einzudecken.
Jan Prins hat mit solchem Engagement wenig im Sinn. „Al-Amoudi praktiziert das Gegenteil von dem, was ich anstrebe. Er braucht riesige Flächen, während ich auf viel kleineren Arealen intensive Landwirtschaft betreibe. Trotzdem habe ich in gewisser Weise den Weg für ihn geebnet, denn ich habe den Saudis gezeigt, dass man in Afrika qualitativ gute Nahrungsmittel produzieren kann. Sie wollten einfach nicht daran glauben. Mittlerweile wissen sie es.“
Jeroen Kuiper ist augenblicklich auf einer Reportagereise in Ostafrika unterwegs
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.