Deutsches Blut und deutsche Treue

Familie "Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.", so will es das BGB. Aber warum eigentlich?

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Eine der grundlegendsten Fragen zur Unterhaltspflicht regelt der §1601 BGB, in welchem es heißt: "Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren." Im Alltagsverständnis wird dies auf die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern verstanden. Dazu mehr am Ende dieses Artikels. Doch die Verpflichtung läuft auch in die andere Richtung. Und dies nicht nur aus dem laufenden Einkommen, sondern sogar im Rückgriff auf das eigene Vermögen, wie das BGH 2013 (Az. XII ZB 269/12) entschied. Aber welche normativen Forderungen sind tatsächlich aus biologischen Verwandtschaftsverhältnissen abzuleiten?

Schuldhaftigkeit gegenüber den Eltern

Die Annahme, dass Kinder für ihre Eltern im Alter oder in anderen Fällen von Unfähigkeit zur Selbstversorgung aufzukommen haben beruht auf der Idee, dass Kinder ihren Eltern quasi deren Entbehrungen ausgleichen, welche durch die eigene Erziehung entstanden sind: Sei dies finanzieller oder ideeller Natur. Diese Verpflichtung reicht sogar soweit, dass Kinder für ihre Eltern haften müssen, zu denen sie keinen Kontakt haben. Im Jahr 2014 entschied der BGH (Az. XII ZB 607/12), dass sogar eine seit beinahe seit zwei Jahrzehnten bestehende Funkstille und der anhaltende Wunsch, von Kontakt abzusehen, dieses Verhältnis nicht auflöse.

Das BGB versteht Verwandtschaft hier rigoros biologistisch, was jedoch kaum verwundert. Zu bedenken gilt in diesem Falle nämlich, dass die Rechtsnorm historisch - für das StGB durchaus gewöhnlich, für das BGB hingegen nicht - im Nationalsozialismus verortet ist. Diese Form der Abstammungslehre, die es seit Generationen nicht mehr mit Deutschland verbundenen sogenannten Russlanddeutschen ermöglichte, einen deutschen Pass zu bekommen, während deutsche Juden ausgeschlossen wurden, schlägt sich also auch im Kleinen nieder. Familie wird biologisch definiert, nicht sozial.

Schuldhaftigkeit der Eltern

Dabei übersieht das BGB vollständig die Unfähigkeit der Zustimmung der belasteten Kinder. Wir alle können schlechterdings nicht zustimmen, zur Existenz gebracht zu werden. Und wir können auch nicht darüber entscheiden, in welcher Familie wir aufwachsen. Während das letztere Problem zumindest in bildungspolitischen und anderen Gerechtigkeitsfragen behandelt wird, wird es in der Unterhaltspflicht vollständig ausgeklammert. Es ist wohl nicht notwendig, das, mit Heidegger gesprochen, Geworfensein in die Existenz, als Gewaltakt zu verstehen, um deutlich zu machen, dass Erziehung und Fürsorge keineswegs supererrogative Handlungen sind, welche im Nachhinein ausgeglichen werden müssen. Sie sind vielmehr eine folgende Verantwortung.

Eltern, so ließe sich daher sagen, schulden ihren Kindern alles. Kinder ihren Eltern nichts. Dass Kindern lange Zeit als Ressource der Altersversorgung angesehen wurden, und es volkswirtschaftlich auch heute noch werden, ist moralisch schlichtweg nicht billig. Solange keine Zustimmungsfähigkeit vorliegt, ist von nachfolgenden Pflichten schlichtweg nicht zu sprechen.

Verantwortung der Eltern

Dass sich die Verantwortungsverhältnisse bei Elternschaft anders verhalten, ist bereits ersichtlich. Wenn Eltern ihren Kindern alles schulden, so doch deswegen, weil Elternschaft eine freiwillige Angelegenheit ist und, im Unterschied zum Objekt dieser Elternschaft, die Eltern zustimmungsfähige Personen sind. Gleichwohl ist selbstverständlich nicht jede (potentielle) Elternschaft, freiwillig. Liberale Abtreibungsgesetze finden ihre historische Grundlegung oft, neben der Gesundheitsgefährdung der potentiellen Mutter, in der Möglichkeit zur Abtreibung nach Vergewaltigung. Also in der Feststellung der Unfreiwilligkeit.

Weiterhin kennen viele Rechtssysteme das Adoptionsrecht. In Deutschland etwa ist die Freigabe zur Adoption zwischen der 8. Woche und dem 14. Lebensjahr möglich. Dies ermöglicht auch nachträglich, eine Entscheidung zur Elternschaft zu korrigieren. Ein Anrecht auf die Kenntnis der biologischen Eltern hat das Kind sodann nicht mehr. Entsprechend erlöschen auch die oben genannten Rechte. Grundsätzlich ließe sich aber durchaus behaupten, dass es einfacher ist, der (moralischen begründbaren) Verantwortung von Elternschaft zu entgehen, als der (moralisch nicht begründbaren) von Eltern gezeugt zu sein.

Verantwortung für Elternschaft

Die Verantwortung für Elternschaft ist ein weiteres problematisches Thema. In Deutschland steht es jeder Person frei, ein Elternteil zu werden - aber nicht, eines zu sein. Potentielles Kindeswohl kann dazu führen, dass die Unfähigkeit zur Elternschaft erkannt und das Kind in staatliche Obhut genommen wird; nicht jedoch zu verordneten Sterilisierungen oder Abtreibungen. Gleichwohl sich dies aus der historischen Erfahrung gut begründen lässt, hält es doch eine gewisse Widersprüchlichkeit in sich, welche das Recht jedoch auch in der Frage der geminderten Schuldfähigkeit kennt.

Ein anderes Problem ist die Verantwortung für Vaterschaft. Während Frauen darüber entscheiden können, ob sie eine Einnistung austragen oder nicht, steht dies dem biologischen Vater - aus wiederum nachvollziehbaren Gründen - nicht zu. Gleichwohl bleibt die rechtliche Verantwortung - das deutsche Recht kennt die zwangsweise Anerkennung einer Vaterschaft - voll bestehen. Dies gilt auch in solchen Fällen, in welchem die Schwangerschaft gegen den expliziten Willen des potentiellen Vaters herbeigeführt wurde. Während eine Mutter sich in der Folge auch zur Adoption - und damit zum Rücktritt von ihren Elternpflichten - entscheiden kann, fällt dies für Väter aus.

Ein asymmetrisches Recht

Betrachtet man die Verantwortungsverhältnisse, wie sie unter §1601 tatsächlich entstehen, so fallen zwei entscheidende Asymmetrien auf. Die kleinere ist, dass Frauen, gleichwohl sie schlussendlich über die Austragung eines Fötuses entscheiden, von ihren Elterschaftspflichten zurücktreten können, während Väter, die diese Entscheidung nicht treffen können, diese Möglichkeit nicht haben. Die deutlich größere Asymmetrie ist jedoch, dass Eltern von ihren Elterschaftspflichten - oben genannte Väter einmal ausgenommen - zurücktreten können, während Kinder in Pflichten gedrängt werden, denen sie schlechterdings niemals zustimmen konnten. Anders gesagt: Das BGB spricht jenen mit der größten moralischen Verantwortung die geringste rechtliche Verantwortung zu - et vice versa. Und was hat dies mit deutschem Blut und deutscher Treue zu tun? Ganz einfach, es ist der Biologismus, der diesem Paragraphen zugrunde liegt.

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