Die verwaltete Liebe

Funktion und Fiktion Von der Minne bis zur Telenovela: Liebesmotive sind in der europäischen Kulturgeschichte allgegenwärtig und bieten einen einen interessanten Blick auf die Gesellschaft.

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Dass Shakespeares Romeo & Julia die wohl bekannteste Liebesgeschichte in der europäischen Kultur ist, wirft zwei interessante Schlaglichter auf die gesellschaftliche Rezeption dieses Themas: 1. erscheint es so, dass kaum jemand eigentlich ein ganzes Drama liest und 2. drückt es das Bedürnis nach Metaphysik aus. Denn was ist die Liebe zwischen Romeo und Julia anderes, als der Versuch, sich durch ein erhöhtes Gefühl über die Zwänge der Gesellschaft zu erheben. So gedenkt Romeo, in jener berühmten Balkonszene, seiner Julia nicht nur den Platz der Sonne, also des Zentrums, zu, sondern versieht sie auch noch mit einer klaren Aufgabe: "Arise, fair sun, and kill the envious moon | Who is already sick and pale with grief."

Die Liebe: Ein Kampf

Die Frage, wie sich Liebesbeziehungen konstituieren, ist jedoch weit älter als Shakespeare. Hartmann von Aue etwa schickt seinen Erec auf eine lange aventuire, das dieser, auf Grund seiner Liebe zu Enite, seiner Braut, seine Herrschaftspflichten verletzt hatte. Das Verhältnis der beiden bewegt sich dabei zwischen strenger Pflichthörigkeit und ehrlicher Zuwendung. Die Stoffvorlage kommt dabei von Chrétien de Troyes, auf dessen Vorlagen viele mittelalterliche Texte zurückgreifen.

Die Übernahme dieser alten Stoffe finden wir durchaus auch später in den großen Opern Wagners wieder, wie auch in anderen romantischen Werken. Der Aspekt der romantischen Liebe ist dabei immer mit weiteren mystifizierenden Aspekten verbunden. Ebenfalls zeigt sich in diesem Kontext der ewige Kampf um Ansehen und Reputation, der unmittelbar mit der Partnerwahl verbunden ist. Der stärkste Verweis dafür ist sicher die Werbung Brunhilds durch Gunther im Nibelungenlied. Erst durch die Überwindung ihrer Abwehr, man könnte abschließend auch sagen einer Vergewaltigung, erkennt Brunhild ihren Partner an.

Liebe, Sexualität und soziale Stellung

In der Moderne wird das Konzept der romantischen Liebe auch vielfach mit der Idee einer sexuellen Freiheit verbunden. Der Diskurs über Sex und Sexualität stellt sich dabei als Mittelpunkt der Abgrenzung zur Vernunftehe dar. Wenn Sexualität nicht mehr zur Fortpflanzung dient, so muss auch die strenge Rangordnung nicht mehr geachtet werden. Der vermeintliche Abgesang auf die Beziehung aus politischen Gründen erscheint dabei jedoch verfrüht. Wie auch der Übergang der Monarchie auf die bürgerliche Aristokratie die Ära der politischen Partnerwahl keinesfalls beendet hat, so sehen wir auch heute noch die gleichen Aspekte durchschimmern.

Die Abrenzung ist dabei minimal und unterscheidet sich eigentlich nur in der Frage der sozialen Aufstiegsmöglichkeiten. Die Verbindung reicher Bürgerfamilien mit adeligen Familien unterscheidet sich kaum groß von jenen Versuchen ärmerer gesellschaftlicher Schichten in höhere aufzusteigen: Zumeist durch Partnerwahl. Dabei muss man nicht einmal an Geldheiraten denken, es reicht schon das Bewusstsein über einen bestimmten status quo.

Instrumentelle Vernunft und Partnerwahl

Zur Betrachtung dieses Komplexes sind vor allem die psychoanalytischen Bemerkungen Herbert Marcuses in seinem Werk Der eindimensionale Mensch bemerkenswert. Der Rückzug des Eros auf die Libido und die Einbindung zwischenmenschlicher Verhältnisse in zweckrationale Kontexte stellen für ihn einen wichtigen Pfeiler bei dem Übergang der Gesellschaft in eine eindimensionale Gesellschaft dar. Für nicht zweckgebundene Verbindungen gibt es keinen Platz in der Gesellschaft.

Mag diese Analyse auch sehr pessimistisch scheinen, so sehen wir sie durchaus, einige Jahrzehnte nach dem Erscheinen dieses Buches, verschiedentlich in unseren aktuellen gesellschaftlichen Strukturen wieder. Interessant dabei ist, wie konservative Konzepte übernommen und angepasst werden, wobei der Kern des Konzeptes dabei übersehen wird.

Treue auf Zeit

Am treffensten beschreibt dieses Phänomen voraussichtlich der Begriff der seriellen Monogamie. Im Gegensatz zu den Erwartungen der späten sechziger und siebziger Jahre kam es nicht zur sexuellen Revolution. Zwar hat sich die Ansicht auf Sexualität, vor allem auf die weibliche, grundlegend geändert, doch ist der Faktor Monogamie für viele Paare nachwievor ein wichtiger.

Interessant dabei ist jedoch, dass der angedachte Schutzraum, wie ihn eine konservative Ausrichtung vorsähe, nicht mehr gegeben ist. Menschen verabreden sich auf Zeit und wenn einem der beiden Partnerinnen oder Partner der unmittelbare Nutzen der Beziehung nicht mehr einleuchtet, so wird dieselbige beendet. Der vermeintliche Schutzraum beweist sich als Schimäre.

Romantische Praxis und Verklärung

Es bedarf an dieser Stelle sicherlich keiner pessimistischen Gegenwartsauffasung, um die oben genannten Dinge einzusehen. Keineswegs erschallt hier aber der Ruf, dass früher alles besser gewesen sei. Es steht hier primär eine Frage im Raum: Warum trennen wir unsere gesellschaftliche Realität so radikal von dem, was wir uns als Fikton bereithalten? Denn nicht umsonst veweisen diverse Produkte der Popkultur auf ein metaphysisches Konzept einer romantischen Liebe.

Die Liebe erscheint in diesem Kontext ein verwaltetes Gefühl zu sein. Sie ist, um den Begriff Horkheimers zu verwenden, Bestandteil der instrumentellen Vernunft geworden. Zwischenmenschliche Beziehungen stehen, vor allem dann, wenn sie romantischer Natur sind, klar unter dem Aspekt von gesellschaftlichen Herrschaftsbeziehungen. Sie müssen erklärt und verteidigt werden.

Et quo sequitur?

Wenn wir die Spannung zwischen den Produkten der Kulturindustrie und unserer eigenen Lebenswelt betrachten, so stellen wir fest, dass wir unser emotionales Empfinden auf ersteres legen, da sie uns in unserem alltäglichen Leben nur im Wege stehen. Partnerschaftliche Beziehungen bedeuten Kampf und Arbeit, wenn sie ernst werden, was wiederum unserem unmittelbaren Glück im Wege steht. Ein Blick auf das Ganze wird vermieden. Vielleicht bedarf es eines Versuches der Besinnung auf ein tiefes Gefühl, welches uns, allein dadurch, dass es konträr zu unserem sonstigen Handeln steht, auf unsere instrumentelle Umwelt aufmerksam macht. Und vielleicht hilft diese, uns so unmittelbare Betrachtung dann auch, die Gesellschaft als ganzes neu zu sehen und zu gestalten.

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