Eingeübte Bagatellisierung

Möritz Von Globke bis Möritz: Die Union hatte noch nie ein Problem mit rechtsradikalem Gedankengut

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Eingeübte Bagatellisierung

Foto: Flickr/Anders Thiersgaard Rasmussen (CC SA-2.0)

"Wen der Globke umgebracht hat, das sollen sie mir mal sagen; das hat der Adenauer immer gesagt." Dies wiederum erzählte mein Großvater bei unzähligen Gelegenheiten. Es dauerte einige Jahre, bis ich verstand, wer dieser Globke war und wie sich Adenauers Schutzbehauptung gegenüber seinem Kanzleramtschef in die Grundhaltung einer Partei einpasst, die wohl wie keine andere für die Kontinuität nationalsozialistischer Karrieren in der BRD steht. Auch mein Großvater steht sicher stellvertretend für diese Haltung: Hitlerjugend, Wehrmacht - CDU. Den Nazis nahm er immer übel, dass er nur das Notabitur hatte machen können. Von den Kriegsverbrechen, der Shoa, den Zwangsarbeiterlagern vor der eigenen Haustür hatte er nichts gewusst. Oder die Familie war widerständig. Die Narrative wechselten, waren ständig inkonsistent. Eine Auseindersetzung fand nie statt, auch sein Sohn ging in die CDU; und stellte nie Fragen. Was es mit Kiesinger, Globke oder Schleyer eigentlich auf sich hatte, musste ich meinem Vater erklären. Ernst genommen hat er es nie.

Elitarismus und Ignoranz

Es gibt ein bemerkenswertes Zitat zu Globke, von Adenauer: "Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat." Auch das ist eine bemerkenswerte Inkonsistenz der Bundesrepublik: Zwar hatte keiner etwas gewusst und alle waren Opfer, doch zugleich war es unmöglich, unbelastetes Personal zu finden. Dies wiederum lag keineswegs daran, dass es keines gegeben hätte. Nur stammte dies nicht aus dem eigenen Klüngel. Das bundesdeutsche Kapital hatte gut am Nationalsozialismus verdient, die alten Eliten - im diplomatischen Corps, in der Jurisprudenz und der Wirtschaft - hatten ihre Kontakte gepflegt. An den Universitäten blieben die nationalsozialistischen Usurpatoren auf ihren Lehrstühlen sitzen. Kein Wunder also, dass die Adenauerära keine Möglichkeit bot, sich mit der NS-Herrschaft ernstlich zu befassen. Administriell war sie noch aktiv.

Dies hatte natürlich auch viel mit dem kalten Krieg zu tun. Was war schon das bisschen Holocaust gegen die drohende rote Gefahr. Und so blieben auch viele Verfolgte des Naziregimes Verfolgte der BRD: Linke, Homosexuelle, Sinti & Roma, sogenannte Asoziale und Berufsverbrecher. Der Umschwung von Hitler zu Adenauer war, gewöhnte man sich nur den offenen Antisemitismus ab, ideologisch nicht allzu hart. Kein Grund also, sich zu reflektieren. Diese offene Ignoranz gegenüber den Opfern der Nationalsozialisten setzt sich auch bis heute fort. Im Reden von den zwei Diktaturen, in der Auseinandersetzung bzw. der Leugnung der Notwendigkeit der Auseinandersetzung. Wer im KZ gesessen hat, ist sensibel in Bezug auf faschistische Tendenzen; für die Schreibtischtäter gilt das nicht.

Äquidistanz zu Demokratie und Faschismus

Diese Sensibilitäten sind auch in der dritten Generation noch spürbar. Vor einigen Jahren saß ich mit einem Freund am Küchentisch. Er erzählte von dem Großvater, der immer lange Hemdsärmel trug. Als mein Freund alt genug war, zeigte er ihm den Grund: Eine KZ-Tatoowierung. In meiner Familie wurde auf jeder Geburtstagsfeier relativiert. Als ich alt genug war, einen Standpunkt aufzubauen, genug gelesen hatte, um die Inkonsistenzen aufzuzeigen, wurde dies keineswegs als Anlass zur Auseinandersetzung genommen. Vielmehr könne man den alten Mann doch auch nicht mehr ändern. Zugegeben, das war nicht möglich. Da saß er also, der homophobe und rassistische alte Mann und sollte nicht mehr angerührt werden, weil es doch eh zu spät war. Davor wurde er nicht angerührt, weil es egal war. In der CDU setzt man sich nicht mit der NS-Vergangenheit der eigenen Familie auseinander. Punkt.

Es ist diese Äquidistanz zu Faschismus und Demokratie, die mich in den letzten Jahren zunehmend verstört. Diese Indifferenz gegenüber der zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft und des politischen Diskurses. Diese Sakralisierung von administrativen Strukturen - seien es Justiz, Polizei oder Militär - die jede strukturelle Kritik zurückweist. Die Apologetik jedes noch so rassistischen oder demokratiefeindlichen Ausfalls von Unionspolitikern. Es geht dabei nicht einmal darum, selbst diese Haltung einzunehmen, sondern darum, sie zu dulden. Denn was ist schon das bisschen Faschismus.

Klare Haltung heißt Austritt

Wenn die CDU also, wie jetzt in Sachsen-Anhalt, einem Neonazi das Vertrauen ausspricht, dann ist das eine klare Haltung. Wenn sie sich Kritik daran verbietet und mit dem Bruch einer Koalition droht, dann sollte man dieses Angebot gerne annehmen. Und wer Mitglied einer Partei ist, die immer offener und enger mit neonazistischen und anderweitig reaktionären Strukturen und Personen arbeitet, muss sich bewusst sein, eine neue faschistische Bewegung zu unterstützen - und sei es nur durch stille Duldung. Die Bagatellisierung faschistischer Akteure, Strukturen und Prozesse ist Teil der Unionspolitik. Einst schützten sie damit die Täter, heute helfen sie deren ideologischen Nachfolgern. Die Loyalität der Union liegt nicht in der liberalen Demokratie, sondern bei jenen Eliten, die sich über zwei Weltkriege hinweg hielten. Das politische System, die Frage ob Demokratie oder Diktatur, ist dabei zweitranging - wenn überhaupt.

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