"Wen der Globke umgebracht hat, das sollen sie mir mal sagen; das hat der Adenauer immer gesagt." Dies wiederum erzählte mein Großvater bei unzähligen Gelegenheiten. Es dauerte einige Jahre, bis ich verstand, wer dieser Globke war und wie sich Adenauers Schutzbehauptung gegenüber seinem Kanzleramtschef in die Grundhaltung einer Partei einpasst, die wohl wie keine andere für die Kontinuität nationalsozialistischer Karrieren in der BRD steht. Auch mein Großvater steht sicher stellvertretend für diese Haltung: Hitlerjugend, Wehrmacht - CDU. Den Nazis nahm er immer übel, dass er nur das Notabitur hatte machen können. Von den Kriegsverbrechen, der Shoa, den Zwangsarbeiterlagern vor der eigenen Haustür hatte er nichts gewusst. Oder die Familie war widerständig. Die Narrative wechselten, waren ständig inkonsistent. Eine Auseindersetzung fand nie statt, auch sein Sohn ging in die CDU; und stellte nie Fragen. Was es mit Kiesinger, Globke oder Schleyer eigentlich auf sich hatte, musste ich meinem Vater erklären. Ernst genommen hat er es nie.
Elitarismus und Ignoranz
Es gibt ein bemerkenswertes Zitat zu Globke, von Adenauer: "Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat." Auch das ist eine bemerkenswerte Inkonsistenz der Bundesrepublik: Zwar hatte keiner etwas gewusst und alle waren Opfer, doch zugleich war es unmöglich, unbelastetes Personal zu finden. Dies wiederum lag keineswegs daran, dass es keines gegeben hätte. Nur stammte dies nicht aus dem eigenen Klüngel. Das bundesdeutsche Kapital hatte gut am Nationalsozialismus verdient, die alten Eliten - im diplomatischen Corps, in der Jurisprudenz und der Wirtschaft - hatten ihre Kontakte gepflegt. An den Universitäten blieben die nationalsozialistischen Usurpatoren auf ihren Lehrstühlen sitzen. Kein Wunder also, dass die Adenauerära keine Möglichkeit bot, sich mit der NS-Herrschaft ernstlich zu befassen. Administriell war sie noch aktiv.
Dies hatte natürlich auch viel mit dem kalten Krieg zu tun. Was war schon das bisschen Holocaust gegen die drohende rote Gefahr. Und so blieben auch viele Verfolgte des Naziregimes Verfolgte der BRD: Linke, Homosexuelle, Sinti & Roma, sogenannte Asoziale und Berufsverbrecher. Der Umschwung von Hitler zu Adenauer war, gewöhnte man sich nur den offenen Antisemitismus ab, ideologisch nicht allzu hart. Kein Grund also, sich zu reflektieren. Diese offene Ignoranz gegenüber den Opfern der Nationalsozialisten setzt sich auch bis heute fort. Im Reden von den zwei Diktaturen, in der Auseinandersetzung bzw. der Leugnung der Notwendigkeit der Auseinandersetzung. Wer im KZ gesessen hat, ist sensibel in Bezug auf faschistische Tendenzen; für die Schreibtischtäter gilt das nicht.
Äquidistanz zu Demokratie und Faschismus
Diese Sensibilitäten sind auch in der dritten Generation noch spürbar. Vor einigen Jahren saß ich mit einem Freund am Küchentisch. Er erzählte von dem Großvater, der immer lange Hemdsärmel trug. Als mein Freund alt genug war, zeigte er ihm den Grund: Eine KZ-Tatoowierung. In meiner Familie wurde auf jeder Geburtstagsfeier relativiert. Als ich alt genug war, einen Standpunkt aufzubauen, genug gelesen hatte, um die Inkonsistenzen aufzuzeigen, wurde dies keineswegs als Anlass zur Auseinandersetzung genommen. Vielmehr könne man den alten Mann doch auch nicht mehr ändern. Zugegeben, das war nicht möglich. Da saß er also, der homophobe und rassistische alte Mann und sollte nicht mehr angerührt werden, weil es doch eh zu spät war. Davor wurde er nicht angerührt, weil es egal war. In der CDU setzt man sich nicht mit der NS-Vergangenheit der eigenen Familie auseinander. Punkt.
Es ist diese Äquidistanz zu Faschismus und Demokratie, die mich in den letzten Jahren zunehmend verstört. Diese Indifferenz gegenüber der zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft und des politischen Diskurses. Diese Sakralisierung von administrativen Strukturen - seien es Justiz, Polizei oder Militär - die jede strukturelle Kritik zurückweist. Die Apologetik jedes noch so rassistischen oder demokratiefeindlichen Ausfalls von Unionspolitikern. Es geht dabei nicht einmal darum, selbst diese Haltung einzunehmen, sondern darum, sie zu dulden. Denn was ist schon das bisschen Faschismus.
Klare Haltung heißt Austritt
Wenn die CDU also, wie jetzt in Sachsen-Anhalt, einem Neonazi das Vertrauen ausspricht, dann ist das eine klare Haltung. Wenn sie sich Kritik daran verbietet und mit dem Bruch einer Koalition droht, dann sollte man dieses Angebot gerne annehmen. Und wer Mitglied einer Partei ist, die immer offener und enger mit neonazistischen und anderweitig reaktionären Strukturen und Personen arbeitet, muss sich bewusst sein, eine neue faschistische Bewegung zu unterstützen - und sei es nur durch stille Duldung. Die Bagatellisierung faschistischer Akteure, Strukturen und Prozesse ist Teil der Unionspolitik. Einst schützten sie damit die Täter, heute helfen sie deren ideologischen Nachfolgern. Die Loyalität der Union liegt nicht in der liberalen Demokratie, sondern bei jenen Eliten, die sich über zwei Weltkriege hinweg hielten. Das politische System, die Frage ob Demokratie oder Diktatur, ist dabei zweitranging - wenn überhaupt.
Kommentare 4
Es ist sinnvoll, dass er in der CDU ist statt in der NPD. Die berühmte Bindekraft der Volksparteien. Das Problem in Sachsen-Anhalt ist eher, dass die CDU bisher nicht mit der AfD koaliert, sondern mit roten und grünen in dieser Koalition der wechselseitigen Verachtung gefangen ist, die irgendwann aus reinem Überdruss auseinanderfliegen wird.
Wenn wieder koaliert, was zusammengehört, R2G auf einen Seiten, Union und AfD auf der anderen, geht es allen besser.
Aber auch die Loyalität der SPDOberen gehört doch auch den alten Eliten - seit 1914. Wie wird Schuhmachers Antikommunismus hochgelobt? Die Traditionslinie dieser Republik ist eindeutig.
Das haben Sie nicht richtig verstanden mit den Seeheimern. Diese sind als Parteirechte der SPD keine Rechtsnationalen, haben auch die SPD nicht unterwandert, sondern sind als Sozialdemokraten der (relativ) rechte Flügel der SPD, die eine rot flaggende Partei ist und die Internationale singt und zweifelsohne im linken Spektrum zu Hause ist.
Als der linke Flügel der SPD sich in den 1970ern "intellektualisierte" mit all den den Reformsozialisten, Stamokaplern etc. waren die Seeheimer diejenigen, die am Volksparteikonzept a la Godesberg festhielten.
Johannes Kahrs als der prominenteste Vertreter der heutigen Seeheimer ist unter wirklichen Rechten (die etwas anderes sind als moderate Linke) doch eindeutig eine Haßfigur. Er hat rote Socken an, lässt jeden wissen, dass er schwul ist, machte eine Kopf-ab-Geste in Richtung der AfD-Fraktion. Sie werden keinen Parlamentarier der SPD finden, den die AfD mehr verachtet.
Kahrs mag in der SPD relativ weit rechts (also in der linken Mitte stehen), ein Rechtsnationaler ist er nicht, genausowenig wie die anderen Seeheimer. Gabriel, Schulz, Oppermann und wie sie alle heißen.
Dann wären Rechte zuletzt Liberale.
In den angelsächsischen Ländern mag das stimmen, sonst dürfte es anders sein, und umso deutlicher anders, je weiter man nach Osten kommt.
In Osteuropa sind die Rechten mehr oder weniger alle illiberal (Viktor Orban als ihr Vorturner werkelt an der illiberalen Demokratie, in der zwar gewählt wird, aber kein Gesetzesbasar stattfindet) bis hin zu Putin, einen Reaktionär reinsten Wassers, der der zwar für russische Verhältnisse sehr milde, weil unblutig regiert, der die liberale Opposition aber trotzdem verhaften lässt. In Deutschland sind die Rechten gespalten. Schauen Sie sich Meuthen und Höcke an. Die kracht es wegen der Rentenpolitik, ein Liberaler und ein Illiberaler reinsten Wassers in der gleichen Partei. Letztlich passt das nicht zusammen. Man mag das Land dem Geld unterstellen wollen oder das Geld dem Land, aber man kann nicht gleichzeitig beides vertreten.
In den angelsächsischen Ländern haben Sie Recht.
Trump ist ein Rechter und trotzdem fast die Karikatur eines Liberalen, ein Monopolymännchen, dass sie tagtäglich am Dow-Jones und Jobs erfreut und dem es gar nicht möglich ist, außerhalb ökonomistischer Kategorien zu denken. Sein faschistoider Massenkristall ändert nichts daran, dass sein Wirtschaftsdenken das eines Turboliberalen ist. Man sollte ihn (nach dem schwarzen und dem braunen) als den Erfinder des gelben Faschismus beschreiben.
Und auch die britischen Tories sind natürlich Liberale, obwohl Konservative draufsteht. Der deutschen Karikatur ist Friedrich Merz.