Jenseits des Rechtsstaates

G20 Die mediale Aufarbeitung des G20-Einsatzes hat viele polizeiliche Darstellungen als Falschbehauptungen offengelegt. Selbstkritik ist für die Polizei keine Alternative

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Polizisten bei einer Festnahme während der "Welcome to Hell"-Demonstration
Polizisten bei einer Festnahme während der "Welcome to Hell"-Demonstration

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Öffentlichkeitsfahndung heißt nun also das Wort der Stunde, zumindest in schön abstrakt-juristischen Termini. Einen Internetpranger hat Heribert Prantl die heute begonnene neue Offensive der Hamburger Polizei genannt und ist damit nicht so schön abstrakt-juristisch, nicht so vermeintlich sachlich, aber sicher eher bei der Sache. Denn zwischen dem Spott für die verpixtelten Videos, die in ihrer Absurdität ins Groteske reichende Konstruktion von vermeintlichen Straftatbeständen und die juristische Überinterpretation von vermutlich tatsächlichen Straftaten, mischen sich in den sozialen Netzwerken genau jene Kommentatorinnen und vor allem Kommentatoren, deren niedere Gelüste mit dieser Art von polizeilicher Arbeit eben bedient werden sollen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Frage nämlich ist, welchen Aufklärungscharakter die Fahndung überhaupt hat. Voraussichtlich gar keinen. Man ist weder staatsanwaltschaftlich, noch polizeilich und leider auch nicht politisch daran interessiert zu fragen, wie die Proteste derart eskalieren konnten. Zugleich werden mit den besagten Bildern gerade solche Personen gesucht, welche offenbar keine Strafakte aufzuweisen haben. Gesucht wird also nicht nach Terroristen, nicht nach Serientäterinnen, sondern nach Personen, die vielleicht im Überschwang der Stunde sich Zugang zu einem bereits aufgebrochenen Supermarkt verschafften, in einem polizeilich drangsalierten Demoblock sich zur Gegenwehr entschieden - oder ganz banal: Eine Spraydose weitergaben.

Zu verstehen ist dieser ganze Tumult nur als Abwehrreaktion eines Polizeiapparates, der als erstes Ziel nicht den Schutz des Gesetzes, sondern den Schutz seiner inneren Hierachien, seines Korpsgeistes und seiner Druckmittel gegen die wenigen demokratischen Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht das idealistische Bild einer demokratieschützenden Polizei haben, hat. Es kommt von daher auch nicht von ungefähr, das leicht einzusehende falsche Tatsachenbehauptungen auch auf dieser Pressekonferenz wiederholt wurden. Wie bereits im unmittelbaren Nachgang an die G20-Proteste an selbiger Stelle festgestellt, ist es das Gebahren einer Institution, die sich selbst außerhalb des Verantwortungsrahmens des Rechtsstaates weiß.

Das Prinzip des liberalen Rechtsstaates

Daher muss man weder mit den Methoden der Demonstrantinnen und Demonstranten in Hamburg einer Meinung sein, erst recht nicht mit jenen, die Sachbeschädigungen als Mittel der politischen Auseinandersetzung für richtig halten, um das polizeiliche Aufklärungsverhalten nach dem G20-Gipfel zu kritisieren. Es ist vielmehr das Prinzip des liberalen Rechtsstaates, welches denen, die ein Mehr von Mitteln an die Hand gereicht bekommen, höhere Verantwortung zuspricht. Dieser Verantwortung wurden weder die eingesetzten Einheiten während des Einsatzes gerecht, noch weniger wird es die Soko "Schwarzer Block". Eine Zurückweisung dieser Art von Fahndung ist keineswegs ein Schutzbehauptung gegenüber vermeintlichen Straftätern, sondern ein Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip. Brennende Autos mögen zwar schöne Bilder für eine Titelseite abgeben. Eine demokratische Gesellschaft sollten jedoch viel mehr die Rechtsbrüche und Gewaltexesse derer interessieren, denen sie Handlungen erlaubt, die sie sich selbst verbietet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden