Vom Grundrecht auf Bequemlichkeit

TddZ 900 Neonazis begingen am 04.06. in Dortmund ungestört den 'Tag der deutschen Zukunft'. Das verdanken sie auch einem brutalen und rechtsstaatsfernen Aufreten der Polizei.

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Samstag Morgen, etwa 11:15 Uhr. Die Sonne scheint, es verspricht ein heißer Tag in Dortmund zu werden. Die Route der Neonazis ist inzwischen seit gut drei Stunden bekannt, zuvor hatte man sie geheimgehalten. Nun ist aber klar: Die Auftaktkundgebung wird in Dortmund-Dorstfeld stattfinden. Die S2 fährt in den Bahnhof ein. Etwa 80 bis 100 Antifaschistinnen strömen aus dem Zug, auf dem Gleis ist keine Polizei zu sehen. Es geht die Treppe hoch, zur rechten liegt der Startpunkt der Neonazikundgebung. Das Ziel: Eine Blockade.

Im Tunnel hat sich eine Einsatzhundertschaft positioniert, vermeintlich aus Berlin, man kann es in der Hektik des Geschehens nicht mehr sehen. "Verpisst Euch!", ruft es aus der Hundertschaft. "Ketten bilden!", ruft es aus dem Block. Die Einsatzhundertschaft kommt auf die Menge zu, schneller Schritt, dann Verlangsamung: "Jetzt endlich drauf da!", ruft noch einmal einer der Polizisten. Die Einsatzhundertschaft setzt zum Sprint an. Mit gezogenem Knüppel rennen sie auf die Gruppe zu, die sich noch zur Hälfte auf der Treppe befindet. Kein Abblocken, es wird direkt geschlagen. Die Schläge kommen von oben. Es wird, das lässt sich trotz des Gewusels sehen, gezielt auf den Kopf geschlagen. Das deutsche Strafrecht unterstellt in solchen Fällen eine Tötungsabsicht.

Pfefferspray wird gespritzt, eine Rauchgranate fliegt. Die Antifaschisten geben auf, die Polizistinnen treiben sie aus dem Bahnhof. Wer zu langsam ist bekommt auf dem Weg nochmal einen Tritt oder einen Schlag mit dem Knüppel mit. Von hinten wird nach vorne getrieben, von vorne wird zurückgestoßen. Schließlich ist die Gruppe aus dem Bahnhofsgelände getrieben, die Demonstrationssanitäter beginnen mit der Versorgung.

Dortmund und seine Neonazis

Dass Dortmund eine Hochburg für den Neonazismus in Westdeutschland werden konnte, hat verschiedene Gründe. Zum einen sei dort die Stadtverwaltung zu nennen, die, vor allem unter dem noch immer amtierenden Oberbürgermeister Ullrich Sierau, eine äußerst nazifreundliche Politik gemacht hat. Als herausragendes Beispiel steht dafür die kurzfristige Absage des Antifa Camps 2012, welches, auch in beständigen Verhandlungen mit der Stadt, lange vorbereitet worden war. Seitens der Stadt hieß es damals unter anderem: "Bei der Ausrichtung eines Antifa-Camps im Schulte-Witten-Park in Dorstfeld kann davon ausgegangen werden, dass dies als deutliche Provokation durch die Rechtsextremen wahrgenommen wird und deshalb entsprechende, auch gewalttätige, Vorfälle im Stadtteil nicht auszuschließen sind."

Ein zweiter Aspekt ist sicher der Verein. Borussia Dortmund hat nicht zu Unrecht den Ruf, in seiner Fanszene einen weder kleinen, noch sich leise äußernden Teil organisierter Rechtsradikaler zu haben. Der Verein folgte jedoch lange dem Modell der Sächsischen Staatsregierung und behauptetw, alles sei nicht so schlimm, Bekloppte gäbe es überall, aber es bestehe kein weiterer Handlungsbedarf. Selbst als ein Banner auf der Südtribüne auftauchte, welches zur Solidarität mit dem damals jünsgt verbotenen, neonazistischen Nationalen Widerstand Dortmund aufrief, fühlte man sich nicht so recht verantwortlich. Erst als Siegfried 'SS-Siggi' Borchardt und die Partei Die Rechte vor der letzten Kommunalwahl mit Von der Südtribühne in den Rat warben, erwirkte der BVB eine einstweilige Verfüfung und setzt sich seitdem, wenn auch merklich zaghaft, für eine andere Fankultur ein.

Sommerausflug mit der Bereitschaftspolizei Münster

Doch zurück zum 04.06.! Die Gruppe von Antifaschistinnen und Antifaschisten wird, nur wenige Meter hinter dem Dorstfelder Bahnhof, festgesetzt. Einen Kessel nennt man das umgangssprachlich und der ist, mal wieder, natürlich nur zur Sicherheit der eingeschlossenen gezogen. Man werde sie jetzt "ein bisschen hier festhalten" heißt es etwas salopp aus dem Lautsprecherwagen und dann könne man stadtauswärts weitergehen. Das bisschen Festhalten dauert beinahe 90 Minuten, zwischenzeitlich wird noch eine kleine Gruppe Neonazis vorbeigeführt.Seitens der Polizei wird sich behelmt, nicht wegen der Antifas, sondern weil eine Neonazitrupp im Anmarsch sei. Von den Eingeschlossenen gehe ja keine Gefahr aus, heißt es fast entschuldigend. Stolz, sozial und national! brüllt es unter hochpolierten Glatzen hervor, als der kleine Trupp vorbeizieht, Alerta, alerta Antifascista ruft es zurück. Kurz danach geht es tatsächlich stadtauswärts weiter.

Man hat sich inzwischen geeinigt. Es soll zu einer Veranstaltung der MLPD gehen. Diese ist angemeldet, die Anreise muss von Rechts wegen also ermöglicht werden. Man nimmt Aufstellung hinter dem Frontbanner. Die Einsatzhundertschaft aus Münster ist inzwischen entspannt, die antifaschistische Gruppe auch. Man wirft sich noch ein paar frotzelnde Beleidigungen zu, aber ansonsten hat man sich in den letzten zwei Stunden doch ganz gut aneinander gewöhnt. Es geht durch die Dortmunder Außenbezirke und als der kleine Demoblock, statt dem vorfahrenden Fahrzeug zu folgen, den Fußweg zur Bundesstraße nimmt, folgt die Hundertschaft bereitwillig. Auf der Bundesstraße trifft man den verlorengegangen Teil wieder. Diese hatten erst auf dem Bahnsteig ausharren müssen und sich später entschieden dort zu bleiben, um einen Anreisepunkt zu blockieren, wurden aber, nicht allzu sanft, geräumt.

Man fügt sich zusammen und es geht gemeinsam weiter. Die Münsteraner Polizei filmt - rechtswidrig - das Geschehen. Im Zug werden vereinzelt Vermummungen angelegt, mit diesem Arrangement scheint man sich anfreunden zu können. Am Ende der Bundesstraße steht wieder Berliner Polizei. Voll behelmt, die Hand am Schlagstock, im Hintergrund Räumfahrzeug, Wasserwerfer und berittene Polizei. Unruhe kommt auf. Wieder Verhandlungen. Einfach weiter gehen und dann rechts Richtung Innenstadt sagt der Münsteraner Einsatzleiter, keinen Schritt weiter der Berliner. Deutsche Kleinstaaterei mitten in Dortmund. Dort wo das Einflußgebiet der Berliner beginnt, endet jede Rechtsstaatlichkeit. Es wird zwei Stunden ausgeharrt. Irgendwann zieht eine Gegenkundgebung hinter der Polizeikette entlang. Erneut wird die Anreise zu einer genehmigten Kundgebung verwehrt. Dann wieder Verhandlungen und ein paar hundert Meter zurück, zu einer Tankstelle. Es hat über 30° Celsius. Zumindetst können jetzt die Wasservorräte aufgefrischt werden.

Dortmunder Neonazismus und die Polizei

Ein besonderes Verhältnis haben in Dortmund Neonazis und Polizei. Natürlich gibt es auch - Leipzig zeigt dies jetzt in besorgniserregender Weise - an anderen Orten personelle und ideologische Überschneidungen zwischen Polizeikräften und neonazistischen Strukturen. In Dortmund jedoch sind diese perfektioniert worden. Nach den Kommunalwahlen etwa versuchte die Partei Die Rechte in das Rathaus zu gelangen. Obwohl es gezielte Angriffe und volksverhetzende Parolen gab, wurden nur fünf Neonazis, und dies auch nur nach öffentlichem Druck, angezeigt. Es kam zu einer Verurteilung. Die Polizeiarbeit hingegen richtete sich gegen die demokratischen Kräfte. Besonders politische Straftaten wolte man, trotz hinreichender Dokumentation, lieber nicht nachverfolgen.

Auch ist Dortmund immer wieder in besonderer Weise bereit, ganze Stadtteile für Neonazis abzuriegeln. Die auch für den Tag der deutschen Zukunft getroffenen Maßnahmen wurden schon bei Demonstrationen zum ersten Mai und bei den Kundgebungen zum, inzwischen ebenfalls verbotenen, Nationalem Antikriegstag erprobt. Letzterer stand unter dem Slogan: "Kein Krieg nach unserem Sieg." Dabei umgeht die Polizei - allerdings nicht nur in Dortmund - beständig die seit mehr als dreißig Jahren geltende Beschlusslage des Bundesverfassungsgerichtes. Da allerdings eine solche Feststellung erst im Nachgang möglich, geht die Polizeitaktik der Unterbindung von Gegendemonstrationen zumeist auf. Ein Beispiel ist dafür eine polizeiliche Maßnahme aus dem Jahre 2010, welche erst im April dieses Jahres zur Entscheidung gelangte. Die Maßnahme der Polizei war demnach rechtswidrig.

Besonderen Schutz genießen neonazistische Aufmärsche jedoch in Bezug auf die Auflagen. In diesem Jahr rühnte sich die Polizei zu behaupten, sie hätten besonders strenge Auflagen auferlegt. Dabei bezogen sie sich auf Parolen, welche nach geltender Rechtsprechung bereits als Volksverhetzung geahndet werden und ein Alkoholverbot, welches für den Großteil der in Deutschland stattfindenden, hochpolitischen Demonstrationen gilt. Auf die Einhaltung dieser Auflagen wurde freilich nicht Acht gegeben. Journalisten, die auf Auflagenverstöße hinwiesen, wurden des Platzes verwiesen und somit an ihrer Arbeit gehindert.

Gebietsübergabe Teil 2

Noch einmal zurück zur antifaschistischen Gruppe vom Morgen. Diese ist inzwischen, nach zähen Verhandlungen mit der Münsteraner Einsatzhundertschaft, zu einem Ergebnis gekommen. Man werde über die Rheinische Straße in die Innenstadt ziehen. Durch das Umland geht es schließlich nach Dorstfeld, eine Strecke, die schon viele Demonstrationen gesehen hat. An der Grenze zur Innenstadt endet wieder ein polizeiliches Territorium und ein anderes beginnt. Übergabe an die bayrischen Kolleginnen. Es wird verhandelt. Im Block wird murmelnd die Münsteraner Einheit gelobt. "Für Bullen waren die ja ganz nett.", meint einer. Es gibt einzelne Rufe, man wolle lieber von den Münsteranern begleitet werden. Man habe doch schon den ganzen Tag zusammenverbracht.

Aber keine Chance. Die Bayern ziehen links und rechts der Demonstration eine dreimal so dichte Polizeikette. Zum Schutz der Versammlung natürlich. Es wird gefilmt und es werden Porträtfotos gemacht. Beides rechtswidrige Akte seitens der Polizei. Endlich geht es los. Am Hauptbahnhof verlässt der Autor dieser Zeilen die Demonstration. Auf dem Weg in den Norden und am Sonntag die Pressenachlese und die Entscheidung für diesen Artikel.

Kampf um die Meinungshoheit

Unter dem Hashtag #nottdz gibt es ein interessantes Phänomen zu beobachten. Zuerst twittert die Polizei, dann gibt es Gegendarstellungen von Aktivisten und Journalistinnen. Auch an der nachträglichen Berichterstattung zeigt sich, welche Medien eigenes Personal vor Ort hatten und welche sich den Tag aus den Pressemitteilungen der Polizei zusammenschreiben. Das ist das Problem vieler Medienhäuser, die sich auf Pressemitteilungen der Polizei verlassen, wobei diese, vor allem in Fällen von rassistischen und neonazistischen Übergriffen und Aktionen, zumeist nicht einmal der kleinsten Recherche standhalten.

Ein noch größeres Problem ist aber die Abgrenzung zwischen dem vermeintlich bürgerlichen, guten Protest und dem autonomen, schlechten Protest. So lange in der deutschen Debatte antifaschistischer Protest nicht mehr sein darf, als Bratwurst zu essen, Bier zu trinken und dabei 'Nazis raus' zu rufen, sodann bedarf es überhaupt keines antifaschistischen Protestes mehr. Im Jahr 2011 blockierten in Dresden beinahe 20.000 Antifas einen Aufmarsch von etwa 10.000 Neonazis. Sie trotzten dabei nicht nur Temperaturen um den Gefrierpunkt, sondern auch Schlagstöcken, Pfefferspray, Hunde- und Pferdestaffeln. Am Ende fand der Aufmarsch nicht statt. Über Jahre gab es keinen Aufmarsch dieser Größe mehr. Doch die Tendenz wandelt sich, die Aufmärsche werden wieder größer. Einem großen Dank schulden die Organisatoren dieser neonazistischen Veranstaltungen dann Menschen wie Gregor Lange, dem Polizeipräsidenten aus Dortmund, und seiner Kollegen, die solchen Veranstaltungen schöne Strecken und Störungsfreiheit einräumen, während sich die extreme Rechte noch an den Bildern derjenigen erfreuen darf, die beim Versuch sich gegen sie zu wenden von Knüppeln, Pfefferspray oder, wie jetzt in Dortmund, auch Hundebissen, verletzt wurden.

In einer äußerst politischen Pressemitteilung schrieb die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor dem Aufmarsch in Dortmund: „Wer Polizisten als Ersatzziel angreift, nur weil sie Angriffe auf die Demonstration der Rechtsextremisten verhindern, verkennt, dass wir in Deutschland keine politische Polizei haben, die Demonstrationen nach Belieben verbieten kann.“ Als 'Angriffe auf die Demonstration von Rechtsextremisten' wird hier offenbar alles verstanden, was diese stören könnte. Das beginnt bei Rufen und endet bei Sitzblockaden. Alle diese Mittel sind legal, aber sie sind unbequemer, als einfach auf freiem Feld kleine Gruppen von Antifas niederzuprügeln. So lange die deutsche Polizei zwar das Recht der neonazistischen Szene auf freie Meinungsäußerung - auch weit über das Maß der Legalität hinaus - schützt, aber das Recht auf die Artikulation einer Gegenmeinung unterbindet, muss man die Grundrechte gegen sie durchsetzen. Zu jammern, dass politische Amtsträgerinnen nicht willkürrlich Zusammenschlüsse verböten, hilft dabei nicht. Es gibt kein Grundrecht auf Bequemlichkeit, vor allem keines, was es erlaubt, einen großen Teil der tatsächlichen Grundrechte für viele Menschen auszusetzen.

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