Wessen Steigbügel?

Rassismus Mit rassistischen Äußerungen dienten demokratische Parteien der AfD als Steigbügelhalter, wird kritisiert. Dabei lässt sich das Bild auch umgekehrt zeichnen.

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Rassismus in der Parteienlandschaft - Wer hält hier eigentlich wessen Steigbügel?
Rassismus in der Parteienlandschaft - Wer hält hier eigentlich wessen Steigbügel?

Foto: raventestingsupply/Pixabay (CC 0)

Als die rechtsradikale PEGIDA-Bewegung am 19.12.2014 zum ersten Mal auf die Straße ging, da musste die AfD noch um den Einzug in den Bundestag bangen. Die Umfragen sahen sie etwa bei 5%, einem Wert also, den sie seit ihrer Erwähnung in den Wahlumfragen hatte. Auch nach der, im rechten Diskurs so bezeichneten, Schicksalsnacht im September 2015, konnte sie keine weitere Zustimmung verzeichnen. Und nach einem kurzen Ausflug in den zweistelligen Bereich im Jahre 2016 ging es 2017 wieder bis auf 7% herunter. Wozu diese Zahlenspiele? Sie zeigen im Kleinen ganz gut, dass die Rede vom Fanal der vermeintlichen Grenzöffnung, des herbeigeredeten Rechtsbruchs - kulminierend in Seehofers Mutter aller Probleme - eine Scheindebatte ist, welche sich keineswegs aus einer aktualen Problemlage - nicht einmal einer gefühlten - ergibt, sondern eine absurde Aufpropfung darstellt.

Inszenierte Diskursverschiebung

Die Frage des Sagbaren begann schon in der Lucke-Ära. Die AfD titelte damals "Wir sind nicht das Weltsozialamt", was doch sehr nach dem dem NPD-Slogan "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt" klingt, wenngleich ohne die schöne genetivische Formulierung. Lucke verwehrte sich damals gegen den Vorwurf, sich mit der extremen Rechten gemein zu machen. Auch CDU und CSU forderten qualifizierte Einwanderung und verwahrten sich gegen eine Einwanderung in Sozialsysteme. Damit hatte er Recht; und es waren nicht nur die Unionsparteien. So war auch der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link bereits 2014 durch rassistische Aussagen zu Einwanderern, im Zuge der Osterweiterung II der EU, aufgefallen. 2017 und 2018, insbesondere im Rahmen der sogenannten Kindergelddebatte, legte Link nach. Die Trennung zwischen nützlichen und nicht-nützlichen Migrantinnen und Flüchtlingen, die schon in den 90er Jahren ein Grundstein der 'Kein Rassist, aber...'-Formulierungen war, kehrte zurück. Link, für den die Loveparade-Katastrophe ein politischer Glücksfall war, beteiligt sich als Sozialdemokrat also sehr gekonnt an dieser Diskursverschiebung. Dass das Ruhrgebiet ganz anders strukturierte Probleme hat, dürfte auch Link bewusst sein. Ein rassistisches Argument jedoch ist unterkomplex und leicht bekömmlich; inzwischen darf er sich damit im diskursiven Mainstream sehen.

Die Meister und Profiteure der diskursiven Verschiebung sind natürlich Horst Seehofer und die CSU. Im Jahr 2015 benutzte auch er den Begriff des Weltsozialamtes - folgelose Rücktrittsforderungen inklusive. Es folgten Klassiker des rechtsextremen Vokabulars wie 'Anti-Abschiebe-Industrie' (Dobrindt) und 'Linksfaschismus' (Friedrich). Dass Seehofer über Abschiebungen in Kriegsgebiete witzelt, über eine Obergrenze phantasiert oder sich ganz einfach Straftaten von Flüchtlingen herbeiwünscht, um diese besser abschieben zu können, ist dabei nicht einer Verschiebung des Diskurses geschuldet, sondern einfach die Folge eines diskursiven Möglichkeitsfeldes, das sich inzwischen geöffnet hat. Eines der berühmtesten Zitate zur Debatte brachte der damalige Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, bereits 2016: "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese." Es geht also keineswegs um vermeintliche Integrationsprobleme, sondern nur um den eigenen Rassismus

Mediale Problembildung

Es gilt aber auch: Keine politische Agenda ohne mediale Amplifikation. Bereits vor ihrem Einzug in die Parlamente saß die AfD in den Talkshows der Nation und bestimmte das mediale Framing der politischen Debatte. Vorbei an allen politischen Problemen, vorbei an allen Interessen der Wählerinnen und Wähler. Aber sie trieb, setzte Themen und schaffte sich damit vermeintlich politische Potenz. Inhaltlich auftrumpfen konnten sie dabei nie und es spricht nicht für den deutschen Politjournalismus der Öffentlich-Rechtlichen, dass erst Thomas Walde im diesjährigen Sommerinterview einmal vorführte, wie leicht die politische Impotenz der AfD vorzuführen ist: Man muss nur einmal die Themen ansprechen, welche in Umfragen immer als die dringlichsten angesehen werden. Stattdessen wurden in Talkshows die Themen Flüchtlinge, Terrorismus und Innere Sicherheit munter durcheinander diskutiert. Ein eindeutiges: Keine Diskussion über Flüchtlinge, ohne dass über Gewalt gesprochen wird - als gehörten die Themen untrennbar zueinander.

Diese Amplifikation funktioniert natürlich nur, über die richtigen Sparringpartner. Man kann zwar - wie die ZEIT - auch mal in der eigenen Redaktion munter darüber diskutieren, ob es nicht besser wäre, Menschen einfach ertrinken zu lassen. Nur findet das wenig Anklang. Aber man findet seine Rechtsaußen: Boris Palmer, Thilo Sarrazin, Wolfgang Bosbach, Alice Schwarzer. Nicht, dass eine dieser Personen etwas substantielles zum Thema beizutragen hätte, aber sie Alle umgibt die Sphäre der Kompetenz. Die Argumentation in den Talkshows verläuft sodann auch nur noch ad hominem und mit einer semantischen Feingliedrigkeit, auf die so manches Seminar der analytischen Philosophie mit Verwunderung gucken würde. Am Ende wird die AfD dann nur noch zur Abgrenzungsfläche: Der gute Rassismus der bügerlichen Mitte gegen den schlechten der Emporkömmlinge.

Die AfD als williger Ochse vor dem bürgerlichen Karren

Wer darauf verweist, rassistische Kommentare hülfen der AfD, greift in seiner Kritik wohl zu kurz. Zwar mag es richtig sein, dass die Diskurserweiterung im Moment prognostisch im besonderen Maße der AfD hilft: Aber sie schafft viel mehr. Es wird im historischen Kontext - und dies sollte gerade zum Geburtstag des Grundgesetzes erwähnt sein - gerne übersehen, dass die Unionsparteien zu Beginn der Bundesrepublik ein Sammelbecken zahlreicher NS-Eliten waren. Der Sprachgebrauch in jüngster Zeit lässt diesen Umstand wieder aktuell werden. Reine Oppurtunität mag bei dem einen oder anderen Unionsmitglied zwar vorliegen, handfeste Rassisten und Faschistinnen gab und gibt es dort aber auch; und inzwischen gibt es wenig Grund, sich zu verstecken. Dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nun mit Angriffen auf die Presse sekundiert - wobei er sich weigert, seine Behauptungen zu stützen - tut sein Übriges, um ein Bild von dem demokratiefeindlichen Potential in den Spitzen von Politik und Behörden zu bekommen. Dass die SPD, wohl um ihre letzten Wählerinnen fürchtend, keine der bestehenden Koalitionsbündnisse auflöst, tut sein Übriges, menschenverachtende Äußerungen als Normalzustand des bürgerlichen Diskurses zu implementieren. Mag Lars Klingenbeil von der antifaschistischen Grundhaltung der SPD twittern, so viel er will; solange sie diese Regierungen stützen, unterstützen sie auch die Faschisierung des Diskurses. Selbiges gilt auch für jene Konservativen, die mit Aussagen aus faschistischen Bewegungen wenig anfangen können, die Parteien aber dennoch nicht verlassen. Oder mit den Worten Elie Wiesels: "Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Haß ist, sondern Gleichgültigkeit."

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