Die Stadt ist pleite, sagt nun auch offiziell der Berliner Senat. Doch der Bankrott steht schon seit langem auf T-Shirts und wird in Liedern besungen. Allein Bundesfinanzminister Eichel sperrt sich gegen die Einsicht.
Es ist ein reichlich undankbares Unterfangen, über Schulden zu schreiben. Über rote Zahlen, Konten im Minus oder miese Kröten, um gleich die schönsten Umschreibungen zu verwenden. Schulden sind Schulden, da will sich deutscher Sprachwitz nicht mit Euphemismen oder Metaphern drum herum drücken. Die Schulden der Hauptstadt sind indes so bombastisch, dass keine Zahl mehr genügt, sondern sogar trockene Finanzpolitiker blumige Vergleiche bemühen, um die Berliner Finanzmisere zu beschreiben. Wer kann mit 46 Milliarden Euro im Soll schon viel anfangen?
Da ist etwa der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Drastische Worte sind sein Markenzeichen. Solche wie diese: "Der argentinische Haushalt ist im Vergleich zu unserem durchfinanziert und solide." Das südamerikanische Land gilt als das Beispiel für Staatsbankrott. Und Sarrazin hat gar nicht mal so Unrecht: Argentinien hat mit 36,5 Millionen Menschen etwa zehnmal so viele Einwohner wie Berlin - aber nur dreimal so viele Schulden. Es gibt noch viele andere schöne Beispiele für die Berliner Finanzsituation mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 11.000 Euro. Davon könnte sich beispielsweise jeder Berliner - in Zeiten der ausgehenden Generation Golf muss dieser Vergleich kommen - einen Wagen der unteren Mittelklasse leisten. Und noch ein drittes schönes Bild: Für ihre Schulden bezahlt die Hauptstadt in diesem Jahr 2,25 Milliarden Euro Zinsen. Damit könnten alle Berliner an 288 Tagen bei Konopke - das ist die berufenste Imbissbude Berlins - Currywurst essen.
Blickt man aber in die Stadt, wird die Situation noch deutlicher. Berlin operiert seit der Abwahl von Eberhard Diepgen (CDU) als Regierendem Bürgermeister mit einer Haushaltssperre, anfangs weil die Interimskoalition von Rot-Grün nur einen Nothaushalt aufstellen konnte, nun weil sofort nach der Verabschiedung des aktuellen Finanzplans klar wurde, dass Berlin mit Steuerausfällen bis zu einer Drittel Milliarde zu rechnen hat. Die Steuerschätzung in dieser Woche könnte sogar ergeben, dass die Hauptstadt mit noch weniger Einnahmen rechnen muss. Der Senat versucht zu sparen, wo es geht. Am leichtesten ist das bei den Zuweisungen für die Bezirke, die in dem Stadtstaat Berlin mit Gemeinden in einem Flächenstaat vergleichbar sind. "Neukölln spart sich die Sozialhilfe", titelten Berliner Blätter daher vergangene Woche. Der Bezirk ist von der Einwohnerzahl her eine Großstadt wie Düsseldorf oder Frankfurt am Main. Vollkommen kann er die Zahlung der Sozialhilfe aber nicht einstellen, weil ein gesetzlicher Anspruch darauf besteht. Nur die so genannten freiwilligen Leistungen werden auf Null gesetzt. So geschieht das überall. Die Bezirke haben sogar schon versucht, die Mülleimer in den Parks abzumontieren und ihre Bürger zu erziehen, den Abfall mit nach Hause zu nehmen. Mit wenig Erfolg, nur wohlhabende Gegenden wie Charlottenburg wollten sich diese Solidarität leisten.
Kurzum, Berlin ist pleite. Diese Tatsache ist schon seit Monaten auf T-Shirts zu lesen, welche die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bei ihren Demonstrationen gegen den geplanten Personalabbau verteilt. Und sie ist der Titel eines Songs der Berliner Combo "Pigor und die Pigoretten", inzwischen die heimliche Hymne der Hauptstadt. Nun ist die Pleite auch amtlich: Vorige Woche hat der Senat die "extreme Haushaltsnotlage" festgestellt - ein Terminus technicus, um vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das soll den fiskalischen Ausnahmezustand bestätigen und den Bund verpflichten, Beihilfen an die Hauptstadt zu zahlen. Die vorausgehenden obligatorischen Verhandlungen mit Bundesfinanzminister Hans Eichel sind nur noch Formsache.
Der nämlich hat Beihilfen bereits rundweg abgelehnt und dafür den Sarrazinschen Argentinien-Vergleich sogar noch überboten. Nach diesen Worten müsste ganz Deutschland schon längst ein Fall für den IWF sein. Die Finanzsituation des Bundes, so Eichel, sei noch schlechter als die der Hauptstadt. Für ihn hat Berlin seine Probleme zum Teil selbst verschuldet. Seit Jahren werde zu viel Geld ausgegeben. Eichel hat recht. Die Stadt gibt mit 7,3 Milliarden Euro im Jahr allein für ihr Personal mehr aus, als sie einnimmt.
Aber es ist doch nur die halbe Wahrheit, wie auch Pigor und die Pigoretten singen: "Berlin ist pleite / Det issn alta Hut / son alter Hut / Berlin ist pleite". Die Haushaltsprobleme des Landes sind historisch bedingt. Unter Helmut Kohl wurden die Bundeshilfen, die damals 50 Prozent des West-Berliner Haushaltes ausmachten, viel zu schnell und viel zu drastisch reduziert. Der Senat war gezwungen, für die entstandenen Haushaltslücken neue Schulden in Milliardenhöhe zu machen. Zusätzlich wurde mit den Erwartungen, Berlin werde sich in wenigen Jahren zur Boomtown entwickeln, Geld in den Wohnungsbau gepumpt und die hochriskanten Immobiliengeschäfte der Bankgesellschaft geduldet. Doch die Prognosen der Stadtplaner, bis zum Jahr 2010 würden sechs Millionen Menschen in Berlin wohnen, erfüllten sich nicht. Heute bürgt die Stadt für die Bank in Höhe von 21,6 Milliarden Euro und die Wohnungsbaugesellschaften stehen mit 10 Milliarden Euro in der Kreide. Gleiches Bild bei den Unternehmen, an denen Berlin beteiligt ist, egal ob Wasser- oder Verkehrsbetriebe, Krankenhausgesellschaft oder Stadtreinigung: Hohe Schulden, die Stadt schießt zu oder bürgt.
Der Bund wird kaum umhinkommen, Beihilfen zu zahlen; und zwar lieber früher als später, wahrscheinlich aber erst nach 2006, denn so lange rechnen Experten mindestens, bis Karlsruhe ein Urteil fällt. Dann sind die Berliner Schulden schon fast an der 60-Milliarden-Marke angelangt, und der Berliner könnte allein von den Zinsen längst täglich bei Konopke Currywurst essen gehen.
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