Alles andere als gerührter Fraß

Koch oder Gärtner Wenn es nicht Disney gäbe, wäre der provenzalische Gemüseeintopf vergessen: Dabei steht das ultimative Rezept für die Ratatouille noch gar nicht fest

Ich habe den starken Verdacht, ist heutzutage von Ratatouille die Rede, denken die meisten Leute an eine kleine Zeichentrickratte in einem Disney-Film. Dabei war dieser provenzalische Gemüseeintopf einmal sehr modern. In den achtziger Jahren fehlte er auf kaum einer Speisekarte, nur Tiramisu war noch angesagter. Schade, denn es ist ein wunderbares Hauptgericht. Und es lohnt sich, Ratatouille gleich in Mengen herzustellen.

Viele Menschen denken, die Ratatouille sei ein Klassiker der französischen Küche. Das ist ein Irrtum. Viele Jahre lang war der frugale Eintopf das Alltagsessen der Bauern in der Provence und kaum einem Kochbuch die Rede wert. Das erste schriftliche Rezept datiert auf die Zeit um 1930 und erst in den Jahrzehnten danach begann der Siegeszug durch die französische und internationale Küche, der seinen Höhepunkt mit der „nouvelle cuisine“ erreichte, die die Sterneküche für das Leichte und Mediterrane geöffnet hat. Weil Ratatouille so gesehen ein relativ junges Gericht ist, existiert auch eine Vielzahl von Zubereitungsarten. Und viele Köche machen sich Mühe, die Ratatouille immer wieder neu zu erfinden, auch wenn ihre Rezepturen mit der ursprüng­lichen Bedeutung des Wortes nichts mehr zu tun haben (Rata bedeutet umgangssprachlich Fraß, touiller Rühren).

An ­Honig erinnernde, süße Röst­aromen

Zuallererst sei gesagt: Ratatouille ist kein Gericht für die schnelle Küche. Eine Stunde sollten Sie sich mindestens Zeit nehmen, und noch einmal dieselbe Zeit für das Kochen berechnen. Denn man kann sich auch in der häuslichen Küche mit diesem Gericht lange beschäftigen und einiges herauskitzeln. Die Grundzutaten sind Zwiebeln, Zucchini, Auberginen, Tomaten und Paprika. Alles muss geschnitten werden, bei Tomaten und Paprika sollten Sie überlegen, die Haut abzuziehen, das macht das Gericht noch feiner. Schließlich ist auch die Aubergine ein Gemüse, das Aufmerksamkeit verlangt. Dem Gericht bekommt es, wenn die Kürbisfrucht gesalzen und entwässert wird, damit sie sich später nicht wie ein Schwamm mit Öl vollpumpt.

Eine der aufwändigsten Zubereitungen habe ich vor ein paar Jahren ausprobiert: Ich habe das Gemüse sehr klein gewürfelt, jede Zutat extra angebraten, die Zwiebeln und Tomaten etwas länger und weicher, Zucchini und Paprika etwas knackiger. Gerührt wurde der „Fraß“ am Ende auch nicht, sondern alles nur vorsichtig untergehoben. Es war eher ein Gemüse-Tartar à la Ratatouille, wenn Sie so wollen, machte sich aber sehr edel auf dem Teller, und war raffiniert, weil man die einzelnen Bestandteile noch schmeckte. Ich habe es trotzdem nie mehr wiederholt: Zwei Stunden Zubereitung samt einer ganzen Menge Abwasch (mehrere Schüsseln und Pfannen) sprachen eindeutig gegen die Alltagstauglichkeit dieses Gerichts.

Je länger, desto besser

Zucchini und Auberginen ­brate ich immer noch einzeln an, oft verwende ich dafür sogar die Grillpfanne. Die ­Zucchini ent­wickelt dann an ­Honig erinnernde, süße Röst­aromen, die Aubergine dagegen bekommt eine kehlige, rauchige Note. Das sind wunderbare ­Gegensätze. Herbes de Provence braucht man für diese Variante kaum noch, ich verwende die Kräuter­mischung höchst sparsam und nur, um den Herkunftsstempel nicht zu vergessen.

Es zahlt sich wie gesagt aus, viel Gemüse zu verkochen. Egal, wie sie die Ratatouille zubereiten, sie wird – wie sich für Eintöpfe gehört– von Tag zu Tag besser und lässt sich mit ein paar Spritzern Essig oder Zitrone, eingeweichten Rosinen und gerösteten Pinienkernen zu einer Variante der Caponata verarbeiten, einer sizilianischen süß-sauren Vorspeise. Die schmeckt so gut, ich bin sicher, das Rezept dafür muss schon vor 1930 in einem Kochbuch gestanden haben.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden