Am Tisch wird heute zu wenig Show geboten

Der Koch Unser Kolumnist ärgert sich darüber, dass Essen in Restaurants nicht mehr live zubereitet wird
Ausgabe 50/2018
In Neapel sieht man sie noch ab und zu, die Performance der Teig-DJs
In Neapel sieht man sie noch ab und zu, die Performance der Teig-DJs

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Nachdem wir bestellt und unsere Getränke bekommen hatten, brachte die asiatische Kellnerin einen Gaskocher, zündete die Flamme an und setzte eine Grillplatte darauf. Wir waren gespannt.

Ich mag es, wenn vor Gästen gekocht wird. Als Kind konnte ich Stunden vor den Pizzaioli stehen, die den Pizzateig zwischen den Händen kreisen ließen, bis er hauchdünn war. Dann klatschten sie eine Kelle Tomatensoße darauf, verteilten den Mozzarella und griffen zur Brotschaufel. Man konnte zusehen, wie die Pizzen im Ofen in Sekunden aufgingen, die Ränder kross wurden und der Käse darauf anfing, Blasen zu schlagen. Es war so faszinierend, ich vergaß, dass eine der Pizzen ja für mich bestimmt war. Ich bat, sie im Stehen vor dem Pizzabäcker essen zu dürfen, nur um weiter zusehen zu können. Auch meine Brüder hatte die Lust gepackt.

Ich bin sicher, unsere Eltern gingen irgendwann absichtlich in Restaurants, die die Kunst des Pizzamachens derart zelebrierten. Die Quengelbande war abgelenkt, gab für mindestens eine Stunde Ruhe. Und ich, damals höchstens vier, von geschichtlichem Wissen unbeleckt, dachte das erste Mal: Was für ein Schicksal, Deutscher zu sein. Als Italiener, also gesetzmäßig zukünftiger Pizzabäcker, da wäre ich doch wirklich an den Fleischtöpfen des Lebens geboren.

Es waren die späten Siebziger. In München, wo ich aufwuchs, gab es viele Pizzerien, in denen der Teig durch die Luft flog. Warum man das heute kaum mehr sieht, ist mir ein Rätsel. Aber auch sonst wurde in den Restaurants mehr am Tisch angerichtet. Die Kellner flambierten. Schweinefilets wurden mit Calvados übergossen und angezündet, Crêpes Suzette mit Cointreau. Die Ober schlugen Eigelb, Zucker und Marsala zu cremiger Zabaglione. Sie filetierten Wolfsbarsch wie Dorade. Und sie klopften mit Goldschmiedehämmerchen auf dem Salzteig herum, der den Fisch Ende der Neunziger immer umgab.

Manchmal durfte man auch selbst mitmachen: Spaghetti Vongole fand man damals viel öfter auf Speisekarten. Eine leere Miesmuschel diente als Zange, um das Fleisch aus den anderen Schalen zu befreien. Heute wird nicht mehr flambiert oder filetiert. Es gibt höchstens mal etwas Brühe, die vor den Augen des Gasts in die Suppenschüssel gegossen wird und dann irgendeine Einlage umfließt.

Zurück zum Gaskocher auf unserem Tisch. Wir waren beim Korean BBQ, ein Restaurantstil, der sich in letzter Zeit in vielen Großstädten verbreitet. Mariniertes geschnetzeltes Fleisch und Gemüse werden dabei auf einer Grillplatte zubereitet, dazu gibt es Reis, Kimchi und anderes fermentiertes Gemüse. All das hatte in mir kindliche Vorfreude ausgelöst.

Doch es entwickelte sich ein echter Koch-und-Kellner-Konflikt. Die Grillplatte war noch nicht richtig heiß, als die Bedienung mit den Zutaten für unser Bulgogi kam. Unsere Bestellung hatte sie wortlos entgegengenommen. Ich bat um eine Minute Warten. Keine Reaktion. Sie warf einen Berg von Fleisch auf eine dafür viel zu kleine Pfanne und ging. Ich stellte die Flamme hoch. Über zwei Tische hinweg bekam ich den Zuruf „Vorsicht, heiß“. Alle weiteren Versuche, noch zu retten, was zu retten war, lösten inzwischen auch bei ihren Kollegen stets den gleichen Satz aus: „Vorsicht, heiß!“ – „Rühr das nicht an.“ Bald stand die Kellnerin fest an meiner Seite und das Fleisch im eigenen Saft. Das Bulgogi war trocken und verdorben. Trotzdem werde ich weiter Essen am Tisch kochen. An Silvester gibt es mal wieder Fondue.

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Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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