Bio-Krieg im Küchenregal

Der Koch Es ist Kohl-Saison. Nicht nur deshalb sollte man unbedingt selbst Sauerkraut produzieren
Ausgabe 05/2014
Bio-Krieg im Küchenregal

Illustration: Otto

Es bizzelt, zischt und brodelt unter dem Deckel. Seit einigen Tagen steht auf dem Küchenregal ein Marmeladenglas, halb zugedreht. Und darin lebt es. Ich kann noch immer nicht glauben, dass es ein halber Wirsing sein soll, der darin eng zusammengepresst langsam die Farbe verliert. Dabei war ich es selbst, der mit viel „Uumpfs und Ochs“ die in feine Streifen geschnittenen Kohlblätter hineingedrückt hat. So fest, dass ich schon damit rechnete, das Glas, das einmal feine Himbeer-Konfitüre enthalten hat, könnte unter dem Druck bersten.

Oh nein, wächst sich die Vorliebe des Kochs für Kohl jetzt noch zur Obsession aus? Regelmäßige Leser dieser Zeilen liegen richtig. Es gibt zwei Zeiten in meinem kulinarischen Kalender, in denen ich mich und mein Umfeld äußerst einseitig ernähre. Im Sommer einige Wochen mit Tomaten, und jetzt im Winter mit Kohl. Und da bleibt es einfach nicht aus, dass ich auch Sauerkraut selbst herstellen muss.

Es ist einfach zu interessant, was sich im Inneren meines kleinen Gärbehälters abspielt. Man könnte es auch als Biologie-Baukasten bezeichnen, und ich lege allen Eltern ans Herz, so Leben ins Marmeladeglas zu bringen und ihre Kinder dafür zu begeistern. Denn das Experiment belegt: Für die richtigen Gimmicks im Leben braucht es kein Yps-Heft vom Kiosk. Und die kleinen Lebewesen in meinem Kraut sind auch viel sympathischer als jeder Urzeitkrebs.

Mikroorganismen als Küchenhelfer

Diese Wesen heißen Laktobazillen und sind sofort zur Stelle, wenn es Arbeit gibt. Sie hören nicht auf, bis alles erledigt ist. So stelle ich mir perfekte Küchenjungs vor. Oder um beim Biologie-Baukasten zu bleiben: Es handelt sich um Bakterien, die überall vorkommen, auf meinen Händen sitzen oder auf dem Gemüse, da kann man waschen so viel man will. Sie sind die Hauptvertreter in der Darmflora des Menschen, und auch dort sehr nützlich.

In meinem Kraut sind sie für die Milchsäuregärung zuständig. Man muss ihnen dafür nur eine Umgebung schaffen, die frei von Sauerstoff ist. Anaerob heißt der Fachbegriff. Salzen und kneten, bis der Kohl den Widerstand aufgibt und seine Säfte frei werden, heißt dafür die Methode beim Sauerkraut. Das muss man dann nur noch eng ins Glas stopfen.

Die Mikroorganismen machen sich sofort über den Zucker her, der aus dem Gemüse gequollen ist. Sie scheiden dabei Milchsäure aus, der PH-Wert im Glas steigt und es wird damit immer unwirtlicher für Schimmel- und Hefe-Pilze und was sonst noch so an Fäulnisbakterien rumschwimmt. Es geht jetzt nur noch um Fressen oder Gefressenwerden. Es ist Bio-Krieg, der in meinem Küchenregal entbrennt, und wenn es im Glas blubbert und bizzelt, dann ist er auf dem Höhepunkt. Und ich frage mich, so auf Nahdistanz gesehen, ob man das Sauerkraut am Ende überhaupt Veganern oder Vegetariern servieren darf, bei all den Mikroben.

Ich selbst bin aber keiner, deswegen muss sich jemand anderes um eine Antwort kümmern. Ich lasse die Bakterien 14 Tage ihre Arbeit verrichten, dann hat sich das Leben im Glas beruhigt und der Kohl ist durchgesäuert. Schon roh davon zu probieren, ist ein Genuss. Das Kraut hat einen viel tieferen Geschmack als das gekaufte aus Dose, mit herben Noten manchmal, und immer anders als das Kraut meiner vorherigen Produktion. Über seine Bestimmung habe ich schon entschieden: Es kommt in ein Szegediner Gulasch. Und bevor es Frühling wird, will ich auch noch Borschtsch machen und Krautschnecken im Nudelteig, vielleicht einen Auflauf und sicher Sauerkrautsuppe.

Schon klar: Nur ein Marmeladenglas reicht nicht aus. Ich werde den Bio-Krieg ausweiten müssen.



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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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