Cooktainern ist das neue Containern

Der Koch Essensretter-Lokale arbeiten nur mit Zutaten, die als Ausschuss gelten, weil das Haltbarkeitsdatum überschritten ist. Unser Koch hat Vorbehalte
Ausgabe 25/2016
Eat the rest
Eat the rest

Foto: Becker&Bredel/Imago

Es gibt wieder ein kulinarisches Abenteuer. Die Erlebnisrestaurants von heute nennen sich Essensretter-Lokale. In Kopenhagen, Amsterdam und London findet man sie schon, nun auch in der deutschen Hauptstadt. Restlos glücklich heißt das Restaurant, es hat schon vor seiner Eröffnung im Juni große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Konzept der Küche: Sie arbeitet nur mit Zutaten, die als Ausschuss gelten, weil das Haltbarkeitsdatum überschritten ist, das Gemüse nicht mehr ganz frisch aussieht oder das Brot nicht mehr knackig ist.

Ein Ziel hat das Projekt schon erreicht. Mal wieder darauf hinzuweisen, wie viel Essen in der Tonne landet. Es sind unfassbare Mengen, allein in Deutschland nach einer Studie des WWF jährlich 18 Millionen Tonnen. Dass junge Leute in der Nacht den Müll im Hinterhof der Supermärkte fleddern, reicht eben nicht, um dem Missstand abzuhelfen. Nach Containern ist nun Cooktainern angesagt.

Aber will ich deswegen in einem solchen Lokal essen? Ich habe Vorbehalte. Denn die Idee suggeriert, dass auch in Restaurantküchen verschwenderisch mit Lebensmitteln umgegangen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das weiß man schon, wenn man ein paar Folgen Restauranttester-TV gesehen hat. Professionelle Köche kalkulieren genau, jeder Teller muss Geld verdienen, für Miete, Lohn und Strom. Das Geld sitzt schließlich dem deutschen Restaurantgast alles andere als locker. Das Rechnen, besser das Sparen, lernen viele Köche deshalb noch vor dem Kochen. Es heißt vor allem, bloß nichts wegwerfen. Was man als Koch lernt: Aus hässlichem Gemüse und Fleischabschnitten Brühe zu ziehen, die als Saucenbasis dient, trockenes Brot zu Semmelbröseln zu verarbeiten und, und, und. Wenn man gar keine Idee hat, dann gibt es das Essen vom Vortag heute eben für die Belegschaft.

Viele mögen den Besuch im Essensretter-Lokal für einen politischen Akt halten. Aber das kann nur jemand, ich muss das mal so offen sagen, der gar nichts vom Kochen versteht. Denn wer schon ein paar Mal am Herd stand, hat ein paar Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass Reste die besten Zutaten sind. Der Eintopf, das Gulasch, die Bolognese vom Vortag werden aufgewärmt noch ein bisschen besser. Spätzle oder Knödel, in Butter ausgeschmolzen – will man die danach noch frisch aus dem Kochtopf essen? Ich freue mich eigentlich immer, wenn etwas übrig bleibt. Und ich bekomme auch keinen Schock, wenn ich im Schrank noch ein Netz mit Kartoffeln finde, die schon Sprossen zeigen. Daraus lässt sich mindestens noch eine Kartoffelsuppe machen.

Ich bin der Meinung, wer sich ernsthaft mit Kochen beschäftigt, hat eine andere Haltung zur Haltbarkeit von Produkten entwickelt. Der praktiziert Essensrettung beinahe täglich zu Hause und muss dafür nicht ins Restaurant gehen. Bitte enttäuschen Sie mich nicht: Wenn sich an einem an Abend für das Wiener Schnitzel nur noch Mehl in einer Packung findet, die schon vor vier Jahren abgelaufen ist, dann denke doch nicht nur ich allein, ach, scheiß aufs Datum.

Gar keine Selbstkritik? O doch. Denn natürlich werfe ich weg, manchmal zu viel und mit Reue. Wer begeistert kocht, kauft gern über den Hunger ein. Ich versuche Großbevorratungen inzwischen zu vermeiden. Denn über immer neue Ideen habe ich am Dienstag längst vergessen, was ich am Freitag dachte, dann kochen zu können. Kleiner und dafür öfter einzukaufen hilft Lebensmittelmüll zu sparen.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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