Das Ende der Volksparteien

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Vier Wahlen, Zahlen, Zahlen, Zahlen: Seit 18 Uhr verfolge ich Hochrechnungen und Prognosen, doch noch mag sich kaum etwas aus diesem Wahltag herausschälen. Nur in Sachsen wird es wohl auf Schwarz-gelb hinauslaufen, sonst aber ist alles möglich. "Wir werden miteinander reden", ist der meist ausgesprochene Satz an diesem Abend.

Etwa eineinhalb Jahre nach dem Einzug der Linkspartei in den hessischen Landtag stellt sich heraus: Was sich damals abbildete - die Veränderung dieser Demokratie zu einem 5-Parteien-System - ist in vollem Gange. Anfang 2008 mochten sich das noch nicht so viele vorstellen, der FDP ging es noch gar nicht so glänzend wie heute. Jetzt aber zeichnet sich ab, über 40 Prozent werden Parteien nur noch in Bundesländern bekommen, wo sie vor nicht allzu langer Zeit allein regierten: Bayern, BaWü und Sachsen. Sonst aber ist ein Ergebnis 30 plus x der Gipfel der Gefühle. Die Zeit der Groß- und Volksparteien in diesem Lande ist vorbei. Die Zeit, dass man eine Große Koalition so noch nennen sollte, ist es auch.

Was heißt das? Vielleicht müssen wir uns mit der "Zersplitterung der Parteienlandschaft" schon allzu bald an Dreier-Koalitionen im Bund gewöhnen: Ach was, wir sind doch schon dabei, denn in Wahrheit besteht doch schon der Bundestag aus sechs Fraktionen, und die CSU hat sich in den letzten Wochen reichlich Mühe gemacht, zu zeigen, dass die Große Koalition eigentlich Schwarz-Schwarz-Rot heißen sollte.

Trotz der Roten-Socken-Kampagne, die Pofalla und Niebel gerade in der Elefantenrunde versuchten anzuzetteln: Die Politik hat sich mit der Perspektive, Dreier-Bündnisse bilden zu müssen, schon besser angefreundet, als das Wahlvolk. Zu echten Lagerwahlkämpfen ist sie schon gar nicht mehr in der Lage. Doch aus gutem Grund macht sie für Dreier-Bündnisse keine Koalitionsaussagen: Rot-Rot-Grün, Schwarz-Gelb-Grün, wie solche Koalitionen konkret aussehen könnten, dafür hat der gemeine Wähler nur ein diffuses Bild. Eine Kanzlerin Merkel, ein Außenminister Westerwelle und einen Umweltminister Trittin, wie soll sowas funktionieren?, frage ich mich. Oder ein Kanzler Steinmeier, ein Finanzminister Lafontaine und ein Außenminister Trittin? Vorstellbar?

1989 durfte ich als Abiturient einmal mit Willy Brandt zusammenzutreffen - Sie wissen schon, das war der, der einmal mit "Mehr Demokratie wagen" zum Kanzler wurde. ich fragte ihn, ob es nicht einmal an der Zeit sei, dass in Deutschland auch Minderheitsregierungen regierten. Ich fing mir eine Suada ein, dass in der deutschen Kanzlerdemokratie solche Verhältnisse nie eintreten werden. Ein paar Jahre später gab es eine Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt. Brandt hätte sicher auch nie daran denken wollen, dass es Zwei-plus-X-Koalitionen in der Bundesrepublik geben werde. Die Verhandlungen darüber werden wir bald auf Landesebene erleben. Und bald sicher auch in Berlin.

P.S. Eine tiefer gehende Analyse von Georg Fülberth zum Wahlabend steht hier. Später folgt die Polizeiruf-Kritik. Stay tuned.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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