Das erste Mal in Irland

Gemüse Neutral, leicht süß, etwas bitter. Zucchini ist kein Allerweltsgemüse, sondern eine Allround-Zutat. Und darauf muss man ausgerechnet in Irland kommen

Jeder von uns hat ein unvergessliches erstes Mal mit einem bestimmten Geschmack. Also, das hoffe ich wenigstens. Erzählungen vom ersten Schluck Cap­puccino gleich hinter der italienischen Grenze im Autogrill sind Klassiker. Oder der Ausflug aufs Erdbeerfeld. Stimmt doch, danach haben die Früchte nie süßer und saftiger geschmeckt.

Mein erstes Mal mit einer Zucchini fand – und das ist diese kleine Erzählung vielleicht wert – auf einem Zeltplatz in Irland statt, mit Blick auf den aufgewühlten Atlantik. Es regnete seit Tagen, diese Zucchini lag einsam zwischen Zwiebeln, Kartoffeln und Kohl in dem Korb, aus dem der Campingwart selbstgezogenes Gemüse verkaufte. Von Irish Stew hatte ich genug und musste irgendwo dieses einfache Rezept aufgeschnappt haben, das sich auch mit einem einfachen Spiritus-Kocher perfekt zubereiten lässt. Auch wenn man Geduld haben muss; mit einem kleinen Schweizermesser dauert es etwas, aus so einem astdicken Gewächs feine Schnitzel zu schneiden. Das Ergebnis – Spaghetti mit in Knoblauch gebratenen, leicht knusprigen Zucchini-Streifen – ließ auf meinem Gaumen die Sonne durch den feinen atlantischen Nieselvorhang brechen. Ich machte mich sofort auf die Suche nach weiteren Exemplaren, aber außer dem Mann auf dem Zeltplatz schien niemand in Irland Zucchini zu kennen.

Naja, das ist 20 Jahre her, und hierzulande war man noch überzeugt, diese „Sudschinis“ hätten ihren festen Stammplatz als geschmackloses, weiches Etwas in Gemüsepfannen oder ähnlichem Mischmasch. Leider haben die Deutschen dieses Urteil bis heute nur in Teilen revidiert. Eigentlich schon paradox, dass ich ausgerechnet am anderen Ende von Europa auf den Geschmack dieses südländischen Gemüses kommen musste.

Es ist mir heute nicht mehr ganz so unerklärlich. Zucchini – eine Kürbisart – ist anspruchslos. Die Pflanze wächst auf einem Großstadtbalkon genauso wie in den Voralpen und trägt auch Früchte, wenn sie allein steht. In Italien sieht man sie oft auf Komposthaufen, dann wuchern die Pflanzen richtig.

Man ist leicht versucht, dieses Gemüse für geschmacklos zu halten. Aber das ist falsch. Zucchini ist leicht bitter und hat eine ganz eigene Süße. Gegrillt oder gebraten wird das sehr ausgeprägt. Ein Salat aus gegrillten Zuchini-Streifen etwa – mit ein paar Spritzern Limonensaft, Basilikum oder Thymian und Olivenöl – ist ein deftig und doch leicht schmeckendes Sommergericht. Was ich so mag: Die Zucchini wirkt wie ein Schwamm auf die verschiedenen Aromen in einem Gericht, sie mildert Schärfen, hebt die leichten Aromen. Das muss, bilde ich mir ein, genau an dieser leichten Süße liegen.

Es ist ein Gemüse, das einen idealen Geschmackträger hergibt. Man sollte das nicht unterschätzen. Auch eine Zutat wie Tofu in der asiatischen Küche hat nur leichten Eigengeschmack, ist aber von zentraler Bedeutung. Knoblauch, Minze und sogar der aufdringliche Liebstöckel bekommen mit Zucchini einen feineren Abgang. Im Salat ist sie mir deshalb viel lieber als eine Gurke. Die verwässert nur alles. Mit einer Zucchini bekommt man dagegen sogar mehr oder weniger Biss in ein Gericht, sie lässt sich ohne Mühe fein schneiden, aber auch kross ausbacken.

Ich habe neulich von einer Studie gelesen, die fragte, wie Mütter in Frankreich und Deutschland ihre Babys im ersten Lebensjahr außer dem Stillen noch ernähren. Das Ergebnis: ­Babys bekommen hierzulande meist nur Möhren und Kartoffeln zugefüttert. In Frankreich gibt es schon Spinat, Artischocken, Erbsen, Brokkoli – und ­Zucchini. Glauben Sie mir: Junge Franzosen mussten nie weit ­fahren, um auf den Geschmack zu kommen.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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