Das Grüne vom Ei

Der Koch Ob hessische oder amerikanische Küche: Aus den Überresten von Ostern lassen sich manche Delikatessen zaubern
Ausgabe 13/2016

Keine Nummer, rein gar nichts. Ostern, so kam es einem zuletzt beim Supermarktbesuch vor, ist für Legehennenbesitzer das Abwurfdatum für alles Überzählige. Ist das Ei erst einmal richtig gekocht und ins Farbbad getaucht, dürfen sie sich den Stempel mit der Herkunftsbezeichnung schenken. Aber ganz egal, wo diese Exemplare herstammen und wie rot die Schale glänzt: Trocken wie sie sind und mit dem grauen Pelz um den Eidotter herum – schon das allein schreit nach der Bezeichnung Käfig-Ei.

Dennoch: Für mich sind Eier ein fester Bestandteil an den Ostertagen und noch mehr in den Wochen darauf, wenn das erste junge Gemüse in die Läden kommt. Es gibt nichts Besseres, als das Frühjahr mit Eiern in grüner Sauce zu begrüßen. Eigentlich kommen sie kleingehackt in diese hessische Spezialität aus Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Ich gebe gern noch Dill hinzu, aber immer mit Vorsicht: Sitzen Menschen aus der Heimat der grünen Sauce mit am Tisch, sollte man sie das bloß nicht wissen lassen. Für viele Hessen ist Dill ein Frevel.

Ich habe mir diesbezüglich schon ausufernde Vorträge anhören müssen. Und bin mit Erklärungsversuchen, es handele sich eben um eine eher unhessische grüne Sauce, regelmäßig gescheitert. Schließlich hat man ja auch noch nie von einer unbayrischen Weißwurst gehört. Da ist was dran. Dass die Eier aber gesondert auf dem Tisch stehen, und zwar mit wachsweichem Dotter, dagegen fanden die Dogmatiker selten gute Argumente, vor allem nach den ersten Bissen.

Wachsweich. Eine schöne Bezeichnung, die überhaupt nur noch in Zusammenhang mit dem Hühnerprodukt existiert. Aber da wir schon bei Dogmen angelangt sind: Aus meiner Sicht ist das der höchste noch zu vertretende Härtegrad. Ich finde, Eier sind weicher und flüssiger noch viel delikater. Bleibt der Dotter cremig, kommt er mir süßer und komplexer vor. Es ist deshalb jede Mühe wert, Eier zu pochieren. Richtig gelingen wollte mir das zwar lange nicht, aber aufgeben kam nie in Frage.

Nach der klassischen Methode lässt man dafür Wasser aufkochen, nimmt den Topf dann vom Herd, gießt einen guten Schuss Essig hinzu und rührt im Topf, bis sich ein Wirbel gebildet hat. Dann lässt man vorsichtig ein rohes Ei aus einer Tasse ins Wasser gleiten. Der Theorie nach soll das gerinnende Eiweiß sich nun so um das Eigelb legen, dass man nach etwa vier Minuten vorsichtig ein wolkenförmiges Kissen aus dem Wasser fischen kann. In meinem Topf blieb dieses Verfahren lange Theorie, obwohl ich jeden Schritt peinlichst genau beachtete. Das Eiweiß machte sich in großen Fetzen selbstständig, eigentlich auch kein Wunder, bei den Fliehkräften in dem strudelnden Wasser. Nach langen Versuchsreihen fand ich schließlich heraus, Essig und Rührkünste sind überbewertet.

Es kommt vor allem auf das Alter der Eier an. Frische ist dabei alles. Es ist jedes Mal ein Erlebnis, wenn sämiges Eigelb in die grüne Sauce rinnt. Oder über grünen Spargel. Oder wenn das pochierte Ei einfach mit einem Klacks Hollandaise auf einer Scheibe Toast sitzt. Eggs Benedict heißt dieses Gericht, das aus den USA stammt. Aber was heißt einfach? Wer schon mal Eigelb mit Butter zu einer Hollandaise im Wasserbad aufgeschlagen hat, weiß: Das ist eine kleine Kunst. Gleich zweimal Ei. Wer diesen Toast erfunden hat, muss viel zu viel Legehennenprodukte gehabt haben. Aber er hat Großes daraus gemacht.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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