Eine Reihe von Leuten haben auf www.internet-manifest.de heute folgenden Text veröffentlicht. Lohnt sich, das zu zitieren. Und: Das Manifest kann mitunterzeichnet werden. Schöne Grüße, JK
NEU: Eine Replik drauf findet sich hier: the-gay-bar.com/index.php?/archives/329-Internet-Manifest/
1. Das Internet ist anders.
Es schafft andere Öffentlichkeiten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. Die Medien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität anpassen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln - das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein.
2. Das Internet ist ein Medienimperium in der Jackentasche.
Das Web ordnet das bestehende Mediensystem neu: Es überwindet dessen bisherige Begrenzungen und Oligopole. Veröffentlichung und Verbreitung medialer Inhalte sind nicht mehr mit hohen Investitionen verbunden. Das Selbstverständnis des Journalismus wird seiner Schlüssellochfunktion beraubt - zum Glück. Es bleibt nur die journalistische Qualität, die Journalismus von bloßer Veröffentlichung unterscheidet.
3. Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet.
Für die Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt gehören Angebote wie Social Networks, Wikipedia oder Youtube zum Alltag. Sie sind so selbstverständlich wie Telefon oder Fernsehen. Wenn Medienhäuser weiter existieren wollen, müssen sie die Lebenswelt der Nutzer verstehen und sich ihrer Kommunikationsformen annehmen. Dazu gehören die sozialen Grundfunktionen der Kommunikation: Zuhören und Reagieren, auch bekannt als Dialog.
4. Die Freiheit des Internet ist unantastbar.
Die offene Architektur des Internet bildet das informationstechnische Grundgesetz einer digital kommunizierenden Gesellschaft und damit des Journalismus. Sie darf nicht zum Schutz der wirtschaftlichen oder politischen Einzelinteressen verändert werden, die sich oft hinter vermeintlichen Allgemeininteressen verbergen. Internet-Zugangssperren gleich welcher Form gefährden den freien Austausch von Informationen und beschädigen das grundlegende Recht auf selbstbestimmte Informiertheit.
5. Das Internet ist der Sieg der Information.
Bisher ordneten, erzwungen durch die unzulängliche Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffentliche Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun richtet sich jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter ein, während Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekanntem Umfang erschließen. Der einzelne Mensch kann sich so gut informieren wie nie zuvor.
6. Das Internet verändert verbessert den Journalismus.
Durch das Internet kann der Journalismus seine gesellschaftsbildenden Aufgaben auf neue Weise wahrnehmen. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich ständig verändernder fortlaufender Prozess; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in dieser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue journalistische Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.
7. Das Netz verlangt Vernetzung.
Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.
8. Links lohnen, Zitate zieren.
Suchmaschinen und Aggregatoren fördern den Qualitätsjournalismus: Sie erhöhen langfristig die Auffindbarkeit von herausragenden Inhalten und sind so integraler Teil der neuen, vernetzten Öffentlichkeit. Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermöglichen überhaupt erst die Kultur des vernetzten Gesellschaftsdiskurses und sind unbedingt schützenswert.
9. Das Internet ist der neue Ort für den politischen Diskurs.
Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Die Überführung der politischen Diskussion von den traditionellen Medien ins Internet und die Erweiterung dieser Diskussion um die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ist eine neue Aufgabe des Journalismus.
10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.
Artikel 5 des Grundgesetzes konstituiert kein Schutzrecht für Berufsstände oder technisch tradierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die technologischen Grenzen zwischen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Qualitativ zu unterscheiden ist nicht zwischen bezahltem und unbezahltem, sondern zwischen gutem und schlechtem Journalismus.
11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information.
Es waren einst Institutionen wie die Kirche, die der Macht den Vorrang vor individueller Informiertheit gaben und bei der Erfindung des Buchdrucks vor einer Flut unüberprüfter Information warnten. Auf der anderen Seite standen Pamphletisten, Enzyklopädisten und Journalisten, die bewiesen, dass mehr Informationen zu mehr Freiheit führen - sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
12. Tradition ist kein Geschäftsmodell.
Mit journalistischen Inhalten lässt sich im Internet Geld verdienen. Dafür gibt es bereits heute viele Beispiele. Das wettbewerbsintensive Internet erfordert aber die Anpassung der Geschäftsmodelle an die Strukturen des Netzes. Niemand sollte versuchen, sich dieser notwendigen Anpassung durch eine Politik des Bestandsschutzes zu entziehen. Journalismus braucht einen offenen Wettstreit um die besten Lösungen der Refinanzierung im Netz und den Mut, in ihre vielfältige Umsetzung zu investieren
13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.
Das Urheberrecht ist ein zentraler Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet.
14. Das Internet kennt viele Währungen.
Werbefinanzierte journalistische Online-Angebote tauschen Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbebotschaften. Die Zeit eines Lesers, Zuschauers oder Zuhörers hat einen Wert. Dieser Zusammenhang gehört seit jeher zu den grundlegenden Finanzierungsprinzipien für Journalismus. Andere journalistisch vertretbare Formen der Refinanzierung wollen entdeckt und erprobt werden.
15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.
Das Internet hebt den Journalismus auf eine qualitativ neue Ebene. Online müssen Texte, Töne und Bilder nicht mehr flüchtig sein. Sie bleiben abrufbar und werden so zu einem Archiv der Zeitgeschichte. Journalismus muss die Entwicklungen der Information, ihrer Interpretation und den Irrtum mitberücksichtigen, also Fehler zugeben und transparent korrigieren.
16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.
Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.
17. Alle für alle.
Das Web stellt eine den Massenmedien des 20. Jahrhunderts überlegene Infrastruktur für den gesellschaftlichen Austausch dar: Die “Generation Wikipedia” weiß im Zweifel die Glaubwürdigkeit einer Quelle abzuschätzen, Nachrichten bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen und zu recherchieren, zu überprüfen und zu gewichten – für sich oder in der Gruppe. Journalisten mit Standesdünkel und ohne den Willen, diese Fähigkeiten zu respektieren, werden von diesen Nutzern nicht ernst genommen. Zu Recht. Das Internet macht es möglich, direkt mit den Menschen zu kommunizieren, die man einst Leser, Zuhörer oder Zuschauer nannte - und ihr Wissen zu nutzen. Nicht der besserwissende, sondern der kommunizierende und hinterfragende Journalist ist gefragt.
Internet, 07.09.2009
Kommentare 18
siehe auch meine kommentierung per twitter. hier begibt man sich ohne not auf das niveau der verleger.
warum, wozu, weshalb .. wenn nicht aus populistischen absichten heraus? wirklich aussage steckt da nirgens drin.
punkt 13 muss man so sagen, aber die formulierung ist ohne inhalt.
punkt 16: das internet ist massenware. je mehr genutzt je massiger wird es und qualität ist durchschnitt da der die meiste schnittmenge hat.
so könnt man das teil punkt für punkt auseinander nehmen. und da landen wir bei der gleichen diskussion wie vor 5 jahren .. das internet ist nicht besser, es bietet nur mehr (und vor allem jedem) möglichkeiten.
generell versucht man sich hier sehr oft an das grundgesetz anzulehnen .. was dem ganzen etwas zwanghaftes verleiht.
die jungs haben absolut gar nichts gelernt in den letzten jahren. außer, wie sie sich selbst und im einklang mit dem netz, immer wieder aufs neue bekunden dass sie um so viel besser sind als die da draussen.
es widert mich an.
mfgf
mh immer noch, und noch viel mehr
Lieber MH,
ich hätte darauf wetten können, dass so ein Kommentar auf freitag.de zuerst einschlägt, wenn ich so etwas poste. Ehrensache, bei Lobo, Häussler Co. Ich sage: Gegessen, sind eben Lobo, Häussler Co.
Ich habe eben ein schönes Wort für den Sommer 2009 aufgeschnappt, das sich auf den Wahlkampf bezog, aber auch in diesem Zusammenhang scheint es mir treffend: "Annäherungsvermeidungskonflikte".
Aber viel interessanter fände ich, wenn Sie tatsächlich jeden Punkt auseinandernehmen würden, das wäre dann schon mal eine Annäherung. Vielleicht arbeiten Sie ja schon dran.
Grüße, JK
trauste dich etwa nicht selbst dran?
mfg
mh
nachgeschoben:
ich glaube bekanntermaßen nicht an zufälle... von daher mutet es schon eigenartig an, dass zunächst das handelsblatt den umstieg aufs tabloid format verkündet, zeitgleich ein handelsblatt redakteur mit seinem offensichtlichen netzwerk ein nichtssagendes manifest entgegen burda veröffentlicht und schlussendlich ein paar seiten vor der information über das bald neue format, im heutigen handelsblatt erklärt wird, dass verleger mehr mut haben müssen .. und auf schwachem fuße stehend versucht, den bogen zwischen web und print zu schlagen.
ich kann ziesemer dazu auch nur gratulieren. die zeitung hat dann endlich ein format der dem inhalt entspricht.
die haben auch die kraft
www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/das-neue-handelsblatt-auftritt-im-business-format;2454115
weils so schön ist und passend... mehr momentum kann man doch kaum noch erzielen.
das internet das internet, wie kümmern uns nun darum. mit iphone apps und blackberry. selbst einen relaunch schenken wir euch.
im nächsten schritt fehlt nur noch die bekenntnis, zum relaunch, dass das internet-manifest ne ganz tolle sache ist. ziesemer, mit wehenden fahnen den internettern entgegen rauschend .. niemand braucht ausdrucken, wir drucken für euch und der rest, liest einfach da und hier. wir haben verstanden.
was könnts schöneres geben?
verantwortliche werbeagentur: jung von matt
Momentum
Wie lassen sich die aufgeklärten,
verwöhnten und vernetzten Konsumenten
von heute gewinnen? Holger Jung und
Jean-Remy von Matt finden Lösungen, die
sie in ihrem Buch „Momentum – Die Kraft,
die Werbung heute braucht“ darstellen.
Ihre These: Kommunikation braucht eine
besondere Kraft, eine gezielte Wucht:
Momentum.
In deutscher oder englischer Sprache.
lesenswert ist auch, was don alphonso schreibt
blogbar.de/archiv/2009/09/09/die-verhinderten-blog-verbandsfunktionare/
hab den kommentar von MH jetzt noch einmal gelesen, glaube nicht, dass das persönlich gemeint ist (oder sollte ich mich täuschen, MH?). der kommentar wäre wohl auf jeden fall gekommen, unabhängig davon, wer das jetzt gepostet hat. ist zumindest meine lesart.
ich habe absolut gar keine ahnung was jk mir damit sagen wollte. bis heute nicht. das hält mich natürlich nicht vom antworten ab. :P
ansonsten sprach mein gestriger blogbeitrag.
mfg
mh
da hat er aber auch ungewöhnlich lange gebraucht um ne theorie zu basteln.
aber schlecht ist sie nicht. in jedem fall liest sie sich gut
ein verein der mit einem manifest gestartet wurde wäre zumindest mal was neues.
ich finde, für das internet, nur irgendwie keinen grund einen verein zu gründen und ich bezweifel, dass das erfolg hätte. nicht zuletzt, weil die piratenpartei diesen part schon erfolgreich eingenommen hat und verspricht zugleich auch politisch mehr einfluss.
weiter gedacht ist es im internet auch eher so, dass die fleissigen leser eines blogs, zumindest der zustimmende part, als vereinsmitglieder betrachtet werden können. nur ohne direkte struktur und wesentlich flüchtiger. diese klientel ins gegenteilige pressen zu wollen, muss einfach scheitern.
also nein, ich halte die alle für nicht besonders schlauf, aber auch nicht für so dumm.^^
ganz lustig sind die kommentare im guardian zu dem text, den mitunterzeichnerin mercedes bunz wohl geschrieben hat.
www.guardian.co.uk/media/pda/2009/sep/08/internet-manifesto-future-journalism
Zur Klarstellung. Ich hatte MHs Kommentar nicht auf mich bezogen. Sondern auf die Köpfe hinter dem Manifest. Danke Matthias.
aber auch nicht wirklich was anderes als in deutschland.
interessant finde ich, dass ich an mir selbst beobachtet habe, dass die dann durchgeführten übersetzungen bei mir auch das letzte fünkchen an respekt, vor dem grundsätzlichen anliegen, weggeweht hat.
einfach weil dadurch ein anspruch gesetzt wird, den es nicht mal in der eigenen sprache und dem eigenen land erfüllen kann. ihn aber versucht auch noch anderen aufzudrücken. so selbstherrlich und arrogant, übersteigt es selbst mein, nicht gerade kleines, fassungsvermögen an egoausleberei.
diese beobachtung hat etwas.
apropos beobachtungen, die etwas haben: gibt auf freitag.de noch eine lesart des manifests von thomas kuczynski
www.freitag.de/politik/0937-internet-manifest-buchdruck-wissen-demokratisierung
fand ich aber nicht wirklich erhellend.
mfg
mh