Den ersten Schnee erlebe ich immer schon im September. Kennen Sie das, wenn Sie den Tiefkühlschrank aufmachen, eine Schublade knirschend aufziehen, und es rieselt leicht? Im vorigen Jahr schneite es sogar noch früher, weil der Gefrierschrank auf Volllast fuhr, Stichwort „Meal Prepping“. Und weil ich im Kleingarten säte, wie andere Hamsterkäufe machten, als im Frühjahr die Not mit den Erntehelfern groß war. Kiloweise habe ich Spinat, Erbsen und Zwetschgen in dem Gerät, das bei uns T.K. heißt, eingefroren. Aber eine sich immer beweisende Konstante der Tiefkühlung ist: Je mehr Platz man braucht, umso weniger ist da. Übers Jahr wächst T.K. im Inneren ein weißer Pelz, er kriecht in die Fugen und an die Decke und lässt die Schubladen festfrieren. Es ist die Frostbeulenpest.
Abtauen heißt das Mittel dagegen. Und jeden September hätte ich gern eine meteorologische Vorhersage, wann ich mit der kältesten Nacht des Jahres rechnen kann. Dann bringe ich den Inhalt meines Gefrierschranks auf den Balkon, stelle das Gerät aus, lege Lumpen vor die offene Tür und leg mich schlafen. Am nächsten Morgen ist der widerliche Frostschimmel verschwunden und ich kann die Zwetschgen, Erbsen und literweise Brühe wieder verstauen, alles noch gefroren. Meist entdecke ich dabei noch eine vergessene Schüssel mit irgendwas Geschmortem. Sind es die Reste von vorigem Weihnachten oder dem davor?
Am vorigen Wochenende war es wieder so weit. Minus acht Grad am Montagmorgen in Berlin, das reichte für meine Zwecke locker. Diesmal wurde ich mit zwei Päckchen eingefrorenem Stängelkohl, „Cime di Rapa“, belohnt.
Ich muss an dieser Stelle gestehen, ich habe gelogen. Es ist nur eine Kühl-Gefrier-Kombi, die in meiner Küche steht. T.K. sitzt im Unterschrank, immerhin mit einem Volumen von 88 Litern, aber nur im abgetauten Zustand. Ich hätte gern mehr Raum. Wie man überhaupt, je älter man wird, mehr Vorräte um sich hat, etwa um sich nicht wegen eines Esslöffels fehlender Petersilie wieder der brutalen Welt draußen aussetzen zu müssen, noch dazu mit einer Maske.
Ich überlege bereits, wo ich Platz schaffe für eine echte Kühltruhe. Denn Kühltruhen können nicht nur Unmengen an Lebensmitteln beherbergen, sondern fast genauso viel Geschichten. Schon der Klang, wenn die schwere Klappe mit einem fetten Schmatzen ins Schloss fällt ... Eigentlich standen in Kellern oder Garagen all meiner Großeltern, Tanten und Onkel solche Truhen.
Und wer hat als Kind nicht mit dem Gedanken gespielt, damit „Sarg“ zu spielen, oder es sogar getan? Es war eine Mutprobe. Man legte sich auf Tüten mit steinharten Rehkeulen, Stapeln von Pizzen und bettete den Kopf auf ein paar Eimer Eiscreme – Fürst Pückler vielleicht – und musste im Stockfinsteren darauf vertrauen, dass Geschwister die Klappe rechtzeitig anhoben, bevor der Schnupfen kam.
Zudem konservieren diese Truhen oft große Geheimnisse. Eine Freundin erzählte von einem Essen bei ihrer Großmutter auf dem Land, die lange Hühner gehalten hatte. Sie fror ein Hühnerfrikassee auf, und als am Tisch alle das Gericht lobten, sagte die Oma: „Ja klar, ist ja auch von unseren Hühnern.“ Das gab eine kleine Schrecksekunde. Denn es war schon mindestens zehn Jahre her, dass man auf dem Hof noch ein Gackern gehört hatte. Aber die Teller waren leer.
Also: Tüten immer mit Datum beschriften. Das sagte ich mir auch Montagfrüh bei der Inspektion von T.K. Neulich habe ich übrigens Gefrierbeutel mit QR-Code gesehen. Man scannt sie in einer App und kann so den Tiefkühlschrank bis in die letzte Ecke digital inventarisieren. Praktisch, aber wäre es nicht auch das Ende aller feinen Geheimnisse?
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