Der asiatische Milchtee der Freiheit

Myanmar Steckt im Tee der Geschmack von Freiheit? Warum sich politische Bewegungen so häufig um gebrühte Blätter drehen
Ausgabe 10/2021
Die „Milchtee-Proteste“ nutzen das Getränk als Identifikationssymbol, wie hier bei einer Demonstration in Bangkok
Die „Milchtee-Proteste“ nutzen das Getränk als Identifikationssymbol, wie hier bei einer Demonstration in Bangkok

Foto: ZUMA Wire/IMAGO

Milchtee, so verstehe ich das, ist das politische Getränk der Stunde. Denn als Milk Tea Alliance hat sich eben die junge Protestgeneration von Hongkong bis Myanmar und von Taiwan bis Indien zusammengetan. Kaum ein Soli-Tweet zu den Protesten in Yangon oder Mandalay, der nicht mit dem Hashtag #MilkTeaAlliance ausgestattet ist. Politische Bündnisse, die nach einem Essen oder Getränk benannt sind: Da fallen mir einige ein, hierzulande zum Beispiel die „Pizza-Connection“ (schwarz-grüner Gesprächskreis Anfang der 2000er Jahre) oder die „Latte-macchiato-Fraktion“ (netterer Titel für links-grün versiffte Gutmenschen). Interessant ist: Solche Bezeichnungen funktionieren meist nur national oder in anderweitig kulturell eng abgestecktem Raum. Beispiel Spaghettimonster-Kirche. Mit Ausnahme des brandenburgischen Templins ist ihre Missionstätigkeit auf die USA begrenzt geblieben, und die dortige „Tea Party“ hat zwar geschafft, ihre krude Weltanschauung zu exportieren, nicht aber ihren Namen. Er ist zu eng mit der US-Demokratiegeschichte verknüpft. Gäbe es in Deutschland eine Teepartei, würde man höchstens an eine grüne Hundekrawatte denken, dann aber auch an nicht viel mehr. Und nun geht die Parole Milk Tea Alliance panasiatisch viral. Ich finde das außergewöhnlich. Es begann Anfang 2020 in Zusammenhang mit der Demokratiebewegung in Hongkong, als Meme: User aus Thailand, Taiwan, später auch aus Indien und Australien benutzten #MilkTeaAlliance in den sozialen Medien, um ihre Solidarität zu bekunden. Als es im August in Thailand zu Protesten kam, sprang der Hashtag über. Aktuell trendet er in Posts über Proteste in Myanmar, wo es vergangene Woche zu den blutigsten Auseinandersetzungen seit dem Putsch von General Min Aung Hlaing gekommen ist. Innerhalb eines Jahres ist Milchtee in Asien zu einem universellen Symbol des Aufstands gegen Autokratie geworden.

Warum ausgerechnet Tee? Steckt darin der Geschmack von Freiheit, von Anarchie? Es gibt einen interessanten Artikel im US-Magazin The Atlantic über die Ursprünge des Memes. Er trägt den Titel „Wie Milchtee zu einem antichinesischen Symbol wurde“. Danach muss es im Frühjahr 2020 zu einem Cyberwar in den sozialen Netzwerken Asiens gekommen sein. Glühend nationalistische Trolle, viele davon Bots, fluteten die Timelines, um die Hongkonger Bürgerrechtler im Netz mundtot zu machen. Sie enthielten Unterstützung vom ganzen Kontinent. Nachdem irgendjemandem aufgefallen war, dass sich überall, nur nicht in China, eine eigene Art entwickelt hat, Tee mit Milch zu genießen, entwickelte sich der Hashtag #MilkTeaAlliance. In Hongkong genießt man wegen des Erbes als Kronkolonie noch am meisten auf die alte englische Art, in Thailand trinkt man ihn eisgekühlt, Taiwan hat eine poppige Entsprechung mit ploppenden Tapioka-Perlen. Inzwischen hat sich die Allianz über den ganzen Kontinent ausgebreitet, es gibt T-Shirts, Poster – und der Hashtag inspiriert auch immer wieder Künstler. Ich mag die Ironie in dem Symbol: eine alkoholfreies, irgendwie westliches, aber sehr unschuldiges Getränk, das man vorzugsweise mit Strohhalm genießt. Geht es noch unpolitischer? Milk Tea ist wie Mangas gucken oder süßlichen K-Pop hören, so brav, dass man wieder Angst bekommt. Das ist vielleicht das Anarchische daran.

Natürlich musste ich Milk Tea probieren, die taiwanesische Variante, und bestellte in einem Imbiss in Berlin „Panda Milktea“ zum Mitnehmen. Es soll auch in Taipeh sehr beliebt sein.Das politischste Getränk unserer Zeit schmeckt, als bestände es überwiegend aus gesüßter Kondensmilch. Darin schmolz ein kleiner Teddybär aus gefrorenem Blaubeersaft.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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