Wenn man begeisterter Esser ist, kann man einige Geschichten von der Überwindung des Ekels erzählen. Bei mir sind es besonders viele. Ob Insekten oder Innereien, Kriechtiere oder seltsames vergorenes Gemüse, alles habe ich schon in den Mund genommen, wovon andere behaupten, es sei nicht nur essbar, sondern es schmecke auch. Es ist manchmal ein eher wissenschaftliches Interesse. Noch öfter aber ist es die Überzeugung, dass es nicht an der Zutat liegt, dass mir der Appetit wegbleibt, sondern an der Zubereitung. Mit einer Ausnahme: der Karpfen.
Dahinter steht ein traumatisches Erlebnis. Ich erspare Ihnen die grausigen Details der Geschichte, sie handelt von einem Jungen, der eine Angel in einen Dorfteich hängt, der fast am Umkippen ist. An dieser Angel beißt der wahrscheinlich letzte Bewohner des Tümpels, ein alter Karpfen, der wahrscheinlich seinem schleichenden Tod entrinnen will und auch wenige Stunden später tatsächlich das Zeitliche segnet, wobei ein über den Kiemen aufgesetztes Luftgewehr eine ungute Rolle spielt. Der Fisch wird sodann zappelnd – die Leichenstarre hat längst nicht eingesetzt – von laienhaften Händen irgendwie ausgenommen und noch am gleichen Abend als Karpfen blau, also im Wurzelsud gegart, serviert. Ich war nicht dieser Petrijunge, sondern nur ein Mitesser am Familientisch. Dort war der erste Bissen wie ein Schluck aus dem alten Tümpel – genau ein Schluck zu viel. Er hat mir lange Zeit Fisch verdorben und Karpfen bis heute.
Nun ist es aber so, dass ich mich wieder damit beschäftigen muss. Denn lese ich mir durch, wie es um den aquatischen Nahrungsbestand bestellt ist, etwa den jüngsten Fischratgeber von Greenpeace, dann weiß ich, es sieht schlimm aus. Für so ziemlich alles, was es an der Fischtheke gibt, gilt: Flossen weg. Die eine Art ist im Bestand gefährdet, bei einer anderen sind die Fangmethoden mehr als bedenklich. Und in der Zucht fehlt es häufig an Nachhaltigkeit, weil es zumeist Raubfische sind, die in Aquakulturen gehalten werden. An die muss wegen ihres großen Proteinbedarfs Fisch oder Soja verfüttert werden. Nur einen Fisch stufen die Experten als völlig unbedenklich ein, ausgerechnet mein Ekelvieh, den Karpfen. Was heißt, ich muss da durch.
Ich bin schon dabei, mir den Fisch schönzureden. Er darf ja nicht nur aus politischen Gründen eine Renaissance verdienen. Er ist schließlich mit der älteste Zuchtfisch der Menschheit, schon vor Jahrtausenden von den Chinesen in ungezählten Teichen gehalten und seit dem Mittelalter auch in Europa. Die Anzahl der kirchlichen Fastentage lag damals auf der Rekordhöhe von rund 150. Der Bedarf an Fisch war riesig.
Inzwischen ist schon das Finale meiner Traumatherapie in Sicht. Dieses Jahr wird es keine Weihnachtsgans geben; überhaupt, die kommt ja inzwischen bei Hinz und Kunz auf den Tisch. Sondern eben Karpfen. Denn ich koste ihn längst wieder, wenn ich in Restaurants Gelegenheit dazu habe – leider kommt das viel zu selten vor. Mit meiner Brackwassererfahrung hat der Fisch, wenn er gut gehältert, also einige Wochen in Klarwasser gehalten wurde, nichts zu tun. Da schmeckt manche Forelle erdiger. Ich habe mich noch nicht ganz entschieden, aber meine derzeit favorisierte Methode ist folgende: Karpfenfilets mit einer Mischung aus Sojasauce, Honig und Zitrone einstreichen und kurz heiß anbraten. Das Fleisch soll glasig bleiben. Gedämpfter Pak Choi passt sicher gut dazu. Nur Karpfen blau nie wieder.
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