Der Muff von 500 Jahren

Der Koch In Sachen Bier hat unser Kolumnist einen Tipp: Vergesst das Reinheitsgebot, es spielt eh keine Rolle mehr
Ausgabe 41/2016
Oktoberfest ohne Reinheitsgebot - ginge das?
Oktoberfest ohne Reinheitsgebot - ginge das?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Reden wir noch einmal übers Bier. Schließlich neigt sich das Jubiläumsjahr seinem Ende entgegen. Vor 500 Jahren, genau am 23. April 1516, erließen die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. die Vorschriften, auf die sich heute das deutsche Reinheitsgebot beruft und die nicht viel mehr als Hopfen, Gerstenmalz und Hefe in einem deutschen Bier erlauben. Ich bin über Sinn und Unsinn dieser Regelung immer mal wieder befragt worden, habe Interviews gegeben und Artikel geschrieben.

Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Und die heißt schlicht: Vergesst das Reinheitsgebot, es spielt, auch wenn es in einem „vorläufigen Biergesetz“ steht, keine Rolle mehr. Sogar der größte Festakt ist ausgefallen. Hunderte Brauereien sollten dafür Münchens Innenstadt zu einer Biermeile machen, wie sie Deutschland noch nie gesehen hat. Doch wegen des Amoklaufs kurz vorher, die Stadt musste sich von der Terrorpanik erholen, wurde die Feier abgesagt.

Die Geschichte ist viel beleuchtet worden, eine größere Debatte um das Gesetz gab es nicht. Dabei hätte es sich gelohnt, öfter darüber zu reden, wofür das Reinheitsgebot, das deutsches Bier zu einer stolzen Besonderheit in Europa und der Welt machen soll, noch steht. Vielleicht ist es Ihnen auch schon aufgefallen. Man kann inzwischen in viele Supermärkte gehen und trifft auf ein ungeahnt großes Sortiment an Bieren aus dem In- und Ausland.

Große deutsche Brauereien, die bislang nur für durchschnittliches Pils bekannt waren, haben auf einmal Amber Ale, Porter oder Stout im Programm. Ich stoße auf Sauerbiere und auf Biere, die im Whiskyfass nachgereift wurden – so wie Rotwein aus dem Barrique. Ja, selbst dem Radler wird inzwischen etwas Handwerkliches angehängt. Das gibt es jetzt urig in „naturtrüb“ – als wäre es kein Mischgetränk. „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“: Das lese ich nur noch auf den Rückseiten der Etiketten, im Kleingedruckten, um der Tradition irgendwie Genüge zu tun. Stolz sieht anders aus.

Die noch größere Vielfalt dahinter sieht man gar nicht: Produkte aus Mini- und Mikrobrauereien, oft Ein- oder Zweimannbetriebe, die den Großteil dessen ausmachen, was in Deutschland heute Craft Beer heißt und vor allem mit Bieren assoziiert wird, die geschmacksintensiver sind, weil die Brauer nicht mit Hopfen und Malz geizen, vor allen nicht mit den neuen, oft fruchtig schmeckenden Aromahopfen aus den USA. Dieser Szene ist das Reinheitsgebot piepegal. Weil die Kunden nicht danach fragen. Weil das Reinheitsgebot sie kaum beschränkt. Und tut es das doch, werden – nach allem, was ich höre – Ausnahmen gern gewährt. Wer wollte eine wachsende Selfmadebranche bremsen?

Mag sein, dass inzwischen auch bierfremde Menschen ihr Glück versuchen. Es kommt schon mal vor, dass ich ein Glas Craft Beer auf dem Tresen stehen lasse, zurückgebe oder ganz von mir weise. Ich schmecke Butter oder nur Hopfen, ich finde die Biere unausgewogen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn schon ein kleines Glas Bier am nächsten Morgen Kopfweh macht. Das passiert immer wieder. Jahrelang habe ich alles, was als Craft Beer etikettiert war, mindestens für interessant gehalten. So ist das bei einem Hype: Alles, was neu ist, ist erst mal gut. Damit ist es erst mal vorbei.

Was ist gutes, was qualitätsvolles Bier? Ich freue mich auf die Diskussion, die bald einsetzen wird, da bin ich mir sicher. Das alte Reinheitsgebot wird dann endlich ad acta gelegt.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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