Der Sommer mit Mausi

ORTE DER KINDHEIT Wir nannten sie Mausi. "Mausi, komm schon", riefen wir, wenn der Anlasser stotterte. "Jetzt aber, Mausi", wenn es den Irschenberg hinauf ging oder ...

Wir nannten sie Mausi. "Mausi, komm schon", riefen wir, wenn der Anlasser stotterte. "Jetzt aber, Mausi", wenn es den Irschenberg hinauf ging oder den Zirler Berg, und sich die kleine weiße Ente furchtsam in die Schlange der großen italienischen Milchlaster drängen musste, unser 27-PS-Gefährt, für das der zwirbelbärtige Sachbeamte auf dem Münchner Landratsamt ohne Aufgebühr und auch ganz gegen unseren Willen das Kennzeichen M-CV 3229 über den Tresen geschoben hatte. Wenn es den Irschenberg wieder runterging, ruckelten wir in den ungefederten Sitzen und riefen, "schneller, Mausi, schneller", bis sich die Tachometer-Nadel bei 119 km/h eingezittert hatte, 119, wow, das gab daheim was zu berichten. Die Milchlaster wurden von den Massen der latte intero ins Tal geschaukelt, sie überholten links und freundlich hupend. Billy Joel dröhnte blechern aus dem Mono-Lautsprecher: "Well I never had a place that I could call my very own // That's all right, my love, 'cause you're my home". Die Bändsel um das eingerollte Plastikdach des 2-CV schlugen den Takt. Sommer 1988, der Führerschein war erst ein paar Wochen alt.

Ein paar Meter vor dem Haus einer Freundin, die wir einmal mit auf die Tour nehmen wollten, ob nach Andechs, Mittenwald oder ins Altmühltal, an den Starnberger, den Ammer- oder den Wörthsee, war noch nicht klar, fiel der Auspuff ab. Arme Mausi. Aber der Vater war auch ein Entenfreund. Wir kannten ihn nur als Bürgermeister hier in unserem kleinen, bayerischen Dorf. Der Bürgermeister legte sich mit roten Wangen unter die Mausi und bewirkte mit Blumendraht und Stanniolpapier wahre Wunder. So klang sonst nur ein Porsche, befanden wir auf der Fahrt. Und Janis musste richtig laut werden. Sie röhrte: "Worked hard all my lifetime, no help from my friends, // So oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz?"

Einmal nahmen wir auch eine Anhalterin mit, nachts um zwei, wir hätten sie beinah überfahren auf der unbeleuchteten Dorfstraße kurz vor unserem Haus. Sie war unterwegs nach Herrsching, fast eine Stunde entfernt, und viel jünger als wir. Der Freund hatte sie aus dem Auto geworfen, vermuteten wir und fuhren sie bis vor ihre Tür. Mausi machte das nichts aus. Und am nächsten Tag im Unterricht summten wir leise die Kassette, die das Mädchen im Recorder vergessen hatte, Joe Cocker: "And Babe, don't you know it's a pity // the days can't be like the night // In the summer in the city // in the summer in the city"

Ende jeden Ausflugs war immer der Starnberger See und ein langer Steg in der Nacht. Das Wasser war seicht und kalt und hielt uns nicht davon ab, ängstliche Hechte zu wagen. In der Nähe schimmerte das Holzkreuz, dort, wo Ludwig II. tot aus den Fluten gezogen wurde. Und am Ufer wummerte aus der offenen Ente Leonhard Cohen: "Like a bird on the wire, // like a drunk in a midnight choir // I have tried in my way to be free." Kaum trocken stiegen wir wieder in die Jeans, nichts umfing mit schlichterer Wärme damals. Mausi schunkelte uns beschwingt heim, und wir drückte uns leise am Elternschlafzimmer vorbei.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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