Die exotische polnische Küche

Koch oder Gärtner Nicht nur der Gärtner, auch der Koch hat im Herbst viel zu tun. Nach den heißen Monaten darf es jetzt endlich wieder herzhafter werden. Jörn Kabisch kocht Bigos

Wenn sich die ersten Blätter färben und man den dicken Pullover wieder aus dem Schrank zieht, beginnt für den Koch die schönsten Zeit des Jahres. Kaum etwas ist so Appetit anregend wie das Ende des Sommers. Es sind Tage, an denen ich lange träumen kann, was in den nächsten Monaten so alles auf den Tisch kommt. Schluss mit der kalten Küche, vorbei mit dem von der Hitze erzwungenen Vegetariertum, ab auf den Beilagenteller mit dem Salat. Es gibt wieder Fleisch. Hmm.

Ein festes Ritual, um den Sommer zu beenden, mein persönliches Erntedank-Fest ist Bigos. Das koche ich regelmäßig Anfang Oktober und meist nur dieses eine Mal im Jahr. Es ist ein großer Topf, der fast eine Woche hält, und nach sieben Tagen Mono-Ernährung hat man so ziemlich das leckerste Gericht der Welt satt, auch Bigos. Das ist der eine Grund. Der andere: Meine persönliche Rezeptliste nimmt schon ab dem vierten Tag beängstigend große Formen an.

Aber erstmal zum Bigos. Es ist das Nationalgericht Polens, ein Krauttopf, und ganz ähnlich wie für die italienische Sauce Bolognaise gibt es dafür kein einheitliches Rezept. Treffe ich auf Polen, frage ich jedes Mal danach: „Wie kochen Sie Ihren Bigos?“ Die erste Antwort ist meist nur: „Na, Sie kochen eben Bigos.“ Und dann folgt eine lange Pause. Eine wunderbare Antwort. So wie ich sie einst fast gleichlautend von meiner Großmutter aufgetischt bekam. Sie stammte aus Bayern und reagierte einmal so: „Wie ich meinen Schweinsbraten mach? Na, wie ma’ des eben macht!“ Wenn die Zubereitung eines Gerichts so selbstverständlich ist, dass sich das Rezept kaum in Worte fassen lässt – gibt es einen besseren Beweis einer lebendigen Küchenkultur? Ich glaube, kaum.

Dabei ist keine Küche den Deutschen ähnlich fremd wie die polnische. In Berlin, nur eine Stunde von der Oder entfernt, kann man die polnischen Restaurants an einer Hand abzählen. Im Ruhrgebiet, einst Ziel vieler polnischer Auswanderer, findet sich noch die ein oder andere Lokalität. Polnisches Essen ist hierzulande so exotisch wie die mongolische Küche. So ignorant sind nicht mal Franzosen, was deutsches Essen angeht.

Mir ist das unbegreiflich. Natürlich. Polens Küche ist recht deftig und fußt auf Schweinefleisch und Kohl, aber die deutsche eben auch. Jenseits der Oder gibt es allerdings noch andere Einflüsse aus Skandinavien oder Südeuropa, da kann man sich doch durchaus was abschauen. Für mein Bigos brate ich Schwein-, Speck- und Rindsstücke mit Karotten, Knoblauch und Zwiebeln an, gieße mit Weißwein und Hühnerbrühe auf, dann kommen zu gleichen Teilen vorher blanchierter Weißkohl und Sauerkraut in den Topf, später Kartoffeln, Tomaten, Backpflaumen, Steinpilze und reichlich Majoran. Wie jeder Eintopf schmeckt Bigos natürlich immer besser, je öfter man ihn aufwärmt. Aber ich mag bei diesem Rezept den ersten Teller, dann schmeckt man den Übergang von Sommer auf Herbst noch so richtig raus: Ich koche den Eintopf so, dass der Kohl etwas Biss hat und die Tomaten noch fruchtig sind. Sauerkraut, Backpflaumen und Steinpilze geben dem ganzen schon etwas wärmende Schwere. Dann noch ein großer Klecks Śmietana – auf polnisch Sauerrahm: perfekt. Und jedes Mal, wenn man den Topf wieder auf den Herd stellt, wird das Gericht ein bisschen herbstlicher, so wie der Ahorn, der vor meinem Küchenfenster die Blätter verliert.

Überhaupt – Kohl und Tomaten sind jetzt im Übergang zum Herbst genau das Richtige. Nehmen Sie Spitzkohl, diese milde Kohlsorte ist noch immer im Kommen, und dünsten Sie ihn mit einem Esslöffel Tomatenmark. Tomatisieren nennt das die bessere Küche. Die Süße nimmt dem Gemüse die Strenge des Kohls. Ein guter Begleiter zu Wildschweinbraten, Pfefferpotthast oder einem Kalbsgulasch. Uups, ich bin schon wieder bei meiner Rezeptliste angelangt.

Und darauf fehlt noch Zrazy, fällt mir auf, eine sehr schmackhafte Variation unserer Rindsroulade. In die Füllung kommen außer Speck und Gurken noch Pilze und Gemüse. Und woher kommt das Rezept? Naja, aus Polen.Gibt es noch eine echte exotische Küche?Koch oder Gärtner? Heute der Koch. Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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