Meine kostbarste Zutat ist derzeit Gewürzgurkenwasser. Ein kleines Gläschen davon ist noch da. Die Gurken, die darin für den Winter eingelegt waren, habe ich schon im Herbst vernichtet, an einem Abend mit Corona-Blues. Wochenlang stand dann ein großes Einmachglas mit der Lake auf dem Küchentresen, darin ein paar welke Stängel Dill, Lorbeer, Zwiebeln und ein paar Chilischoten.
Einfach wegschütten kam gar nicht infrage. Weil: Noch nie von Zero Waste gehört? Außerdem erinnerte ich mich an eine Reise nach Istanbul, die stark im Zeichen der Einmachflüssigkeit stand. In der Türkei gibt es da spezielle Läden, sogenannte Turşucu. Riesige Gläser mit eingemachtem Gemüse stapeln sich an den Wänden, die Tresen bestehen aus Aquarienbecken, in denen Gurken, Rettich, Möhren oder Paprika schwimmen. Oder grüne Tomaten und unreife Pflaumen. Aus dem ganzen Angebot kann man individuell auswählen und wird dann noch gefragt, ob man das Gemüse in scharfer oder einfach nur saurer Lake haben wolle.
In jedem der Läden steht außerdem ein Stuhl für Gäste. Mir wurde gesagt, die Turşucu sollen bei Schwangeren und Nachtschwärmern besonders beliebt sein. Für ein paar Lira kann man auf der Sitzgelegenheit ein Glas von der pikant-sauren Einmachflüssigkeit zu sich nehmen. Hilft gegen Kater wie ungewohnte Appetitattacken. Ich fand: Das Zeug schmeckt auch ohne solche Indikationen absolut köstlich.
Seitdem mache ich Gemüse selbst ein und verwende die Lake immer wieder weiter. Nur selten gönne ich mir ein Glas. Was ursprünglich einfach nur salziges Wasser war, versetzt mit ein paar Gewürzen, hat eine Milchsäuregärung ausgelöst und ist nun voll mit Laktobazillen und Spurenelementen, also brutal probiotisch und sicher noch in mehrerlei Hinsicht ein Superdrink. Aber ich lasse das Gute lieber wieder Gurken zukommen oder Sauerkraut. Oder vorige Woche weißem Spargel, das Glas muss noch ein paar Tage leicht blubbernd auf dem Küchenschrank stehen.
Essiggurkenwasser ist eine Zutat mit ungeahnten Möglichkeiten. Weil es die Komponenten „scharf“, „sauer“ und „salzig“ vereint, reicht ein freigebiger Schuss Olivenöl für eine Vinaigrette mit ziemlich Tiefgang. Ich bade auch gerne heiße Kartoffelscheiben darin, wenn ich Kartoffelsalat mache. Oder würze damit einen Topf Linsen – die perfekte Abrundung. Die saure Lake eignet sich aber auch als Fleischmarinade. Ich habe sogar Rezepte für Cocktails gefunden. Gin on Pickle Juice? Überzeugt mich auf Anhieb. Funktioniert übrigens alles auch mit der Flüssigkeit in den Gurkengläsern aus dem Supermarkt.
Mit einem Bekannten kam ich dann neulich auf die Idee: Ist Fermentieren die neue Fleischküche? Er erzählte, er lege derzeit ständig Gemüse ein. Angefangen habe er wegen seiner neuen Beziehung, mit einem Vegetarier. Fleisch in die Pfanne zu hauen, sei da nicht angesagt. Das Fermentieren fülle die Lücke aber ganz gut. Gibt es Parallelen, fragten wir uns? Auf der kochlichen Seite kann man Fermentieren mit Schmoren vergleichen. Temperatur und Zeit bestimmen die Prozesse, die wahre Geschmackswunder produzieren. Man sollte außerdem nicht zu viel in den Topf gucken und probieren. Sonst ist am Ende nichts mehr da.
Zum Beispiel von dem Spargel. Wenn alles gut geht, öffne ich in vier Tagen ein Glas mit intensiv süßsauren Stangen, die noch einen feinen Biss haben. Bei der Fermentation werden wichtige Proteinbestandteile freigesetzt, die Glutaminsäuren. Setzen sie sich auf die Zunge, schmecken wir „umami“, ein japanisches Wort, das „herzhaft“ bedeutet, aber zugleich auch „fleischig“.
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