Die erste Berliner Markthalle war schon nach einem halben Jahr pleite und machte wieder dicht. 1868 war das. Ihr Betreiber, Bethel Henry Strousberg, hatte sich verspekuliert. Das ist nur eine von vielen Episoden aus der Geschichte, die zeigt, dass es Markthallen als urbane Institutionen der Ernährung viel schwerer haben, als wir glauben.
Die Rede ist von Kleinmarkthallen. Das, was wir für das europäische Pendant zum Basar halten. Auffällig oft sind sie in Gebäuden untergebracht, die an alte Bahnhofsgebäude erinnern. Von oben flutet das Licht durch die Glasdächer oder leuchtet aus tausend Lämpchen. Darunter bilden Stände und Kioske Straßen und Gassen, wie eine kleine Stadt. Und die Auslagen sind gefüllt, dass sich die Bretter biegen. Obst und Gemüse bilden Pyramiden, Fisch schwimmt auf Bergen von Eis, Wurst und Schinken drängen sich an den Haken. Hier ist zellophanfreie Zone. Hier genießt der Händler per se Vertrauen.
Markthallen solcher Spezies werden in allen Weltstädten neu belebt: Die Eröffnung des Chelsea Markets 1997 war für die New Yorker ein Startschuss, den bis dahin verrufenen Meat District neu zu entdecken. Seit 2001 strahlt der Borough Market, eine der größten Markthallen Londons nahe der Themse, wieder in altem Glanz. Nur die Pariser warten verzweifelt darauf in Les Halles, dem „Bauch von Paris“ und einst die Mutter aller Markthallen, wieder Auberginen und Austern kaufen zu können. Doch bis das arg runtergekommene Quartier renoviert ist, werden noch Jahre vergehen. In Berlin wurden seit der Jahrtausendwende mehrere Markthallen restauriert, die Arminiushalle in Moabit und die Marheinekehalle in Kreuzberg. Am 1. Oktober wurde mit der Eisenbahnhalle, ebenfalls in Kreuzberg, eine dritte eröffnet. Und wie überall hofft man auch hier, dass sich Einzelhändler finden und Kunden, eine neue soziale Lunge entsteht, wenn in Einkaufsnetzen Teltower Rübchen und Müritzer Honig nach Hause getragen werden.
Man konnte das Unwesen eingrenzen
Selbstverständlich ist das aber nicht. Markthallen haben eine wechselvolle Geschichte, gerade in der deutschen Hauptstadt. Als sie im 19. Jahrhundert aufkamen, hatte das vor allem hygienepolizeiliche Gründe. In der boomenden Großstadt wurden die Zustände auf den Wochenmärkten unhaltbar, und immer mehr Menschen waren zu versorgen. Die Medizin hatte entdeckt, welche Infektionsherde entstehen können, wenn unsauber geschlachtet wird und Lebensmittel auf Straßen voller Unrat verkauft werden. In den Hallen konnte man das Unwesen nicht nur räumlich eingrenzen, hier und in die öffentlichen Schlachthäuser zogen gleichzeitig mit dem Handwerk die städtischen Kontrolleure ein. Sie begutachteten die Lebensmittel und kontrollierten Maße und Gewichte. Sie bezogen meist die für sie vorgesehenen Galerien, die Markthallen in unseren Augen heute so kathedralenhaft erscheinen lassen.
Der erste Berliner Markthallenbetreiber war ein Privatinvestor. Bethel Henry Strousberg war der deutsche Eisenbahn-Mogul im 19. Jahrhundert. Wie alle Schienenunternehmer hatte er sein Geld vor allem mit dem Truppentransport gemacht. Das Militär war in den Anfangsjahren der beste Kunde und Förderer der Bahn. Sie versprach den schnellsten Weg an die Front. Aber für Schiene winkte bereits eine neue Aufgabe – die Belieferung der Städte mit Lebensmitteln. Das ist auch der Grund, warum Markthallen häufig in der Nähe von Bahnhöfen angesiedelt sind und sich architektonisch so ähneln. Sie sind parallel entstanden.
In Berlin ging Strousberg daran, sein Transportmonopol bis zum einzelnen Kunden auszuweiten. Er ließ den Viehmarkt bauen und dort eine große Markthalle errichten, wo bald auch der Bahnhof Friedrichstraße entstehen sollte. Doch seine menschenfreundlich klingende Reklame, hier „dem Berliner Publikum gutes Fleisch, frische See- und andere Fische und die Hauptnahrungsmittel zu billigsten Preisen zu liefern“, verfing nicht. Die Berliner fühlten sich verkauft. Bis zur Eröffnung der Markthalle hatten sie sich bei freien Händlern, in Keller- und Straßenläden eingedeckt, und auf den Wochenmärkten. Die wurden nun auch auf Druck Strousbergs von der Stadt dichtgemacht. Und billig war die Markthalle nicht. Die Händler legten die gesalzenen Standmieten auf die Preise um. Was die Kunden zudem abschreckte: Das Anschreiben funktionierte hier, wo sich alle fremd waren, auch nicht. Schon nach wenigen Monaten verabschiedeten sich Händler und Kunden wieder.
Nach diesem Flop sollten noch fast zwanzig Jahre vergehen, bis Berlin Markthallen bekam. Dieses Mal waren es städtische, die Marktgebühren waren erträglich und die Berliner standen dem neuen Einkaufsvergnügen diesmal aufgeschlossener gegenüber. Doch florieren sollten die Markthallen nur die nächsten drei Jahrzehnte. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurden die Auslagen spärlich, die Markthallen wurden Orte für Suppenküchen und Volksspeisung. Der Mangel zog ein und hielt bis 1945. Und auch nach dem Krieg gelang es den Markthallen nicht an die goldenen Zeiten anzuknüpfen, eine neue Verkaufsidee aus den USA erreichte Europa: der Supermarkt und das Selbstbedienungsprinzip. Was diese Konkurrenz bedeutete, zeigte das triste Bild der Eisenbahnhalle in den Neunzigern. Sie beherbergte in Containern untergebrachte Filialen von Drospa und Aldi.
Nun wird es wieder kleinteiliger. Vielfalt statt Monotonie, Qualität statt Masse – das ist die Reklame, mit denen Markthallen heute um Kunden werben. Alte Gemüsesorten aus dem Umland, Stände für Spezialitätenmetzger, Berge von Gewürzen neben großen Bassins voll lebenden Fischen, knackendes Brot aus der Manufaktur statt aus der Fabrik. Diese Konzepte der Markthallen von heute sind in Wahrheit sehr jung. Nicht schlecht, sich das vor Augen zu halten, wenn man hier einkauft. Obwohl sie anders aussehen, harrt so mancher Tempel des Geschmacks noch der Tradition.
Kommentare 14
Lieber Jörn Kabisch,
aus Pietätsgründen (und weil weit vor den Halles) verschweige ich hier die Zustände an der Geburtsstätte des Jean-Baptiste Grenouille oder das wechselvolle Schicksal der Schranne. Aber aus Rom will ich berichten, von den Mercati Rionali.
Viele Stadtviertel verfügen über diese von Ihnen beschriebenen Bauten, runderherum im Inneren der Halle abschließbare und kühle Kioske für Fleisch, Käse, Fisch, Wurst, Eier, Butter, Öle, Essige, in der Mitte die Stände für die ... Viktualien ;) Im Gegensatz zu den fliegenden Märkten eine in jeder Hinsicht feste Einrichtung, zuverlässiger Zulieferer für die Mägen im großen Bauch einer großen Stadt.
Feilschen darf hier freilich nicht fehlen. Sollte man das vergessen, ist man für den nächsten Einkauf unten durch: Statt der frischeren wird gleich die abgestandenere Ware eingetütet mit der Geschwindigkeit erfahrener Taschenspieler.
Der Anblick von ganzen Tierköpfen (Schaf und Lamm fehlen in Rom selten) und der ausgelegten Innereien (vor allem der Kutteln) war da für das Kind, das mit großen Augen durch dieses Feenreich der Farben und Gerüche ging, kein Schock, sondern selbstverständlich.
Gute Grüße, e2m
Vielen Dank für die Hinweise. Für den neugierigen Leser, der sich in Süddeutschland nicht so auskennt: Mit Schranne ist die Schrannenhalle am Münchner Viktualienmarkt gemeint, die 1912 ihre Daseinsberechtigung verlor, als der Getreidehandel in den Großmarkt am Südbahnhof verlegt wurde. Wikipedia bildet die weitere wechselvolle Geschichte ganz gut ab.
Schöne Grüße, JK
So schöner Artikel! Danke. Bei "Schiene" oben, noch ein "die" rein. Grüße und weiter,weiter Christoph Leusch
PS: Kleinmarkthalle und Großmarkthalle in Frankfurt. Groß ging weg, Reste sind EZB. Klein blieb und mutiert immer mehr zum Cappucino-Trinkstand. Dort ist der Fisch oben, in der Nähe der Lüftung, dort auch mehr Geflügel und Fleisch. Die Halle hat den Charme einer eisengetragenen Urkirche (Ur-Basilika) und leider fehlt auch so manches Licht. - Trotzdem ist es einer der schönsten Orte in der arg ramponierten Innenstadt Frankfurts.
In kleineren Städten gab es diese jugendstilverzierten Markthallen, z.B. in Ingelheim am Rhein. Das sind heute häufig Veranstaltungsorte.
Eine der schönsten Markthallen, ein wahrhaftiges Einkaufsopernhaus, liegt an den Ramblas im Herzen Barcelonas, La Bocqueria. Die richtige Oper ist auch nicht weit davon.
"Markthallen sind heute Tempel des guten Geschmacks."
Naja, luggi, wenigstens hat man in so einer russischen oder asiatischen Markthalle älteren Zuschnitts noch das Gesicht zum Vieh. Das ist schon was anderes, als die neuen, kleinen u. schicken Markthallen in Bln.-Kreuzberg und anderswo bei uns, die den Bio-Bürger zuerst ästhetisch - zwischen handgerechtem Basilikum und Lyoner Salami - anzusprechen haben. Insofern passen auch das Bild bzw. die Bilder in der Printausgabe nicht so recht zum Text. So eine Markthalle wie die abgebildete mit den 3 Schweinsköpfen erfüllt immer noch in erster Reihe praktische Zwecke. Und nicht mehr.
Aber Dir war doch schon "guter Geschmack" allein wegen der Schweinsköpfe zuviel, oder?
Ähm, was steht auf dem Zettel von dem Schwein in der Mitte?
Warum tragen Käuferinnen und Verkäuferinnen den gleichen Dress?
Und wenn man das Foto vergrößert wird dort mehr Fett als Fleisch angeboten. Aber Fett soll ja nicht nur fett machen, sondern auch Geschmacksträger sein ... egal ob gut oder schlecht, wenn diese metaphysische Betrachtungsweise erlaubt ist.
Lieber Luggi,
ich habe Jörn Kabisch immer als jemanden gelesen, der mit Assoziationen arbeitet. Ich kann mich natürlich täuschen, aber bei mir hat der Artikel auch eine andere Gedankenschiene eröffnet: Auf der einen Seite die Halles, die ich noch in Paris erlebt habe, die noch für alle zugänglich waren, bevor das Centre Pompidou entstand und auf der anderen Seite die hallenartigen Bauten einer Galerie Lafayette oder bei Fauchon. Nun wissen wir, dass diese Tempel auch in Berlin gebaut und genutzt werden, seitdem die Stadt wieder Kapitale ist. Was ist aber mit den Orten für Jede(n)? Das ist eine ganz und gar nicht einfache Geschichte, die Jörn Kabisch mit wiklicher Leichtigkeit geschrieben hat. Für mich ein Schmaus!
Lieber ed,
ich lese ihn doch auch immer gern ... nicht allein wegen der Leichtigkeit. Nur ... ein mit Leichtigkeit geschriebener Beitrag muss nicht immer ein guter Beitrag sein. Da stimmtst du mir doch im Grundsatz zu, oder? Bestimmend für mich und Assoziationen erweckend bleibt immer noch der Inhalt, das geistig Geronnene. Und da hat Jörn Kabisch Defizite.
Und.
Gründliche Recherchen und deren Bewertungen sollten ein Ethos wohl welchen Berufsstands sein?
Link: de.wikipedia.org/wiki/Zentralvieh-_und_Schlachthof
Mir kommt es manchmal so vor, dass Jörn Kabisch ein Thema auswählt und allzu leicht das Messer der beliebigen Leichtigkeit führt. Ihm fehlt die Gabel, die bewusst geführt, den Kern, die Essenz packen kann. Und dann mag er sezieren.
Nochmal; er schreibt selbst: Die Rede ist von Kleinmarkthallen. Und sind die Beispiele von dir und Kabisch Kleinmarkthallen?
Mein Deutschlehrer hätte nicht nur mir unter dem Thema Kleinmarkthallen die hier angeführten Assoziationen als verfehltes Thema assistiert.
btw.
bei dem o.G. Projekt ging es nicht um die Versorgung der Berliner Bevölkerung mit "Lebensmitteln" ... Amerika und Chicagos Schlachthöfe lassen grüßen
vielleicht waren Berlins Straßen einfach nicht für größere Viehherden geeignet
Aber natürlich sind die mercati rionali Kleinmärkte, lieber luggi. Hier ein paar Bilder
www.06blog.it/tag/mercati+coperti+roma
www.fotothing.com/tag/mercati/
(die ersten beiden Aufnahmen im letzten Link geben eine Idee, was Markt in Venedig bedeutet ;))
zur Zeit geht alles bissi schnell. Hier zum ersten Link die Fortsetzung in Bildern:
www.06blog.it/post/10633/mercati-di-roma-il-mercato-italia-di-via-catania
Lieber Luggi,
ich würde die Kritik gern nachvollziehen, vor allem die mit dem Link auf die Geschichte des Berliner Schlachtgewerbes gemeinte. Schlechte Recherche kann ich nicht erkennen.
Grüße, JK
Ähmöhm - tut mir leid, lieber Jörn Kabisch, ich schon.
Und zwar zur Arminiushalle in Moabit, die ich seit über 20 Jahren ganz gut kenne (bloß die letzten paar nicht).
Dort hat Christoph Hinderfeld (mit dem ich einige Zeit zu tun hatte) nun die Oberheeresleitung übernommen, vielmehr die Zunft Ag zunftorte.zunftnetz.org/?page_id=2 , die sich zu einer Art Religionsgemeinschaft von heißer Luft auswächst.
Mit Zunftbewegung, Zunftmagazin, Zunftblog, Zunftinstitut, Zunftorten (nicht ein einziger außer der Arminiushalle umgesetzt, es standen aber mindestens 10 Orte quer durch die Republik fünf vor, er warb offensiv damit) Zunftwissen (das von Recherche und Kenntnis wenigstens teilweise frei ist) unter der Beschwörung einer vorgeblichen Gemeinsamkeit und eines Netzwerkgedankens, der mir in erster Linie aus Christoph Hinderfeld zu bestehen und vermutlich auch primär ihm zu nützen scheint.
Ich habe mir einen Bereich, über den ich Bescheid weiß, beim 'Zunftwissen' genauer angesehen, nämlich das Porzellan. Er verlinkt zu allen und jeden Manufakturen und Künstlern, die aber in gar keiner Weise über ihn, vielmehr das Zunftwerk verkaufen, noch das je vorhaben dürften - wirkt auf mich sehr wie das Schmücken mit fremden Federn. Wer aber über ihn verkauft, fertigt Plagiate, nur ein Beispiel dafür: die Fälschung bit.ly/o4Vk50 und das Original, von Antje Dietrich aus Halle bit.ly/qDbeK1
All das deckt sich mit den Erfahrungen, die auch ich mit ihm gemacht habe - heiße Luft, davon jede Menge, nullkommanix dahinter. Keine besondere Performance von Qualität oder gar 'Tempel des guten Geschmacks', me thinks.
Gute Lebensmittel gab's in der Arminiushalle auch schon vor der Übernahme durch die Zunft - ich habe dort gern eingekauft. Es wäre interessant, heraus zu finden, ob die alten Händler noch da sind und wie die die Zunft so finden. Leider wohne ich zu weit weg, um da mal eben vorbei zu schlendern. Aber vielleicht jemand anderes?
Lieber JK,
Sie können also schlechte Recherche nicht erkennen? Tja, dann bleiben Sie im Schneckenhaus der Voreingenommenheit.
Nur für Sie, zum Nachdenken:
Zitat aus meinem Link: "Bereits 1868 kaufte der Industrielle Bethel Henry Strousberg das Unternehmen auf und ließ den notwendigen und noch fehlenden Eisenbahnanschluss bauen. 1870 waren die Gebäude weitgehend fertiggestellt. Strousberg verkaufte das Unternehmen 1872 an die Berliner Viehmarkt-Aktiengesellschaft."
Zitat aus Ihrem Beitrag: Die erste Berliner Markthalle war schon nach einem halben Jahr pleite und machte wieder dicht. 1868 war das.
Fragen? Also ich hätte schon einige um den Artikel in der Luft ... ... mea culpa.
Und was fällt Ihnen zum verfehlten Thema ein???
Lieber Luggi,
dachte ich mir doch. Wikipedia spricht vom Zentralvieh- und Schlachthof. Die Markthalle, die Strousberg erbaut hat und die ich meine, stand woanders. Keine Ahnung, warum Wikipedia darüber nichts sagt. Nur in diesem Artikel über den Friedrichstadtpalast, der bald an gleicher Stelle erstand, steht ein wenig mehr. Weitere Informationen entnehmen Sie dem Buch "Verkehr, Verkauf, Verzehr" von Gerhard Schiesser.
Grüße, JK